Ein pfälzischer Glückssucher in Amerika

André Georgi begibt sich in seinem neuen Roman „Trump“ auf die Suche nach dem familiären Background des 45. US-Präsidenten

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man schreibt den 17. Oktober 1885, als das viermastige Dampfschiff „Eider“, zehn Tage vorher in Bremen ausgelaufen, New York erreicht. An Bord neben mehr als tausend anderen Passagieren, die voller Hoffnungen in die Neue Welt aufgebrochen sind: der 16-jährige Friedrich Trump. 1869 im pfälzischen Kallstadt geboren, lernte er nach dem frühen Tod des Vaters schon als Kind Hunger und Armut kennen. Weil es der Mutter nicht gelang, sich und ihre sechs Kinder mithilfe eines kleinen, der Familie gehörenden Weinberges über Wasser zu halten, wurde Friedrich bereits mit 14 Jahren in einem Nachbarort in die Lehre gegeben. Zwei Jahre später macht sich der zum Friseur Ausgebildete auf nach Amerika, wo seine vorher übergesiedelte ältere Schwester Katharina und ihr Mann ihm beim Start in das neue Leben helfen sollen, von dem nicht zuletzt die in Deutschland Zurückgebliebenen eines Tages profitieren wollen. 

Trump ist der dritte Roman des Schriftstellers und Drehbuchautors André Georgi (Jahrgang 1965). Nachdem dessen Debüt Tribunal (2014) sowie der 2018 erschienene Band Die letzte Terroristin dem Thriller-Genre zuzuordnen waren, hat er nun ein Buch vorgelegt, das Historie und Fiktion zur – wie Georgis Verlag anmerkt – „Urgeschichte eines amerikanischen Albtraums“ verbindet. Denn zwei Generationen nach dem pfälzischen Auswanderer Friedrich Trump wird dessen viertes Enkelkind, Donald, hineingeboren in eine in der Immobilienbranche reich gewordene Familie, 2017 zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden. 

Kaum der „Bettlerarmee zerrupfter Existenzen“ im billigsten Unterdeck der „Eider“ entkommen, weg von der „vor sich hin heulenden, in zwanzig Sprachen leise wispernden oder laut quatschenden Menge von stinkenden Körpern ohne Gesicht“, muss Friedrich, der sich in Amerika Frederick nennt, erfahren, dass auch New York nicht das ersehnte Paradies ist. Also geht seine Reise nach ein paar Jahren, die er im Hause seiner Schwester und ihres Gatten verbringt, weiter gen Westen, wohin die Aussicht auf schnellen Reichtum ganze Kohorten von Abenteurern lockt. In einem Land, dass „nach nichts giere als nach Zukunft und Geld“, wie der junge Trump resümiert, hat er „viereinhalbtausend Kilometer Zeit […], um über seine Zukunft nachzugrübeln“. Wobei es ihn zunächst nach  Seattle verschlägt.

Doch bereits auf der Eisenbahnfahrt in die sich nach einem verheerenden Brand im Sommer 1889 gerade in der Phase des Wiederaufbaus befindende und schnell wachsende Stadt im Nordwesten der USA deutet sich ein Wandel in seinem Charakter an. Aus dem stillen, immer ein wenig tapsig und ungeschickt wirkenden Jungen, dem seine Mutter von klein auf wenig zutraute, wird ein Mann mit dem unbedingten Willen, sich durchzusetzen, koste es, was es wolle. 

Mit staunenden Augen und ohne Unbehagen beobachtet er deshalb den in einem luxuriösen Waggon in den Westen der USA mitreisenden Bordellkönig John Pennell, einen „Mann, der Chancen sah, sie nicht liegen ließ, und der keinerlei Skrupel hatte, wenn es darum ging, das zu bekommen, was er wollte.“ Das Gebaren des so reichen wie menschenverachtenden Geschäftsmannes, nach dem sich alle anderen zu richten haben und dessen Macht scheinbar keine Grenzen kennt, imponiert Frederick. Und kaum in Seattle angekommen, gibt er seinen ursprünglichen Plan, mit einem Frisiersalon zu reüssieren, auf und pachtet in der Nähe von Pennells Bordell ein heruntergekommenes Restaurant, das „Poodle Dog“, sein erstes eigenes Unternehmen, mit dem sich Geld verdienen lässt und in dem nach kurzer Zeit auch Prostituierte ein und aus gehen.

Das Leben in Seattle versetzt Friedrich Trump endlich in die Lage, ein wenig Geld ins heimische Kallstadt zu schicken, um seiner Mutter und den in Deutschland lebenden Geschwistern unter die Arme zu greifen. Immer bewusster wird ihm allerdings, dass Hilfe für seine Angehörigen nur der eine Aspekt für sein Handeln ist. Hauptsächlich nämlich betrachtet er seine Sendungen als „Rechtfertigung, Beichte, Grund oder als Entschuldigung dafür, dass er sich in ein Leben hineingezwängt hatte, in dem er lieber fressen wollte, als gefressen zu werden“ – eine Haltung, von der er weiß, dass sie „sein Vater gehasst hätte, dumm, grell, einfach und brutal“.

