Lebensreise mit offenem Ende

Der amerikanische Schriftsteller Richard Ford porträtiert nicht nur „Irische Passagiere“

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der amerikanische Schriftsteller Richard Frost wurde mit vier Romanen über den Sportreporter und Immobilienmakler Frank Bascombe berühmt; für den zweiten (Unabhängigkeitstag) erhielt er in einmaliger Kombination den Pulitzer-Preis und den PEN/Faulkner Award for Fiction. Sein späterer Roman Kanada schildert, wie ein Mann dank einer seltsamen Mischung aus Seelenkraft und Passivität kriminelles Geschehen überlebt.

Seit 1987 hat der jetzt 76jährige Richard Ford auch Kurzprosa vorgelegt. Im Original trägt der neueste Band mit neun Erzählungen den Titel Sorry For Your Trouble. Das ist nach Aussage des Autors ein dezenter Hinweis, dass sein Buch mit Irland und den Iren zu tun hat. Die Redewendung bedeutet nicht nur, dass man bedauert, jemandem Mühe gemacht zu haben. In Irland wird so das Beileid bei einem Todesfall ausgesprochen. Der nicht unumstrittene, vom Autor gutgeheißene deutsche Titel ist somit gerechtfertigt, zumal er auf die Lebensreise anspielt, die Richard Fords großes Thema ist.

Nicht Todesfälle stehen im Vordergrund, sondern erstorbene Hoffnungen, verlorene Ideale und erloschene Illusionen. Die meisten literarischen Figuren sind nicht mehr jung und haben keine materiellen Sorgen. Einträgliche Berufe und schuldenfreie Grundstücke geben ihnen Sicherheit, solange nichts Unvorhergesehenes eintritt. Richard Ford wirft ihnen ihre Mittelmäßigkeit nicht vor und scheint sich mit ihnen einig, nicht zu dramatisieren. Er sagt, um seine Geschichten zu verstehen, brauche man sie nur zu lesen – es gebe nichts hineinzudeuteln. Immer zeige er, wie massiv die Vergangenheit auf die Gegenwart einwirkt.

Nehmen wir ihn und seine Texte beim Wort und erfreuen uns des wundersamen Zusammenspiels zwischen psychologisch stimmigen inneren Monologen, in ihrer Beiläufigkeit vielsagenden Dialogen und nahezu lyrischen Schilderungen der Schauplätze in Amerika und Dublin, in Paris und auf einer Fähre zwischen Wales und Irland! Was für uns deutsche Leser zugleich heißt, dem Übersetzer Frank Heibert zu danken.

Trotz der zeitlichen und räumlichen Distanz denkt man bei inneren Monologen einsamer und desillusionierter Menschen unweigerlich an die Kurzprosa von Anton Pawlowitsch Tschechow. Ein offenes Ende findet sich in so manchenTexten beider Autoren.

Die erste Erzählung des Bandes, Nichts zu verzollen, handelt von einem Anwalt, der nach 35 Jahren seine Jugendliebe wiedersieht. Die beiden hatten einander nicht glücklich gemacht, weshalb ihm der Abschied seinerzeit nicht schwerfiel. Jetzt beantwortet er die Frage, ob er mit ihr schlafen wolle, mit einem klaren Ja. Auf ihr Hotelzimmer folgt er ihr jedoch nicht. Er hat sie ja auch damals nur „fast geliebt“.

Happy heißt eine andere Erzählung, so wie die Bildhauerin, deren Lebensgefährte friedlich gestorben ist. Sie besucht Leute aus ihrer gemeinsamen alten Truppe. Die sind für sie weder Freund noch Feind. Für alle führt kein Weg zurück zu einer längst vergangenen Lebensform. Was Happy mit der Asche des Toten anfangen soll, weiß sie noch nicht.

Wie in jeder Anthologie beeindrucken die Texte unterschiedlich stark. Auch in den weniger nachhaltigen Geschichten gibt es interessante Figuren. Den Sechzehnjährigen in plötzlicher Außenseiterrolle nach dem frühen Tod des Vaters – ähnlich könnte es Richard Ford ergangen sein. Den Passagier auf der Fähre, unterwegs zum Vollzug der Ehescheidung, der sich fragt, ob man nur in den letzten Sekunden vor dem Tod lebt. Den Amerikaner, der im Paris des Jahres 1992 verprügelt wird, weil er sich als Anhänger des Wahlsiegers Clinton zu erkennen gibt.

Richard Fords literarische Meisterschaft entfaltet sich voll in der Novelle Der Lauf deines Lebens. Peter Boyce, 55-jähriger Rechtsanwalt in New Orleans, muss sich nach dem Selbstmord seiner krebskranken irischen Frau „neu erfinden“. Er fährt in den Bundesstaat Maine, wo er oft mit seiner Frau war. In einer Bar begegnet er der 24-jährigen Jenna, die nach einem Streit mit ihrem Ex-Freund kein Nachtquartier hat. Er bietet ihr an, in seinem Ferienhaus zu übernachten. Und bereut es sogleich. „Das war genau das, was alte, betrunkene Narren machten.“ Es gibt nächtliche Nähe, aber keinen Sex. Frühmorgens sitzen die beiden am Strand, Jenna ist Peter im Dunkel nachgekommen. Nichts spricht dagegen, dass sie Freunde werden. Es ist nur eine dieser vielen berührenden Geschichten mit einem überzeugenden, offenen Ende.

Titelbild

Richard Ford: Irische Passagiere. Erzählungen.
Aus dem Englischen von Frank Heibert.
Hanser Berlin, Berlin 2020.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446265882

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch