Kriegs-Gedichte des 20. Jahrhunderts

Eine kommentierte Liste

Von Dieter LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Lamping

Kriegs-Gedichte hat es immer gegeben, weil es immer Kriege gegeben hat; sie waren nur mal näher, mal ferner. In Gedichten sind sie unterstützt, verherrlicht, beklagt, verworfen oder verdammt worden. Im 20. Jahrhundert wurde die Kriegs-Lyrik zunehmend Antikriegs-Lyrik – unter dem Eindruck neuer, zuvor ungekannter Massenvernichtungswaffen und zweier Weltkriege, in denen sie zum Einsatz kamen. Gleichwohl finden sich auch unter modernen Lyrikern noch Bellizisten – die Futuristen um Filippo Tommaso Marinetti etwa; die meisten von ihnen sind allerdings inzwischen, zu Recht, vergessen.

Schon im Ersten Weltkrieg, schreibt Michael Hamburger, sei „bis auf ein paar dickfellige oder hartnäckig romantische Zivilisten allen klar geworden, daß die traditionelle Bejahung des Krieges auf der Grundlage von Heldentum und Vaterlandsliebe kein passendes Thema mehr für die Lyrik war“. Das gilt allerdings nur für die kosmopolitische, ästhetisch avancierte, dezidiert moderne Poesie über den Krieg. Deren Perspektive ist wesentlich zivilistisch, nicht zuletzt in der Sicht auf den Soldaten und das Soldatische, das durchweg nicht mehr als eine Summe bestimmter Tugenden, sondern als sinnlos-tödliches Schicksal wahrgenommen wird.

Mit der zivilen Perspektive einher geht oft eine Subjektivierung: Ein Ich spricht von seinen Kriegs-Erfahrungen. Die „erinnerungswürdigste und charakteristischste Lyrik aus dem Ersten Weltkrieg“ ist für Hamburger die gewesen, „welche aus dem Auftreffen der Auswirkungen der modernen Kriegsführung auf letztlich zivilistische Empfindungsweisen“ entstanden ist. Die besten Kriegsgedichte vereinen dabei nach seinem Urteil „formale Originalität mit einer sehr persönlichen Art des Reagierens auf Kriegserlebnisse“.

Auch wenn Gedichte keinen Krieg verhindern oder beenden konnten, haben sie ihren Wert. Sie kommen dem menschlichen Bedürfnis nach, auch über das Schreckliche und Unfassbare zu sprechen, und zwar mit einem Wahrheitsanspruch, der sich auf eigenes Erleben, Empfinden und Nachdenken gründet. Sie wollen eine humane Sicht auf den Krieg als die große Bedrohung des einzelnen Menschenlebens und der Menschheit im Ganzen eröffnen. Für die von ihnen, die es verdienen, wiedergelesen zu werden, gilt dabei der Satz von Wallace Stevens: „Dichtung steigert das Gefühl für die Realität“ – durch genaue Wahrnehmung und eingehende Reflexion. Michael Hamburger, der auch als Lyriker über den Krieg geschrieben hat, behauptet sogar, es sei eine Tatsache, „daß die Dichter mit ihrer Ansicht über den Krieg recht, und daß die Politiker und die Presse mit der ihrigen unrecht hatten“. In dieser Weise ist der poetische immer wieder als Gegendiskurs zum politischen verstanden worden.

Die folgende Liste führt exemplarisch nur eine kleine Zahl moderner Kriegs- und Anti-Kriegs-Gedichte auf. Trotzdem ist die Auswahl nicht beliebig. Zum einen soll sie die Bandbreite dieser Lyrik verdeutlichen: eine Brandbreite der Aspekte und der Töne, zu der jedes einzelne Gedicht auf seine Weise beiträgt. Zum anderen kann sie zeigen, was auf über den Krieg poetisch gesagt werden kann und gesagt worden ist. Das ist tatsächlich oft zumindest etwas Anderes als das, was etwa von Politikern geäußert wird, als deren aufmerksam-mißtrauische Beobachter sich viele Poeten begriffen und begreifen.

Die Lyriker, die zu Wort kommen, haben alle selbst Krieg erlebt, als Zivilisten oder als Militärs, als unmittelbar Betroffene oder als Beobachter. Was sie verbindet, ist die Fähigkeit, Selbsterlebtes auf eigene und zugleich allgemein verständliche Weise auszudrücken. So vermögen sie Erfahrungen und Gedanken zu vermitteln, auch an die, die sie selbst nicht machten.

Innerhalb der Lyrik behaupten die Gedichte über den Krieg ihren eigenen Ort. Noch vor kurzem hätte man sie nur historisch genommen. Die Realität hat sie wieder ins Recht gesetzt. Sie erinnern, über ihr Thema hinaus, auch an eine zur Zeit wenig geübte poetische Praxis. Sie bilden den Gegenpol zu artistisch-selbstreferenzieller Lyrik, die in ihrer leichteren Variante ein Teil der gehobenen Vergnügungsindustrie geworden ist. Die Gedichte über den Krieg stehen dagegen für den alten Anspruch der Dichtung, zentrale Fragen der menschlichen Existenz mit den Mitteln der Poesie zu erkunden und zu erörtern. 

Wieweit der Anspruch trägt, bleibt allerdings von Fall zu Fall zu ermitteln. Wie ihr Gegenstand sind auch die Gedichte über – und gegen – den Krieg zu diskutieren. Sie verlangen im Letzten nur Eines: ernst genommen zu werden.

Literatur:

Michael Hamburger: Wahrheit und Poesie. Spannungen in der modernen Lyrik von Baudelaire bis zur Gegenwart. Übers. von Hermann Fischer. Frankfurt a.M. u.a. 1985, S. 202, 200, 207, 203, 200, 207, 203.

Dieter Lamping: „Wir leben in einer politischen Welt“. Lyrik und Politik seit 1945. Göttingen 2008.

 

Kriegs-Gedichte des 20. Jahrhunderts – mit kurzen Erläuterungen

 

Georg Trakl: Grodek

„Am Abend tönen die herbstlichen Wälder/ Von tödlichen Waffen …“

Georg Trakl starb, 27 Jahre alt, am 3. November 1914 im Militärhospital von Krakau an einer Überdosis Kokain. Er hatte als Militärapotheker im Rang eines Leutnants an der Schlacht bei Grodek in Galizien vom 6. bis zum 11. September teilgenommen. Zwei Nächte lang musste er zahlreiche Schwerverletzte, auf sich allein gestellt, versorgen. Einen Monat später war er in das Militärhospital eingeliefert worden, nachdem er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. 1913 war sein erster Band Gedichte erschienen, der zweite, Sebastian im Traum, kam 1915 heraus. „Grodek“ ist berühmt geworden als ein poetisches Zeugnis der vollkommenen Zerstörung und Verstörung durch den Krieg.

Grodek

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düster hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

Erstdruck: Der Brenner 5 (1915). S. 14. (Geschrieben: September 1914.)

Wilfried Owen: Apologia pro poemate meo

„I, too, saw God through mud …“

Owen war Lehrer, bevor er Soldat wurde. Er fiel, 25-jährig, am 4. November 1918 in der zweiten Schlacht an der Sambre in Nordfrankreich. Eine Woche nach seinem Tod wurde der Waffenstillstand verkündet. Posthum wurde er für seine Tapferkeit ausgezeichnet. Als Dichter reifte Owen in dem Krieg, in dem er starb. Seine gesammelten Poems erschienen 1920, herausgegeben von seinem im Krieg schwerverwundeten Freund Siegfried Sassoon, an dessen Stelle er, obwohl selbst noch mit einem Kriegstrauma hospitalisiert, freiwillig an die Front zurückkehrte. Owen gilt als der bedeutendste englische Kriegs-Dichter. Eines seiner poetologischen Stichworte lautet: „The poetry is in the pity.“

