Climate Fiction?

„Arson“ von Laura Freudenthaler: scharfsichtige, beunruhigende Prosa-Miniaturen

Von Johann HolznerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johann Holzner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein merkwürdiger, auf den ersten Blick vieldeutiger Titel: Arson, zu Deutsch: Brandstiftung. Schon die erste dieser Prosa-Miniaturen macht indessen deutlich, dass positive Konnotationen rund um diesen Titel nicht zu erwarten sind. Denn die Ich-Erzählerin, deren Stimme hier zu hören ist, scheint von Anfang an verstört, verloren; „der schützende Schlaf ist abgefallen“. Von Zuversicht, von Vertrauen darauf, dass Schutz vielleicht doch noch einmal zu gewinnen wäre, ist keine Rede mehr. Ágnes Heller hat in ihrer Lebensgeschichte Der Affe auf dem Fahrrad die früheste Kindheitserinnerung mit diesem Satz eröffnet: „Ich sehe ein Feuer, das wunderschöne Funken sprüht, der Himmel ist schwarz und herrlich anzusehen.“ Die Ich-Erzählerin in diesem Buch sieht auch allerorten Feuer. Aber an eine verheißungsvolle Lebensgeschichte kann sie nicht mehr denken. „Ich muss zu überleben beginnen“, sagt sie sich.

Sie schaut kaum zurück, noch weniger voraus. Ihr Erzähltempus ist nicht das Präteritum, sondern das Präsens. Sie bespricht, was sie wahrnimmt, was sie beobachtet, was ihr zustößt und was sie unternimmt, besser gesagt: sich vornimmt zu unternehmen. Glutnester, Brandruinen, wohin immer sie schaut. 

Eine Fläche, die ich noch nie gesehen habe. Ein Hain, denke ich, sehe aber keine Bäume. Streife durch das an manchen Stellen hüfthohe Gras, dazwischen Farnbüschel, die in dieser prallen Sonnenhitze gar nicht wachsen dürften und still stehen, selbst wenn ich sie berühre, nicht nachzittern. Unter dem hohen Bewuchs ist das Gelände uneben, meine Füße erspüren kleine Wälle, unsichtbare Linien. Die schwarzen Überreste von Baumstümpfen, auf denen keine Pilze wachsen. Seidig glatte Oberfläche, der Kohlestaub verbindet sich mit dem Schweißfilm auf meiner Haut.

Ist es die Hitze, die längst ihren Körper erfasst und verwundet hat? Ist Schlaflosigkeit ihr Problem, Melancholie, Depression? Eine globale Katastrophe? Die Prosa-Miniaturen insistieren auf dem Status des Beschreibens, jeder Kommentar wird eisern ausgespart. Aus den Mutmaßungen der Ich-Erzählerin eindeutige Schlussfolgerungen abzulesen, verbietet sich daher. Das Stichwort ‚Verwüstung‘, das einmal fällt, bezieht sich aber jedenfalls keineswegs nur auf die Umwelt der Ich-Erzählerin. Es trifft genauso auf sie selbst zu. „Kein Wunder, dass niemand mehr zu mir kommt.“ Auch das sieht sie, „alleingelassen“, messerscharf. Das Stichwort ‚Arson‘ kommt im Text nie vor. 

Das Figurenensemble ist überschaubar; und diese wenigen Figuren bleiben überdies in einem seltsamen, zunehmend sich ausdehnenden Halbdunkel: Der Partner, ein Feuerwächter, ein Experte für Wildfeuer, der feststellt, wo auf der Welt Feuer ausbrechen und Brände sich entwickeln; allerdings selber Burnout-gefährdet. Die Freundin, die immer wieder zu helfen versucht, aber feststellen muss, dass die Erzählerin sich mehr und mehr verliert, „weit weg“ ist, und dass sie sich nicht mehr helfen lässt. Die Geschwister spielen keine Rolle mehr; das alte Beziehungsnetz ist brüchig geworden, seit langem einer neuen Unverbindlichkeit gewichen. Und auch die Medizin ist ratlos. Gegen die Angst- und Alpträume der Erzählerin ist kein Kraut gewachsen; „nicht mehr“, mit diesem Grundbegriff registriert die Erzählerin jede Entwicklung, die sie in ihrer Außen- und Innenwelt beobachtet. „Jetzt sind die Flammen näher, auf halber Strecke. Ich weiß, der Horizont hängt von mir ab, und Entfernungen sind in der Dunkelheit am trügerischsten.“ In dieser Welt sich einmal noch zurechtzufinden, bleibt ihr versagt.

Von daher wäre es wohl doch verfehlt, Arson auf ein Regal neben Kim Stanley Robinsons Ministerium für die Zukunft oder auch T. C. Boyles Blue Skies zu stellen. Laura Freudenthalers Dystopie ist kein Handbuch für Umweltaktivisten, das Buch (das im Übrigen, anders als der Roman Die Königin schweigt, der ganz ähnlich strukturiert ist, auf jede Genre-Bezeichnung verzichtet) erinnert in seinen atmosphärisch dichten Bildern und in seinem latent-dunklen Unterton vielmehr eher an den preisgekrönten Roman Bevor ich verbrenne (2012) des norwegischen Autors Gaute Heivoll, in dem mit der denkbar größten Ruhe ein unheimliches Phänomen minutiös verfolgt und vorgeführt wird: dass nämlich nicht nur dem Brandstifter, sondern auch der Erzählinstanz jede Kontrolle entgleitet. „Zu fürchten ist das unsichtbare Feuer“, weiß schließlich auch Freudenthalers Ich-Erzählerin. Ein beeindruckend-beunruhigendes Buch, akkurat und doch gleichzeitig disputabel, ambivalent wie sein Titel.

Titelbild

Laura Freudenthaler: Arson.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2023.
240 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783990272879

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch