Musik, die verbindet

Grégoire Hervier haucht in „Vintage“ dem Mythos um die legendäre Gibson-Gitarre Leben ein

Von Laura FathRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Fath

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum interessieren wir uns wir Vintage-Objekte? Was macht den Charme von alten Gitarren aus? Ist es das Aussehen, der Klang oder die Tatsache, dass wir uns an frühere Zeiten zurückerinnern beziehungsweise uns in sie zurückversetzen? Fest steht: Grégoire Herviers neuer Roman hat Vintage-Ausstrahlung. Seine Lektüre hat denselben Effekt wie das Anhören alter Songs oder die Betrachtung alter Instrumente. „Wach endlich auf, Mann, der Rock ʼnʼ Roll ist tot“, meint der Vintage-Gitarrenhändler Alain. Aber ist er das wirklich? Klar, Rock ʼnʼ Roll ist nicht mehr in den Charts, doch die Musik wird weiterhin von ganz unterschiedlichen Menschen gehört und lebt in ihnen fort als eine melancholische Erinnerung an die musikalische Blütezeit der 1950er Jahre.

Thomas Dupré, 25 Jahre alt, Journalist und passionierter Gitarrist, kennt sich mit Vintage-Gitarren aus. Er erhält von seinem Chef Alain den Auftrag, die Goldtop einem reichen Käufer in Schottland zu überliefern. Lord Winsley hat ihn nicht ohne Grund herbestellt. Er bietet Thomas eine Million, wenn dieser die nötigen Beweise erbringen kann, dass die sagenumwobene 57er Moderne wirklich existiert. „Doch die Sache hatte einen Haken. Mir gegenüber hatte Alain immer so getan, als sei diese Gitarre ein Mythos. Als sei sie genauso real wie … das Monster von Loch Ness.“ Thomas beschließt dennoch, sich auf die Suche zu begeben. Sie führt ihn quer durch Amerika, zu sehr unterschiedlichen Menschen wie dem Elvis-Imitator Bruce und der Musikwissenschaftlerin Lorraine, die die Liebe zur Musik eint, und auf die Spuren des eigensinnigen, aber genialen Musikers Li Grand Zombie Robertson, der vielleicht die Musik der 60er Jahre hätte revolutionieren können. Vor allem findet Thomas auf der Reise sich selbst und seinen eigenen musikalischen Stil.

Wurde die Moderne 1957 wirklich gebaut und existiert noch ein Prototyp von ihr? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Figuren des Romans, sondern auch Wissenschaftler und Gitarrenfans unserer Zeit. Während einige Exemplare der Gibson-Gitarren Flying V und Explorer von 1957 existieren, ist keine Moderne der Reihe von 1957 bekannt. Das futuristische Design fand nicht den erwarteten Anklang. Musiker griffen zu anderen konventionelleren Modellen. Besonders die Moderne galt als hässlich.

Vintage ist Grégoire Herviers dritter Roman und der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde. Er ist Krimi, Road Trip und Thriller zugleich. Das Interesse des Autors an Rock-Musik und Science-Fiction-Filmen kann man auf jeder Seite spüren. Vintage und Science-Fiction, wie passt das zusammen? Schon bevor David Bowies Single Space Oddity 1969 – im selben Monat wie die erste Mondlandung – herauskam, interessierten sich Rock-Musiker für den Weltraum. Nicht nur die Thematik hatte Einfluss auf die Songs der 60er und 70er Jahre, auch die neuartigen Soundeffekte, die die frühen Science-Fiction-Filme begleiteten, inspirierten die Musiker der 60er Jahre zu neuen Klängen. So brachten auch Jimi Hendrix – übrigens Besitzer einer Flying V – und Pink Floyd, um nur zwei Beispiele zu nennen, Ende der 1960er von dem Genre Science Fiction inspirierte Songs heraus. Auch das Design der Gibson-Modelle Flying V, Explorer und Moderne war futuristisch. Neben Science-Fiction gibt es noch ein zweites Feld, dass unmittelbar mit Rock-Musik verbunden ist: das des Satanismus und Okkultismus. Auch von diabolischen Klängen ist die Rede. Das Boleskinhaus, ohnehin schon ein schauerliches Gebäude, birgt sein Geheimnis.