Text mit Quellenangabe: https://archive.org/details/poemsowenwil00owenrich/page/4/mode/2up

Giuseppe Ungaretti: Wache

„Eine Nacht lang/ gelegen/ neben einem zerfetzten/ Kameraden …“

Ungaretti, einer der großen italienischen Lyriker des 20. Jahrhunderts, wurde in Alexandria geboren und lebte in Paris, bevor er 1914, mit 26 Jahren, nach Mailand zog. Im folgenden Jahr wurde er eingezogen und diente als Infanteriesoldat an der norditalienisch-österreichischen Front. Hier schrieb er die Gedichte, die 1916 in seinem ersten Band Il porto sepolcro erschienen: kurze, sprachliche dichte und oft kühne Verse, die vielfach als hermetisch bezeichnet wurden. „Veglia“ erzählt von einer Wache im Schützengraben, neben einem gefallenen Kameraden, in der Nacht vor Heiligabend 1915 – eine Momentaufnahme aus dem Grabenkrieg. Ungaretti schrieb nach dem Krieg für eine faschistische Zeitung. Später lehrte er in Brasilien und kehrte 1942 nach Rom zurück. Er starb 1970 in Mailand. Zu seinen deutschen Übersetzern gehören Ingeborg Bachmann und Paul Celan. 

Italienischer Text und eine deutsche Übersetzung: https://lyricstranslate.com/de/veglia-wache.html

E.E. Cummings: My sweet old etcetera

„My sweet old etcetera/ aunt lucy during the recent/ war …“

Edward Estlin Cummings, 1894-1962, war ein in den USA zeitweise fast populärer und oft vertonter Lyriker, daneben Autor eines autobiographischen Kriegsromans (Der ungeheure Raum). Literarisch ein Avantgardist, war er politisch mitunter reaktionär. Er hat eines der wenigen komischen Kriegs-Gedichte seiner Zeit geschrieben. Es macht sich allerdings nicht über den Krieg lustig, sondern über eine Tante, die ihn in pathetischen Worten verherrlichte. Wie Ezra Pound in „E. P. Ode pour l‘élection de son sépulcre“ sieht er sich als junger Mann in einem Krieg der älteren Generation. Im Ersten Weltkrieg Sanitäter, engagierte Cummings sich später gegen den Eintritt seines Landes in den Zweiten.

Englischer Text und eine deutsche Übersetzung: https://lyrikzeitung.com/2021/10/14/etcetera/

Karl Kraus: Zwei Soldatenlieder

Karl Kraus war 1914 einer der wenigen Kriegs-Gegner unter den deutschsprachigen Intellektuellen. In seiner Zeitschrift „Die Fackel“ veröffentlichte er im Dezember 1914 seine am 19. November gehaltene Rede „In dieser großen Zeit“: eine scharfe Kritik der Kriegsbericherstattung und der „Aufopferung der führenden Geister“, die den Krieg unterstützten. Sein großes Drama Die letzten Tage der Menschheit, eine „Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog“, 1922 als Buch erschienen, ist eine einzige Auseinandersetzung mit dem Krieg, mit seiner Grausamkeit und Sinnlosigkeit. „Zwei Soldatenlieder“ stellt demgegenüber in epigrammatischer Kürze vor allem zwei Fragen: „Wer weiß wo“ – nämlich,  wo das „stille Leid“ des Soldaten – und für Kraus heißt das: jedes Soldaten – „begraben liegt“ und die andere, nicht nur äußerlich letzte: „Wer weiß, wozu!“ 

Text: https://de.wikisource.org/wiki/Zwei_Soldatenlieder_(Kraus)

