Magie und Meeresluft
Mit „Die Yacht“ legt Anna Katharina Fröhlich eine sinnliche Sommernovelle vor
Von Michael Fassel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMediterranes Flair, der Genuss von Wein an lauwarmen Abenden mit Blick aufs Meer – diese Kulisse schafft Anna Katharina Fröhlich in ihrer Sommernovelle Die Yacht. Mit sprachlicher Eleganz kreiert die Schriftstellerin ein Ambiente und ein Figurenensemble, das die Leser:innen die Welt mit anderen Augen sehen lässt.
Fröhlich verleiht ihrer Protagonistin Martha Oberon das Talent des scharfsinnigen Beobachtens. Die junge Studentin aus London geht für drei Monate nach Italien in die Stadt N., wo sie sich günstig in der Pension eines alten Palastes einquartiert. Sie möchte ihr Studium der Kunstgeschichte vertiefen und sucht neue Motive zum Zeichnen. Die Grundlagen des präzisen Hinsehens und des Erinnerns hat ihr bereits der Großvater beigebracht: „Martha lernte den faszinierenden Unterschied zwischen dem Sehen und dem Sehen während des Zeichnens kennen.“
Auf sich allein gestellt, lässt Martha ihre Augen durch die sommerlichen Gassen streifen. Geradezu magisch verläuft die Begegnung mit Salvatore Spinelli, der für Martha mit nur einer Handbewegung einen Tisch im überfüllten Außenbereich eines Restaurants organisiert. Spinelli macht einen sonderbaren Eindruck auf Martha. Allein mit seinem Outfit, seinem „vollkommen geschnittenen Sommeranzug“, hebt er sich von der Masse ab. „Dem Aussehen nach hätte er ein Zirkusmanager, Croupier, ein müder Erbe, ein Verführer vermögender Witwen oder ein fauler Schriftsteller sein können.“
Salvatore Spinelli agiert fortan als Schlüsselfigur. Auf gemeinsamen Spaziergängen lernt Martha ihn und seine Lebensanschauung besser kennen. Tatsächlich ist der plötzlich auftauchende, merkwürdig anmutende Mann keine Gestalt aus einem anderen Universum, sondern ein Sozialhilfeempfänger. Doch auch diese Information entzaubert ihn nicht. Spinelli, eine Mischung aus Lebenskünstler und Dandy, pflegt Kontakte zu einem gehobenen Künstlerkreis.
So wie Marthas Großvater sie einst in die Welt des scharfen Beobachtens eingeführt hat, führt Salvatore Spinelli die ambitionierte Studentin nun in eine kunstliebhabende Runde illustrer Menschen im sizilianischen Süden ein. Dort lernt sie interessante Biographien und Lebenseinstellungen kennen. Dabei stellt sie meist ihren Blick scharf, beobachtet genau und hört den Unterhaltungen aufmerksam zu. Gleichzeitig genießt sie das Hier und Jetzt, die Präsenz in einer Welt, in der es noch so etwas wie Sinn für Illusionen und Magie gibt.
Aus der prestigeträchtigen Runde herauszugreifen ist das französische Ehepaar Tabarin – allen voran Monsieur Tabarin, ein ehemaliger Hotelier, der ein mondänes Leben führt. Als Besitzer der titelgebenden Yacht, die den prägnanten Namen Devil’s Kiss trägt, pflegt er ein Dasein zwischen Traum und Wirklichkeit, Illusion und Realität. Die Yacht, eines der fundamentalsten Statussymbole überhaupt, weiß Tabarin nach seinen Fantasien zu gestalten. So hat er diese von einer „dezidiert rückwärtsgewandten Architektin“ einrichten lassen:
Tabarin hatte allen Räumen seine Ideale und Sehnsüchte einprägen lassen. Hier, wo die Ordnung ins Absolute gesteigert war, hatte die Architektin es verstanden, aus jedem Klosett einen Ort des Vergessens zu machen, mit den Lichtverhältnissen eines Hammams. Auf einem Klo der Devil’s Kiss musste auch der profanste Gast über die Schönheit des Lebens nachzudenken beginnen.
Ein Leben ohne Butler scheint für Tabarin mittlerweile unmöglich. Der persönliche Diener, der seinen ursprünglichen Namen „Griša“ gegen „Balthasar“ eingetauscht hat, ist für Tabarin unverzichtbar. Ausgerechnet in ihn verliebt sich Martha. Auch seine Geschichte wird in Ruhe auserzählt. Schon seine Mutter war Zimmermädchen in Tabarins Hotel. In den Unterhaltungen zwischen Martha und Balthasar erweist sich der junge Butler als ausgesprochen eloquent und geistreich. Der sich langsam herausschälende Kulturpessimist plädiert mit seinem Abgesang auf die Konsumgesellschaft für das Träumen und versucht, Marthas Blick auf die Welt zu schärfen.
Fröhlich setzt Adjektive und Attribute sinnstiftend ein, sie tragen zu einer außergewöhnlichen und magischen Stimmung bei. Durch die Wahrnehmung der Protagonistin riecht man die Brisen des salzigen Meeres und schmeckt den Limoncello. Es verwundert nicht, dass es neben Dostojewski auch Verweise auf Oscar Wilde gibt, der etwa in Das Bildnis des Dorian Gray einen vergleichbar ästhetischen Einsatz von Attributen pflegt.
Während der anregenden Lektüre kann man die Seele baumeln lassen, man kann sich aber ebenso an den vielfältigen Beschreibungen von Palästen, Ornamenten, dem sommerlichen Kleidungsstil der Figuren und an den Düften der Botanik erfreuen. Oder sich auf den Hauch von magischem Realismus einlassen, der durch die Zeilen schimmert. Diese Sommernovelle sollte angesichts ihres schmalen Umfangs von 164 Seiten Platz in jedem Handgepäck haben und mindestens ein zweites Mal gelesen werden.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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