Raumgreifendes Licht

Das Vermächtnis des märkischen Impressionisten Karl Hagemeister zeigt ein opulenter Ausstellungskatalog des Potsdam Museums zur „Landschaftsmalerei des deutschen Impressionismus“

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

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Er setzte dunkles Geäst vor hellen Himmel, helle Stämme vor Waldesdunkel, ließ die Ufervegetation vom Wind peitschen oder dünnes Sonnenlicht durch die Bäume schimmern, gestaltete Durchblicke auf Seen und Tümpel, graue Regenstimmungen und die dann auch immer noch helle und tonige Luft in ihren vielfachen Abstufungen, schuf Vorfrühlingsbilder, in denen die Vegetation noch ruht, oder versah Wintermotive mit einer starken Schwarz-Weiß-Wirkung.

Fern der Großstadt Berlin lebte Karl Hagemeister (1848-1933), der Sohn eines Obstzüchters aus Werder, von frühen Studienreisen nach Belgien, Holland und Italien und später auch nach Paris abgesehen, in seiner havelländischen Heimat – deren spezifische Atmosphäre suchte er zu erfassen. „Die Stimmung ist die Trägerin des seelischen Elements der Landschaft“, bekannte er. Den Stimmen, die ihm aus der Natur entgegentönten, wollte er mit der eigenen künstlerischen Stimme antworten. Aus dem jeweiligen Stimmungston eines Wald- oder Wiesenstücks, einer See- oder Sumpflandschaft, der Birken am See, des weißen Mohnes, der Seerosen oder der Apfelblüte entwickelte er Licht und Schatten, und trug die Farbe in differenziert ausdrucksfähigen, vibrierenden Flecken und Strichen aus reinen – also nicht aus der Palette vermischten – Farben auf. Mit der Grundierung der jeweiligen „Generalstimmung“ ließ er nach und nach das einzelne Detail aus ihr hervorwachsen – das war seine Arbeitsmethode.

Das Potsdam Museum, das selbst über einen repräsentativen Hagemeister-Bestand verfügt, zeigt – ergänzt durch wesentliche Leihgaben, auch bisher der Öffentlichkeit noch nicht bekannte Werke aus Privatbesitz – bis 5. Juli erstmals gut 130 Landschaften des „märkischen Corinth“, meist großformatige Gemälde, Pastelle und auch Zeichnungen. Ihnen werden ausgewählte Arbeiten des Weimarer Lehrers Friedrich Preller des Älteren, der Hagemeisters Begabung zum Naturmaler erkannte und förderte, des Freundes, Förderers und Mentors Carl Schuch, der ihn in einer aus den Anschauungen des Leibl-Kreises herrührenden kontrastarmen Tonmalerei bestärkte, und Werke französischer und deutscher Impressionisten hinzugefügt, die ihn aus seiner singulären Existenz lösen und ihn zu einem Wegbegleiter zeitgenössischer Strömungen machen.

Anfang der 1890er Jahre begann Hagemeister die Pastelltechnik zu erproben. Hier gelangen ihm feinste Farbnuancen, Zwischentöne und Übergänge, eine luzide Durchdringung von Luft und Licht. Diese Phase bezeichnete er als „stilllebenartige Anschauung“. Hagemeister war 1910 bis 1913 ordentliches Mitglied der Berliner Secession und beteiligte sich an deren Ausstellungen. Die Entwicklung der modernen Landschaftsmalerei um die Jahrhundertwende wird in der Ausstellung durch Werke von Hagemeisters Weggefährten wie Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, Lesser Ury, Walter Leistikow und andere dokumentiert.

Wie sein Künstler-Zeitgenosse Walter Leistikow bevorzugte Hagemeister Motive von den märkischen Seen; seit 1907 kamen dann auch See- und Küstenbilder von der Insel Rügen hinzu. Lichterfüllte Blau-, Grün- und Ockertöne charakterisieren das Wasser in den wechselnden Wetterstimmungen. Fels- und Strandformationen in alternierenden Farb- und Lichtschattierungen, gezeichnet und gemalt, brandendes Meer, sturmgepeitschte, gischtsprühende Wellen, Steine, bizarre Pflanzen, knorrige Stämme – das sind keine Landschaftsbilder mehr. Sie sind vielmehr symbolischer Ausdruck des Gefühlten, des inneren Erlebnisses. Häufig verbindet das Kompositionsprinzip einer diagonal ins Bild führenden Uferzone die Arbeiten, an dem vorderen Bildrand neigen sich Zweige wie bergend über die Fläche. Erst durch sie hindurch ist der Blick auf die Landschaft möglich. Im Unterschied zu Leistikow bevorzugte Hagemeister gerade den intimen Ausschnitt, dem die frei bewegte Malweise jedoch den Ausdruck des Wachsens und Werdens verleiht. 