Pablo Neruda: Erklärung einiger Dinge

„Kommt, seht das Blut in den Straßen …“

Neruda, der größte moderne Dichter Lateinamerikas, lebte für die Literatur und die Politik. Er war chilenischer Konsul in Madrid, als 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach. Er entkam den Truppen Francos und kehrte 1938 über Frankreich nach Chile zurück. Von der Regierung wurde er 1939 beauftragt, nach dem Sieg Francos spanische Flüchtlinge nach Chile zu bringen. Er rettete auf diese Weise mehr als 2000 von ihnen das Leben. In Chile nahm er verschiedene politische Ämter wahr, musste aber 1948 in den Untergrund und schließlich ins Exil gehen. Erst 1952 konnte er zurückkehren. Zeitlebens Kommunist, nahm Neruda 1953 den Stalinpreis entgegen und wurde 1969 von seiner Partei als Präsidentschaftskandidat aufgestellt, verzichtete aber zugunsten des Sozialisten Salvador Allende. 1970 ernannte der ihn zum chilenischen Botschafter in Paris. Im folgenden Jahr erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Er starb 1973, seit längerem schwer krank, kaum zwei Wochen nach dem Militärputsch, in Santiago de Chile. Die Todesursache konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden. Mit dem Canto General hat Neruda das große Epos seines Kontinents geschrieben. Dem Spanischen Bürgerkrieg hat er die Gedichte von Spanien im Herzen gewidmet und von ihm auch in seiner Autobiographie Ich bekenne, ich habe gelebt erzählt.  

Nachdichtung von Stephan Hermlin: http://www.planetlyrik.de/hans-otto-dill-zu-pablo-nerudas-gedicht-erklaerung-einiger-dinge/2018/05/

W.H. Auden: September 1, 1939

„Defenceless under the night/ Our world in stupor lies …“ (Anfang der letzten Strophe)

Wystan Hugh Auden, 1907-1973, der 1935 eine Scheinehe mit Erika Mann einging, um ihrer Familie die Ausreise in die USA zu erleichtern, und später ein Freund Hannah Arendts wurde, war Lyriker, zudem Essayist und Librettist, etwa für Benjamin Britten und Igor Strawinsky. Er hat über den Spanischen Bürgerkrieg und den japanisch-chinesischen Krieg Gedichte geschrieben. Sein Poem über den Ausbruch des 2. Weltkriegs hat später sein Freund Joseph Brodsky in einem großen Essay kommentiert. In New York geschrieben, ist es eine Reflexion Audens über seine – ‚westliche‘ – Welt und zugleich eine Selbstreflexion angesichts des Krieges.

Englischer Text: https://poets.org/poem/september-1-1939

Deutsche Übersetzung: https://www.yeyebook.com/de/wystan-hugh-auden-1-september-1939-gedichte-de/

Robinson Jeffers: 19. September 1939

„Heute morgen hielt Hitler in Danzig eine Rede, wir hörten seine Stimme …“

Jeffers, 1887-1962, war ein Einzelgänger. Er lebte in einem selbstgebauten Steinhaus in Kalifornien, südlich von Carmel. Er war Lyriker und Dramatiker, fand nur allmählich Anerkennung, vor allem als Naturlyriker, der selbst abgeschieden auf dem Land lebte, wurde aber auch immer wieder für seine Abkehr vom traditionellen Humanismus angegriffen. In seinem Gedicht, das Hamburgers Theorie nahekommt, entwickelt er aus der Stimme Hitlers ein Psychogramm und beschreibt seinen eigenen Tag: „ein Gedicht, doch leider zu sehr wie eins von Jeffers, greulich von zuviel Blut und böser Vorahnung“. 

Englischer Text: https://www.best-poems.net/robinson_jeffers/the_day_is_a_poem_september_19_1939.html

Deutsche Übersetzung: https://www.yumpu.com/de/document/view/51551522/robinson-jeffers-ausgewahlte-gedichte-regenbuch-leipzig (hier S. 65)#

Bertolt Brecht: Und was bekam des Soldaten Weib?