Zugegeben, die Gitarren, Songs und musikalischen Fachbegriffe sind nicht jedem bekannt, trotzdem schafft es der Autor, das Wichtigste verständlich zu machen. Gekonnt fusioniert Grégoire Hervier Realität und Fiktion. Fest in ein dichtes Erzählgefüge eingesponnen, lässt sich manchmal kaum mehr herausfinden, was erdacht ist.

Die Figuren wirken allerdings zuweilen etwas holzschnittartig und ihre Dialoge sind teils zu faktenbasiert, sodass sich der Roman stellenweise liest wie ein Buch über Musikgeschichte. Vintage startet in langsamem Tempo, nimmt dann aber rasant Fahrt auf, ist wendungsreich und unterhaltsam im Mittelteil. Der Protagonist trifft hier auf immer neue Personen und gewinnt immer neue Erkenntnisse. Mit dem Auftauchen der Plattenhülle von Li Grand Zombie Robertson wechselt das Register. Die Atmosphäre wird mystischer und bedrohlicher. Die Moderne bindet sich imaginativ an Robertsons Leib und mystifiziert seine Person. Die Auflösung ist unerwartet und will leider nicht recht zum Beginn der Erzählung passen. Dass Lord Winsley nie Besitzer einer Moderne war, ist ein gelungener Kniff, der Showdown zwischen Thomas Dupré und dem totgeglaubten und jetzt von Lord Winsley beauftragten Bruce am Grab Li Grand Zombie Robertsons hingegen eher absurd. Und als sich herausstellt, dass Robertsons Grab gar nicht sein Grab ist, sondern dass sich seine Moderne darin befindet, glaubt man sich plötzlich in einem Thriller mit Horrorelementen. So ganz aus dem Nichts haben wir es am Ende mit einem gereiften Protagonisten zu tun, dessen Musik zu großer Popularität gelangt ist. Wie ist jetzt der musikalische Stil Duprés? Was ist an seiner Musik neuartig? Macht er – diese Frage wird in seinem ersten Gespräch mit Lord Winsley aufgeworfen – Musik nur für sich selbst, für andere oder wählt er einen Mittelweg?

Vintage ist wie ein Song, das aber leider nur formal. Einzelne Textpassagen, die zum Teil mehrere Kapitel umfassen, sind mit „Intro“, „Strophe“, „Refrain“, „Bridge“, „Soli“ und „Outro“ betitelt. Auch die Angabe der Mitwirkenden, die „Credits“, legt den Vergleich nahe. Aber die als „Refrain“ bezeichneten Abschnitte haben nichts miteinander gemein. Auch der Versuch, eine Übereinstimmung im Schreibstil des Autors zu finden, ist nicht fruchtbar. Dessen Stil ist wenig virtuos und hat mit Lyrics nichts gemein. So lässt sich eine formale Verbindung von Song und Roman nicht aufrechterhalten und nur als humorvolle, wenn auch inkonsequente Idee begreifen. Der einfache Stil ermöglicht es allerdings, die Handlung leicht nachzuvollziehen. Dass der Autor Thomas Dupré, den Protagonisten der Geschichte, erzählen lässt, erzeugt einen Eindruck von Unmittelbarkeit und vermag es, den Leser in den Sog der Geschichte hineinzuziehen.

Musik fungiert als Medium. Sie kann einen in eine andere Zeit versetzten und Emotionen hervorrufen, ändern oder verstärken. Bei musikalischen Klassikern reicht nur der Liedtitel aus und der entsprechende Song wird ins Gedächtnis gerufen. Vintage ist voller Musik. Der Roman ist ein Medium für die Gesamtheit aller genannten Songs, die den Leser in die 50er und 60er Jahre zurückversetzen können. Wie ist es aber, wenn Titel genannt werden, die unbekannt sind? Besonders eindrucksvoll sind die Beschreibungen der Songs von Li Grand Zombie Robertson. Nur jemand mit viel Erfahrung ist imstande, bei der genauen Schilderung des fiktionalen musikalischen Stückes im Roman, die Musik – oder vielmehr eine Variante davon – zu hören. Aber gerade die Tatsache, dass trotz scheinbar akribischer Beschreibung der Klänge die sprachlichen Beschreibungen nicht auf einen bestimmten Song verweisen können und er sich häufig sogar dem Leser entzieht, nur eine vage Vorstellung von Klängen ist, verstärkt die Neugier am Mythos Moderne noch.

Titelbild

Grégoire Hervier: Vintage. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Alexandra Baisch und Stefanie Jacobs.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
391 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070026

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