Frauen in Italien

Ein postumer Band versammelt Christina Ujmas bemerkenswerte Studien zu deutschsprachigen Autorinnen im italienischen Risorgimento und danach

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bis vor wenigen Jahren noch bildete das 19. Jahrhundert quasi unser ‚Vorgängersäkulum‘. Das „lange“ Jahrhundert von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg erschien in Europa  historiografisch etwas diffus und kompliziert wegen der zahlreichen territorialen Akteure in einem erstmals globalisierten Umfeld, bildete aber zugleich den Ursprung von sozialen und ideologischen Bewegungen, die noch im 20. Jahrhundert zum Tragen kamen. Literarisch wurde das 19. Jahrhundert seit dem Tode Goethes von der späteren Literaturkritik oft auf ein vermeintliches „Epigonentum“ verpflichtet (mit wenigen Ausnahmen wie Heine oder Büchner), das erst an seinem Ende neue Strömungen wie Naturalismus oder Symbolismus ablösten. So hatte das 19. Jahrhundert im folgenden 20. je weiter dieses fort schritt, eine durchsichtige Präsenz, in der seine Literatur und Geschichte nur in wenigen Leuchttürmen erkennbar zu sein schien. Ein Zustand, der durch die wachsende zeitliche Entfernung heute prekär geworden ist: Die meisten der AutorInnen des 19. Jahrhunderts jenseits der genannten Klassiker (hinzu kommen noch Theodor Fontane, Gottfried Keller, Wilhelm Raabe) dürften nur noch wenige LeserInnen finden.

Noch weniger präsent war in der deutschsprachigen Literaturgeschichte die Rolle von Frauen in jener literarischen Epoche. Bis auf Anette von Droste-Hülshoff oder Marie von Ebner-Eschenbach und einige Romantikerinnen schafften es wenige in den Kanon der dickleibigen Bestandsaufnahmen, zudem hinderte vielfach die politische Betätigung innerhalb der sozialen Emanzipationsbewegungen die Wahrnehmung und Würdigung eines eigentlich unübersehbaren weiblichen Schreibens durch die auch politisch geprägte Institution ‚Literaturgeschichte‘ im 20. Jahrhundert. Dies sollte sich erst ändern, als infolge der Emanzipationsbewegung „nach ’68“ auch die Geschichte des Schreibens von Frauen verstärkt in den Blick der LiteraturhistorikerInnen geriet.

Christina Ujma hat sich in zahlreichen Forschungsbeiträgen jener deutschsprachigen Schriftstellerinnen angenommen, die in der Aufbruchstimmung des Risorgimento Italien bereisten oder sich dort niederließen. Der vorliegende Band entreißt diese Frauen einem mehrfachen Vergessen: dem der nach 1945 kaum noch bekannten Autorinnen des 19. Jahrhunderts, dem der ebenso vergessenen politisch-historischen Zusammenhänge, in denen diese Frauen schrieben, und dem der von diesen Autorinnen entwickelten literarischen Formen.

Auf der Basis einer Vielzahl von früheren Forschungsbeiträgen Ujmas (eine Bibliographie ihrer Arbeiten wäre hilfreich) geht das gut lesbare Buch den Italienansichten von neun Autorinnen nach: Dorothea Mendelssohn-Veit-Schlegel, Ottilie von Goethe, Fanny Mendelssohn-Hensel, Caroline Unger-Sabatier, Adele Schopenhauer, Fanny Lewald, Malwida von Meysenbug, Ludmilla Assing, Isolde Kurz, Ricarda Huch. Namen, die man vielleicht schon einmal gehört hat, mit denen sich oft aber kaum genauere Kenntnisse von Texten oder biographischen Zusammenhängen verbinden lassen. In einem einleitenden Kapitel führt die Autorin an, wie sehr der Frauenanteil an der literarischen Italienbeschreibung ignoriert worden ist: „Obwohl es seit fast drei Jahrzehnten eine Erforschung ihrer Reiseberichte gibt, werden die Italienbilder von Autorinnen in vielen Studien über die literarische Italienwahrnehmung ausgespart. Diese Auslassung hat in Deutschland eine lange germanistische Tradition“. So kommt es einem größeren Lesepublikum entgegen, dass vor allem ihre Biografien und intellektuell-literarische Italienwahrnehmung im Mittelpunkt des Bandes stehen. Wir lernen damit wichtige Kontexte der italienischen Geschichte des Risorgimento kennen, der dem deutschen ‚Vormärz‘ ähnlichen politischen Bewegung zur sozialen und nationalen Befreiung der italienischen Staaten, an denen diese deutschen Autorinnen mehr oder weniger intensiv Anteil nahmen. Ujma zeigt den internationalen Charakter dieser Bewegung auf, an der auch exilierte frühere 1848er-Kämpfer der gescheiterten deutschen Revolution teilnahmen, ebenso wie Franzosen, Polen, Ungarn und andere mehr.