Brecht hat immer wieder über den Krieg geschrieben. In den letzten Wochen des  Ersten Weltkriegs war er Hilfssanitäter in einem Augsburger Lazarett, vor dem Zweiten Weltkrieg – und den Nationalsozialisten – floh er nach Amerika. Sein bekanntestes frühes Kriegsgedicht ist die „Liturgie vom Hauch“. Die Foto-Epigramme der Kriegsfibel sind zu einem großen Teil Kommentar zu dem Krieg, den das nationalsozialistische Deutschland über die Welt brachte. „Was bekam des Soldaten Weib?“, 1942 geschrieben, ist ein lakonisch-kurzer materialistischer Kommentar zum Materialismus der Eroberungskriege, bei dem die kleinen Leute – der Soldat und seine Frau -– im Letzten leer ausgehen: Die Kriegsbeute muss mit dem Leben bezahlt werden. „Und was bekam des Soldaten Weib?“ wurde sowohl von Kurt Weill wie von Hanns Eisler vertont; Lotte Lenya und Gisela May haben es interpretiert. Brecht, der Krieg auch in Dramen wie Mutter Courage und ihre Kinder dargestellt hat, starb, 58-jährig, 1956 in der DDR.

Text: https://www.ildeposito.org/canti/und-was-bekam-des-soldaten-weib

Anna Achmatowa: Kriegswind

„Die Vögel des Todes im Zenit …“

Anna Achmatowa ist neben Marina Zwetajewa eine der beiden großen russischen Lyrikerinnen der Moderne. Sie hat nur sieben Gedichtbände veröffentlichen können, lange Zeit gar keinen, so etwa zwischen 1922 und 1940. Ihre feine, form- und traditionsbewusste Lyrik entsprach nicht den Richtlinien der stalinistischen Literaturpolitik. Sie war lange Repressalien ausgesetzt, ihr Mann und ihr Sohn wurden interniert, ihr Mann starb in einem Arbeitslager. Auch ihr Freund Ossip Mandelstam überlebte die Verfolgung nicht. Als Deutschland der UdSSR den Krieg erklärte, lebte Achmatowa in Leningrad. Während der Belagerung der Stadt wurde sie nach Taschkent ausgeflogen, erst 1944 konnte sie zurückkehren. Im Krieg schrieb sie patriotische Gedichte. Joseph Brodsky, Nadeschda Mandelstam und Lew Kopelew haben sie porträtiert. Mit 76 Jahren starb sie 1966.

Übersetzung von Rainer Kirsch: https://ruverses.com/anna-akhmatova/the-birds-of-death-are-at-the-zenith/10491/

Salvatore Quasimodo: Mailand, August 1943

„Vergebens suchst du im Staub …“

Quasimodo war ursprünglich Geometer. Anfangs ein Vertreter der hermetischen Lyrik, wandte er sich in den 40er Jahren immer mehr der Wirklichkeit zu. Er wurde Journalist, später Literaturprofessor in Mailand. Er lebte dort, als die Stadt von den Alliierten bombadiert wurde. 1959 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Text italienisch: https://www.salvatorequasimodo.it/2010/01/milano-agosto-1943.html

Ayukawa Nobuo: Soldat der Götter

„Tote Soldaten zum Leben erwecken …“

Nobuo, 1920-1986, Lyriker, Essayist und Übersetzer, u.a. von T.S. Eliots The Waste Land, war im 2. Weltkrieg Soldat. Sein nüchternes Gedicht über den Tod eines verwundeten Soldaten ist autobiographisch. Er kehrte mit einem Verwundetentransport nach Kriegsende, selbst an Tropenkrankheiten leidend, nach Japan zurück.

Textausschnitt: https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=ast-002:1984:38::216 (hier S. 7)

Czesław Miłosz: Armer Christ sieht das Ghetto

Miłosz, 1911 in Litauen geboren, 2004 in Krakau gestorben, wurde international bekannt mit Verführtes Denken, einer kritischen Analyse des Stalinismus, 1951 erhielt er politisches Asyl in Frankreich. Später wanderte er in die USA aus und lehrte lange in Berkeley. „Armer Christ sieht das Ghetto“, 1945 geschrieben, bezieht sich auf die völlige Zerstörung des Warschauer Ghettos 1943 durch die SS als Reaktion auf den Aufstand der Juden. Es ist eines der ersten Gedichte über die Shoah. Miłosz erhielt 1980 den Nobelpreis für Literatur.

