Freiheit stirbt mit jedem Klick
„Welt ohne Geist“: Franklin Foer erklärt, warum Google, Amazon und Co. uns in eine düstere Zukunft führen
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMark Zuckerberg hat ein Herz für Hacker. In seiner Konzernzentrale residiert er unter der Adresse 1 Hacker Way, in einem der Facebook-Innenhöfe gibt es ein „Hacker“-Mosaik, an anderer Stelle einen Platz namens „Hacker Square“, wo Mitarbeiter auf „Hackathons“ neue Ideen vorstellen. Vor jungen Unternehmern bekannte der Facebook-Gründer einmal sogar: „Wir wollen eine Hackerkultur schaffen.“
Da drängt sich die Frage auf: Inwiefern passen anarchische Einzelkämpfer, die in Computersysteme eindringen, zur Mutter aller sozialen Netzwerke? Die Antwort: Gar nicht, denn in Wahrheit ist ein Hacker für Zuckerberg nur ein findiger Informatiker, der Lösungen entwickelt, also im Grunde „ein vorbildlicher Mitarbeiter und verantwortungsbewusster Facebookianer“, wie Franklin Foer erklärt.
Für den amerikanischen Journalisten ist Zuckerbergs Umdeutung des Begriffs ein Beispiel dafür, wie sehr in der schönen neuen Welt des Silicon Valley Sein und Schein auseinanderklaffen: Vordergründig gerieren sich die Technokonzerne als Erben der Gegenkultur der 1960er, feiern radikalen Individualismus, libertäres Denken und freien Wettbewerb. Tatsächlich aber führen sie uns in eine Welt des Konformismus und der Monopole, so Foer, eine Art Silicon-Valley-Sozialismus, in der sich die Subjekte in Datenwolken auflösen und grundlegende Prinzipien demokratischer Gesellschaften wie geistiges Eigentum, Privatsphäre oder freies Denken abgeschafft sind.
Keine Frage: Mit Welt ohne Geist hat der The Atlantic-Redakteur eine eindrucksvolle Alarmschrift vorgelegt. Für die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen durch Google, Amazon & Co., von sich verändernden Lesegewohnheiten bis zur Fake-News-Debatte, ist Foers Buch ähnlich grundlegend und umfassend wie in Sachen Ernährung das Buch Tiere essen seines jüngeren Bruders Jonathan Safran Foer.
Überraschenderweise spielt das Thema Ernährung auch bei Franklin Foer eine Rolle, nämlich als erhellende Analogie: Denn so, wie die Nahrungsmittelkonzerne mit ihren bequemen Fertigprodukten die Konsumenten verführen, in Wahrheit aber nur unsere Geschmacksnerven verkümmern lassen und letztlich Übergewicht und Diabetes verbreiten, so zahlen auch die Nutzer einen hohen Preis für die Angebote und Apps der Technomonopolisten, konstatiert Foer: Indem wir etwa die Vorzüge der Google-Standorterkennung oder von Amazons Alexa nutzen, führen wir ein Leben in Dauerüberwachung.
Oder wir verlassen uns auf die Ergebnisse der für uns nach unsichtbaren Regeln filternden Google-Algorithmen und berauben uns immer mehr unserer Fähigkeit, eigenständig zu denken und zu urteilen. Wir schielen ständig aufs Smartphone und sind kaum noch in der Lage, tiefgehende Gespräche zu führen; wir umgehen die Bezahlschranken der Zeitungen, weil uns guter Journalismus nichts mehr wert ist, bis es keine unabhängige Presse mehr gibt. Und natürlich kaufen wir so lange bei Amazon, bis Jeff Bezos das letzte aus Verlagen und Autoren gepresst hat und es statt eines bunten Literaturbetriebs, wie wir ihn kennen, nur noch E-Books im Amazon-eigenen Selbstverlag gibt, unredigiert und grottig geschrieben zwar, aber gnadenlos günstig.
Foers Argumente und Kritikpunkte sind nicht neu, jedoch hat noch kein Autor so fulminant und engagiert mit dem faulen Zauber der Silicon-Valley-Giganten abgerechnet, mit ihren quasi-religiösen Heilsversprechen und fragwürdigen Gesellschaftsutopien, außer vielleicht Dave Eggers in seiner Romandystopie The Circle. Dabei macht der Journalist keinen Hehl aus seiner persönlichen Betroffenheit, schließlich erlebte er bei The New Republic aus nächster Nähe die Folgen der Digitalisierung für den traditionellen, seriösen Journalismus. Dieser begann für das US-Politmagazin, als es 2012 vom Facebook-Mitgründer Chris Hughes übernommen wurde. Dessen Forderungen nach immer unseriöseren, aber dafür Klicks generierenden Artikeln widersetzte sich Franklin Foer so lange, bis er Ende 2014 gefeuert wurde.
Doch so sympathisch Foers Generalabrechnung mit Google und Co. ist, durchweg überzeugend ist sie leider nicht. Dass Facebook etwa versucht, Nachrichten und Meinungen so zu präsentieren, dass „die Nutzer ein paar Sekunden länger auf der Seite“ bleiben – könnte man das nicht jedem Medium vorwerfen? Eher drängt sich bei der Lektüre der Eindruck auf, dass auch auf dem Gebiet der Digitalisierung Niklas Luhmanns Einsicht gilt, wonach die Dinge immer zugleich schlechter und besser werden. So wirft Foer zum Beispiel Amazon wegen seiner Preis- und Konditionspolitik vor, für die Entwertung geistiger Produkte verantwortlich zu sein und vor freier Autorschaft keinen Respekt zu haben. Daran mag vieles richtig sein, allerdings: Wer als Autor im Kindle-Selbstverlag veröffentlicht, bekommt stolze 70 Prozent Tantiemen, herkömmliche Verlage zahlen dagegen selten mehr als zehn.
Und wenn Foer Jeff Bezosʼ Übernahme der ruhmreichen, aber dahinsiechenden Washington Post im Jahr 2013 als Menetekel für die Zukunft des seriösen Journalismus anführt, so muss er am Ende selbst, sozusagen zähneknirschend, eingestehen, dass allgemein die Wahrnehmung vorherrsche, das Blatt, das seit 2017 mit dem bestechenden Slogan „Democracy Dies in Darkness“ wirbt, sei unter Bezosʼ Ägide „besser geworden“, zumal wenn es um die Berichterstattung über die Trump-Regierung geht.
Also alles halb so schlimm? Das nun auch wieder nicht. Letztlich sind an den vielen bedenklichen Entwicklungen ja nicht allein die Techno-Giganten schuld, sondern in erster Linie wir Konsumenten. Niemand zwingt uns, bei Amazon einzukaufen oder uns Alexa ins Schlafzimmer zu holen, und wenn inzwischen ausgerechnet die Silicon-Valley-Angestellten ihren Nachwuchs auf Smartphone-freie Schulen schicken, sollte das definitiv zu denken geben.
Franklin Foer jedenfalls beschwört zum Schluss die Utopie einer Welt, in der die Konsumenten revoltieren: So wie sie im Bereich der Ernährung zunehmend Bio- oder vegane Produkte entdecken, könnten sie auch guten Journalismus und Papier endlich wieder wertschätzen und beim Buchhändler um die Ecke einkaufen. Ein Akt der Selbstermächtigung also, quasi ganz nach dem neuen Google-Slogan: „Do the right thing!“
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