Dass die Autorinnen etwas Neues zur Italienwahrnehmung beitrugen, erkennt Ujma an ihrer größeren Offenheit für die italienische Realtität und das Leben der Bevölkerung. Während Untersuchungen, die sich in der Textauswahl nur an männlichen Reisenden orientierten, die Entfernung der Reisenden vom realen alltäglichen Leben in Italien beobachteten, seien die weiblichen Reisenden „oft aufmerksamer und suchten häufiger die Begegnung mit dem Italien der Italiener.“ Dennoch sind die Autorinnen nicht über einen Kamm zu scheren. Dorothea Schlegel etwa hatte nach der Heirat mit Friedrich Schlegel und dem Übertritt vom Judentum zum Katholizismus eine eher konservative Perspektive auf die italienischen Verhältnisse. Rom allerdings behagte ihr nicht. Die entleerte barocke Prachtentfaltung des Papststaates entsprach nicht ihrer Vorstellung eines Katholizismus „mit Andacht“. Sie wurde wegen ihrer beiden beteiligten Söhne Förderin der ‚Malerkommune‘ der „Prä-Raffaeliten“ in der Stadt am Tiber und akkulturierte sich bald. Wie eigentlich alle der analysierten Frauen – ähnlich den Männern – bald von Italien als dem Ort einer Erfüllung schwärmten.

Die von Ujma gezeigten Beispiele illustrieren das Florieren der europäischen Salonkultur, an der die Schriftstellerinnen Lewald, Schopenhauer, Unger-Sabatier, Assing, Kurz, Huch in Florenz vor allem teilnahmen. Florenz erhält im Laufe des Jahrhunderts seine besondere Bedeutung, als die Renaissance das römische Barock als Referenzepoche der Künstler und Geschichtsphilosophen ablöst. Schopenhauers Florenz-Buch wurde erst 2007 publiziert, nachdem ihre Freundinnen Ottilie von Goethe und Sibylle Mertens nach dem Tod Schopenhauers keinen Verleger dafür finden konnten. Die in Wien geborene Sängerin Caroline Ung(h)er, die „Callas des 19. Jahrhundert“, heiratete den französischen Maler Sabatier und wohnte in Florenz in einer ansehnlichen Villa. Ebenso wie Varnhagens Nichte Ludmilla Assing, die einen Salon pflegte. Sie war wohl am tiefsten in das Projekt des Risorgimento integriert, schrieb Biografien der Anführer, stand im Kontakt mit ihnen. Hierzulande ist sie nur noch wenigen als die Herausgeberin der Briefe und Tagebücher von Rahel Varnhagen bekannt. Es sind spannende Interferenzen, die sich hier zwischen europäischer revolutionärer Bewegung, intellektueller Orientierung des Renaissancismus, städtischer Kultur und individuellen schriftstellerischen Ausdrucksformen abzeichnen.

Dadurch, dass die neun untersuchten Autorinnen sich über das ganze Jahrhundert bis in das nächste verteilen, gelingt es Ujma, einen Einblick in die Veränderungen zu geben, die der Blick auf Italien und seine politischen Verwerfungen genommen haben. Zwar steht oft Florenz im Mittelpunkt des Geschehens, aber mit dem letzten Kapitel über Ricarda Huchs Garibaldi-Roman kommt noch einmal Rom zu Wort: die revolutionären Ereignisse von 1849, als der militärische Anführer des Risorgimento die Republik gegen französische Truppen verteidigt. Hier ist die Begeisterung für die Darstellung Garibaldis durch Huch auch bei der Interpretin nicht zu übersehen.

Das kundige und lebendige Bild, das Ujma in der Lektüre dieser Autorinnen zeichnet, bietet vielfältige biographische und intellektuelle Anknüpfungspunkte in unterschiedliche Himmelsrichtungen. Hier wird überzeugend zusammengefasst, was die Autorin in den letzten Jahrzehnten an Forschungsarbeit zu diesem Thema geleistet hat. Dass es einen Abschluss bedeuten muss, liegt daran, dass sie im letzten Jahr plötzlich verstorben ist. Die auch politisch engagierte Literaturwissenschaftlerin Christina Ujma forschte nach ihrer Promotion in Marburg bei Gert Mattenklott über Ernst Bloch an der englischen Universität Loughborough, an der Uni Paderborn und an diversen italienischen Hochschulen vor allem auch zu deutschsprachigen Autorinnen in Italien, wozu sie zahlreiche Studien veröffentlichte. Ihre Arbeiten finden mit diesem aus dem Nachlass von ihrer mehrfachen Ko-Autorin Rotraut Fischer und Ruth Ujma herausgegebenen Band einen Abbruch. Über den traurigen Verlust der Wissenschaftlerin hinaus ist zu befürchten, dass das von ihr entscheidend mit-konturierte Forschungsgebiet ohne ihre Beiträge weitgehend verwaist bleiben wird.

Titelbild

Christina Ujma: Stadt, Kultur, Revolution. Italienansichten deutschsprachiger Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts.
Aus dem Nachlass herausgegeben von Rotraut Fischer und Ruth Ujma.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2017.
248 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783849811990

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