Text: In deutscher Übersetzung teilweise zitiert in https://www.via-regia.org/bibliothek/pdf/Heft2122/blonski_armen_polen.pdf

Peter Huchel: An taube Ohren der Geschlechter

Huchel, ursprünglich Kommunist, wurde bekannt als Lyriker und Herausgeber von Sinn und Form, der wichtigsten, unter seiner Leitung ideologisch unabhängigen Literaturzeitschrift der DDR. Im fünften und letzten Teil seines Gedichtbands Chausseen Chauseen von 1963 hat er einige Gedichte über den römischen Historiker Polybius aufgenommen, der als Sklave des Scipio Africanus am Feldzug gegen Karthago teilgenommen hat. In ihnen hat er in historischer Mimikry Probleme seiner Zeit verarbeitet. Das Gedicht „An taube Ohren der Geschlechter“ ist 1961 entstanden, aus Anlass des Mauerbaus und der 30 Atomwaffenversuche der UdSSR. Huchel, seit den frühen 60er Jahren als Dissident von der Stasi beobachtet, konnte 1971 die DDR verlassen. Er starb 1981 in Staufen, 78 Jahre alt.

Text: https://ukrainian-poetry.com/peter-huchel/an-taube-ohren-der-geschlechter/

Erich Fried: 17.-22. Mai 1966

Fried, 1921 in Wien geboren, mit 17 nach England emigriert, mit 67 in Baden-Baden gestorben, ist als politischer Lyriker 1966 mit und VIETNAM und bekannt geworden. Der Band markiert den Anfang der Vietnam-Dichtung in der deutschsprachigen politischen Lyrik. 17.-22. Mai 1966 handelt weniger vom Krieg als von der Kriegsberichterstattung. Fried, ein Leser von Karl Kraus, hat schon früh die Bedeutung nicht nur der Propaganda, sondern auch der Informationspolitik und damit die Bedeutung der Medien im Krieg erkannt. Sein Gedicht ist Sprach- und Medienkritik in einem.   

Text: zitiert in https://literaturkritik.de/id/16648

Wiesława Szymborska: Vietnam

„Wie heißt du, Frau? …“

Szymborska, 1923 in der Nähe von Posen geboren, 2011 in Krakau gestorben, wurde 1996 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sie hat Gedichte sowohl über den Korea- wie über den Vietnam-Krieg geschrieben, die, wie ihre Lyrik im Ganzen, sprachlich einfach und doch nachdenklich sind. „Vietnam“ ist ein Verhörgedicht: ein amerikanischer Soldat verhört eine vietnamesische Frau, Militär und Zivilistin, Täter und Opfer in einem sprachlosen Gespräch.

Text: https://ronnowpoetry.com/contents/szymborska/Vietnam.html (englische Übersetzung)

Deutsche Übersetzung zitiert in https://www.jungberlin.de/2013/goldenes-verdienstkreuz-der-republik-polen/

Joseph Brodsky: Bosnia Tune

Brodsky, einer der großen russischen Lyriker unserer Zeit, zudem vielgelesener und vielbeachteter Essayist, hat über mehr als nur einen Krieg geschrieben. Den Afghanistan-Feldzug hat er, der 1972 ausgebürgert und von Auden in Wien in Empfang genommen wurde, in Verse von der Winterkampagne 1980 kommentiert, den Jugoslawien-Krieg in Bosnia Tune, einem seiner ersten Gedichte auf Englisch. 1987 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Er lebte bis zu seinem frühen Tod mit 56 Jahren im amerikanischen Exil, schrieb seine Essays auf Englisch und seine Gedichte noch lange auf Russisch.

Text: https://lyricstranslate.com/de/joseph-brodsky-bosnia-tune-lyrics.html

Scherenschnitt von Simone Frieling

Der Beitrag gehört zu Dieter Lampings Kolumne: Wiedergelesen