Doch genau diese Sicht auf die Welt und das daraus resultierende, auch vor Verbrechen nicht zurückschreckende Verhalten – bereits in Seattle hat Frederick gestohlen und kaltblütig die Schuld dafür anderen, schwächeren Menschen zugeschoben – werden ihn in den nächsten Jahren an all die Plätze führen, die im Amerika des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts zahllose Abenteurer mit dem Versprechen schnellen Reichtums anlockten. Zuerst macht er Station im nördlich von Seattle gelegenem Monte Cristo, einem Ort in einem engen, nur zu bestimmten Jahreszeiten zugänglichen Tal des Kaskadengebirges, in dem die Arbeit in den immer zahlreicher werdenden Erz-, Silber- und Goldminen schnellen Reichtum verspricht. 

Hier eröffnet er, ganz im Sinne seines Vorbilds Pennell, ein bald stark frequentiertes Hotel „mit ausreichend Platz auch für alleinstehende Damen“. Als spürbar wird, dass die schnell gewachsene Stadt ihren Zenit überschritten hat und lukrativere Standorte mit neuen Versprechen das Volk der Glückssucher anzulocken beginnen, findet man ihn schließlich unter den Goldsuchern im Yukon-Territorium. Auch hier ist es wieder ein Hotel, das der inzwischen 32-Jährige betreibt und schließlich mit enormem Gewinn verkauft, um, in der Mitte seines Lebens – „er sah keine Kraft für einen weiteren Aufbruch“ – über New York nach Deutschland zurückzukehren.   

Aber der Weg des Friedrich Trump endet nicht da, wo er 16 Jahre zuvor begann, in Kallstadt. Denn obwohl er seine eigene Familie dank einer unerwarteten Erbschaft in gesicherten Verhältnissen lebend vorfindet – „Zum ersten Mal seit Jahren, eigentlich zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben […] – seien sie alle! – schuldenfrei.“ –, wird dem amerikanischen Staatsbürger, der er inzwischen ist, die Wiedereinbürgerung verweigert. Trotz der Übertragung eines Großteils seines Geldvermögens auf eine Kallstädter Bank und zweier hervorragender Leumundszeugnisse von Bürgermeister und Pfarrer seiner Heimatstadt, begründet man beim Amtsgericht der Landeshauptstadt Speyer die Ablehnung des Antrags damit, dass sich Friedrich dereinst durch seine Auswanderung dem Wehrdienst entzogen habe und inzwischen zu alt sei, um den obligatorischen Ehrendienst am Vaterland noch nachzuholen. Als er im Mai 1918 an der Spanischen Grippe stirbt, übernimmt seine ihn um Jahrzehnte überlebende Frau schließlich die Geschicke der Trump-Familie. 

Einen Prozess um seine Wiedereinbürgerung, für dessen positiven Ausgang er sich mit einer Frau verheiratet, die er in seiner Jugend schon als Nachbarschaftskind kannte, verliert er schließlich 1905. Und so landen die Trumps am Ende wieder dort, wo für den jungen Friedrich seine amerikanischen Abenteuer begannen, in New York. Als Grundstücksspekulant und Geschäftsführer eines der besten Hotels der Stadt schafft er in den nächsten 13 Jahren die Basis dafür, dass seine Kinder und Enkel sich nie mehr Sorgen um die Zukunft der Familie machen müssen. André Georgi hat lange suchen müssen, ehe er für sein Projekt, einen sich an der Biografie des Friedrich Trump orientierenden historischen Roman, einen deutschen Verlag fand. Der Autor selbst hat in einem Rundfunkgespräch Anfang des Jahres bekannt, mit Trump eher einen Kommentar zur aktuellen Flüchtlingskrise als ein Buch über den deutschen Großvater jenes US-Präsidenten, nach dessen skandalösem Abgang allerorten auf diesem Planeten tief durchgeatmet wurde, beabsichtigt zu haben. Gleichwohl winkten Verlage, denen das Manuskript angeboten wurde, ab, weil wohl schon allein der Name der Titelfigur abschreckte. Letztendlich hat sich nun der Hannoveraner Wehrhahn Verlag, eher für seine akademische Ausrichtung bekannt, entschieden, Trump in sein Belletristik-Programm aufzunehmen. Dass das Lektorat, welches man dem Buch dort angedeihen ließ, nicht das beste war, muss leider angemerkt werden. Georgis aufschlussreicher Roman hätte wahrlich mehr Sorgfalt verdient.

Titelbild

André Georgi: Trump. Roman.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2022.
296 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783865259691

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