Hatte Hagemeister also in der Zeit der Freundschaft mit dem zwei Jahre älteren Stillleben-Maler Carl Schuch einer mehr dunklen Tonmalerei gehuldigt, in der die Landschaft ein monumentales Bild der Stille bot, feierlich und ruhig, mitunter melancholisch, aber auch von ornamentalem Reiz, so konnte er sich bald einer elementaren, rhythmischen, sprühend farbigen oder licht-zarten Ausdrucksweise zuwenden. An die Stelle der gemalten Wirklichkeit trat allmählich die Wirklichkeit der Malerei. Die Landschaft wurde zum reinen Anlass des Sehens, und das Sehen selbst wurde jetzt gemalt, nicht mehr der Gegenstand. Der Pinsel genügte dem Maler nicht mehr, er nahm die Spachtel, den Handballen, ja den ganzen Ärmel, um seinem leidenschaftlichen Impuls Ausdruck zu verleihen. Hier bereits, vor allem dann aber in seinen Seestücken, in denen es um die elementare Gewalt des Meeres, der steigenden und stürzenden Wellen geht, näherte sich Hagemeister dem Expressionismus an, wie überhaupt im ausschließlichen Naturbild etwas von der unruhigen Zeiterfahrung aufbrach, die selbst den abgeschieden lebenden Künstler erreichte.

Eine Fundgrube wissenschaftlicher Entdeckungen ist der die Ausstellung flankierende Publikationsband, der Hagemeister als bedeutenden Impressionisten und Wegbereiter der modernen Landschaftsmalerei in Deutschland herausstellt. Das Anliegen der Retrospektive, die dann auch nach Schweinfurt und Ahrenshoop weitergeht, umreißen Jutta Götzmann, Direktorin des Potsdam Museums, und Hendrikje Warmt, Kuratorin der Ausstellung, wobei sie sich auf ein Notiz- und auch Skizzenbuch aus dem Nachlass des Künstlers stützen. So werden wesentliche Erkenntnisse zum bildnerischen Malprozess des Künstlers herausgearbeitet. Fotografische Aufnahmen Hagemeisters galten dem Wechselspiel von Nah- und Fernsicht; sie weisen bereits die eigenwilligen Motive und Blickachsen auf, die in etwa den gemalten Bildwerken des Künstlers entsprechen.

Karin Rhein (Schweinfurt) beschäftigt sich mit Hagemeisters bewusstem Rückzug aufs Land und arbeitet heraus, wie für diesen wichtigen Schritt die Schule von Barbizon Pionierarbeit geleistet hat. Dieses Leben auf dem Land hat sicherlich Hagemeisters Bekanntheit in der Öffentlichkeit verzögert, erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg stellte sich sein deutschlandweiter Erfolg ein. Den drei Sommeraufenthalten 1878, 1880 und 1881 der Freunde Hagemeister und Carl Schuch in der Mark geht Roland Dorn nach, während Jutta Götzmann den Hagemeister-Bestand im Potsdam Museum analysiert. Der Museumskonservator Oliver Max Wenske teilt seine Beobachtungen zu maltechnologischen Besonderheiten bei Hagemeister mit: Dieser „löste sich sukzessive von der realistischen Wiedergabe des Bildgegenstands und erfand neue, von der Natur inspirierte, abstrahierende Landschaftskompositionen“.

Mit Hagemeisters Hinwendung zum Pastell ab etwa Ende der 1890er Jahre setzt sich Hendrikje Warmt auseinander. Damit vermochte der Künstler „die von ihm angestrebte subtilere Farbgebung zu vervollkommnen und die Atmosphäre einer Landschaft mit differenziertesten Tonabstufungen von Licht und Schatten wiederzugeben“. Was bewog den fast 60-jährigen Hagemeister von 1907 bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges hinein jährlich am Strand von Lohme auf Rügen Küstenlandschaften und Seestücke zu malen, fragt Katrin Arrieta (Ahrenshoop). Möglicherweise hat der Künstler Werke des japanischen Holzschneiders Hokusai gesehen, darunter dessen Blatt Die große Welle von Kanagawa, in dem die Gischt des umschlagenden Wassers ornamental durchgestaltet ist. Doch Hagemeisters Gestus ist viel impulsiver, ungebärdiger. In Lohme konnte er die „Grenzüberschreitung zum Wildfremden im Sinne einer inneren Reise zum ‚Ursprung‘“ verwirklichen.

Ein umfangreicher Bildteil von Hagemeisters Anfangsjahren ab 1884, seinen Schaffensjahren ab 1884, den Reflexionen des Lichts, seinem Spätwerk 1907-1915 bis zur Landschaftsmalerei des deutschen Impressionismus (Liebermann, Corinth, Leistikow, Ury, Skarbina, Slevogt, Brockhusen) machen den Band auch zu einem optischen Erlebnis.

Nach mehr als 50 kreativen Jahren entstand nach 1917 dann kaum noch ein Bild von Hagemeister. Doch bis heute haben seine ein ganzes Säkulum zurückliegenden Arbeiten ihre ungeheure Frische und Lebendigkeit behalten.

Titelbild

Hendrikje Warmt / Jutta Götzmann (Hg.): Karl Hagemeister. „… das Licht, das ewig wechselt“. Landschaftsmalerei des deutschen Impressionismus.
Wienand Verlag, Köln 2020.
253 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783868325584

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