Florenz vor der Touristikindustrie
Rotraut Fischer entwirft die Stadt als Schauplatz deutsch-italienischer Intellektuellenkommunikation
Von Markus Bauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWie bereits vor einiger Zeit festgestellt, blieb die literarhistorische Erforschung jener deutschsprachigen Exilsituation im 19. Jahrhundert, die mit der Vorbereitung nationaler Einheit, der internationalen Revolution von 1848/49 und ihren Folgen sowie der Entdeckung der republikanischen Vergangenheit von Florenz koinzidierte, bisher eher vernachlässigt. Es waren insbesondere Forschungen der früh verstorbenen Christina Ujma mit ihrer Kollegin Rotraut Fischer, die sich diesem faszinierenden Feld widmeten. Nach der Herausgabe einer postumen Arbeit von Ujma zu den Italienansichten deutschsprachiger Schriftstellerinnen (literaturkritik v. Oktober 2017) legt nun Rotraut Fischer eine Darstellung zu „Deutsch-Florentinern in Risorgimento und Gründerzeit“ vor, die Arbeiten aus dem Nachlass von Ujma miteinbezieht. Ihre Darstellung ist insofern breiter angelegt, als zwar der Fokus auf Florenz liegt, aber exemplarisch das Wirken von Frauen und Männern seit dem frühen 19. Jahrhundert in den Blick genommen und insbesondere auch ihr Agieren in Florenz und darüberhinaus vor dem italienisch-deutschen Hintergrund des Risorgimento und der deutschen Reichsgründung profiliert wird.
In einem einführenden Kapitel geht die Autorin dem Wechsel der Perspektiven nach, wonach nicht mehr wie noch bei Goethe oder Karl Philipp Moritz und vielen anderen Rom als Sehnsuchtsziel formuliert, sondern Florenz als Gegenpol konstruiert wird, wie es seinerzeit auch schon Herder tat. Florenz schien zwar architektonisch mittelalterlicher, aber auch rationaler, nordeuropäischer, aufgeklärter gegenüber der römischen Antikensehnsucht und der mittelalterlichen Ausprägung des Papsttums. Es ist in der Darstellung dieses Wechsels interessant zu beobachten, wie das „Mittelalterliche“ abgelöst wird von einer neuen Interpretation als „Renaissance“ und einer republikanischen Stadtgesellschaft, was für die Kunst- und Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland von paradigmatischer Bedeutung sein sollte. In diesem Neu-Wiederentdeckten steckt auch das „Risorgimento“ als ein von romantisch-antinapoleonischem Nationalismus ausgehendes politisches Fortschrittsethos. Dessen Darstellung gelingt der Autorin überzeugend in den Kapiteln über die Salonnière Louise Gräfin Albany von Stolberg-Gedern aus Österreich, die nach der Ehe mit dem gewalttätigen schottischen Kronprätendenten Prince „Bonny“ Charly und Flucht aus dem revolutionären Paris mit dem romantischen Dichter Vittorio Alfieri in Florenz einen in seiner Bedeutung kaum zu überschätzenden internationalen Salon mit weit reichender Ausstrahlung unterhielt. In Verbindung mit Madame de Staël im schweizerischen Coppet wurden in dieser Frührisorgimento-Phase romantische Ideen der nationalen Befreiung unter Entdeckung und Berufung auf Dante geschmiedet und propagiert, die zugleich auch ästhetische und literarische Entwicklungen der „Überwindung“ des Klassizismus vorwegnahmen. Einer der jungen Gäste des Salons war der katholische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont, ein Schüler Schlossers und Freund Rankes, der als einer der wenigen Ausländer hohe italienische Ehren erfuhr und seitens preußischer Universitätshistoriker einem ungerechtfertigten Vergessen anheimfiel. Mit seinen Freunden Gapponi und Vieusseux arbeitete er an dem offenen Projekt des Gabinetto mit, das internationale Zeitschriften bereit hielt und zugleich Forschungen zur florentinisch-italienischen Geschichte animierte. International war auch einer der ersten deutsch-florentinischen Salons an der Via della Concezione, den die bewunderte und europaweit berühmte Beethoven-Sängerin Caroline Unger eigenständig mit ihrem Ehemann, dem französischen Schriftsteller François Sabatier führte. Beide dem frühsozialistischen Fourierismus anhängend unterstützten sie den italienischen Einigungsprozess nach der Revolution von 1848/49.
Die erfolgreiche Einigung Italiens 1860/61 mit ihren Heroen Garibaldi und Mazzini gibt den Hintergrund der lebhaftesten Phase der Florentiner kosmopolitischen Intellektualität ab, die die zeitweise Hauptstadt des neuen Staates zu einem europäischen Zentrum von Kunst und Politik erhob. Von dem Salon der Emilia, Ehefrau des italienischen Bürgermeisters Ubaldino Perruzzi, hieß es, dass in diesem die Politik Europas gemacht werde. Weitgehend vergessen in Deutschland blieb der Anteil der Exilierten in dieser internationalen Konstellation mit Engländern, Franzosen, Polen, Österreichern, Ungarn. Ludmilla Assing, bekannt als Nichte und Herausgeberin des umfangreichen Brief- und Tagebuchwerks ihres Onkels Karl August Varnhagen und dessen Ehefrau Rahel, trug entscheidend dazu bei, dass etwa die Schriften Mazzinis in Deutschland erschienen. Hier werden auch osteuropäische revolutionäre Gestalten wie Alexander Herzen und Bakunin in das Gewebe der Kommunikation in Florenz und Europas eingebracht. So kommt etwa der Ungar Ferenc Pulszky zu Wort, was einen Hinweis gibt auf die austro-ungarische Welt, die durch die Revolution von 1848/49 ein europäisches Bewusstsein von Gemeinsamkeiten weit hinter die Karpaten trug.
Von der hessischen Justiz zum Tode verurteilt tauchte die markanteste Gestalt jener deutschen „Kolonie“ Anfang der 1870er Jahre in Florenz auf: Karl Hillebrand. Nur noch SpezialistInnen als Randfigur zum Werk Nietzsches, Wagners, Heines etc. geläufig, entfaltet das umfangreichste Kapitel des Bandes ein anschauliches Biogramm dieses Gelehrten, Korrespondenten und Diplomaten, dessen von seiner Ehefrau Jessie Taylor-Laussot – einer bedeutenden Musikerin – in Betrieb gehaltener Salon zeitweise als wichtiger Umschlagplatz von Nachrichten, Meinungen, Informationen, Gerüchten, Kontakten in Florenz dem von Perruzzi fast gleich kam. Wenn auch die hohe Zeit des Risorgimento bereits nach der Einigung 1860/61 vorbei war, ist das vielfältige Wirken Hillenbrands in seiner europäischen Dimension in Italien unvergessen geblieben. Bekannt und befreundet mit allen Akteuren in Politik, Geisteswissenschaften und Kunst musste Hillenbrand auch Freund des in einem altem Kloster auf dem Bellosguardo sich mit Familie und dem Freund Hans von Marées – unterstützt von beider Mäzen Conrad Fiedler – niederlassenden Bildhauers Adolf Hildenbrand werden. Auch dieses Haus wurde ein Treffpunkt deutsch-italienischer Kommunikation.
Fischers Buch gewinnt nicht nur durch die kenntnisreiche Darstellung der Szenerie der Salons und Begegnungen, sondern auch durch die reflektierte Diskussion ästhetischer und sozialer Umbrüche an Aussagekraft. So kann sie mit Herman Grimm oder dem Historiker und Bibliothekar an der Universität Marburg Otto Hartwig auf die sich verändernde Wahrnehmung der toskanischen Lokalität im kulturhistorischen Feld eingehen. Zudem werfen Exkurse auf das naturwissenschaftliche Exil in Florenz (bis heute trägt der Chemie-Lehrstuhl dort den Namen Ugo Schiff) oder die städtebauliche Veränderung des antiken und mittelalterlichen Rom weitere erhellende Schlaglichter auf Debatten in einer vielfach turbulenten und unsere Gegenwart vorbereitenden historischen Epoche. Es ist natürlich ein sehr zusammengepresster Gang durch das Jahrhundert, auf dessen zeitliche Dehnungen und Leerstellen in Abwechslung mit höchster Akzeleration durch Revolte und Revolution dennoch oft verwiesen wird. Und es wären Anschlussforschungen möglich/nötig, die eher die italienische und internationale Dimension darstellen in einem Säkulum, das ein europäisches Gesicht durch die Internationale der sozialen und nationalen Bewegungen zeigte. Das Buch von Rotraud Fischer konstruiert auf höchst anschauliche und überzeugende Weise den Topos Florenz als ein kaum zu übersehender Faktor in der komplexen Entwicklung der intellektuellen Beziehungen zwischen deutschen und italienischen, aber auch darüber hinaus europäischen Kontexten im 19. Jahrhundert.
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