Alltagssituationen zum Eintauchen
Susanne Gregors erster Erzählband „Unter Wasser“ verknüpft Schwere mit Leichtigkeit
Von Julia Bergemann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUnter Wasser – das ist nicht nur der Titel des im Februar 2018 erschienenen Erzählbands von Susanne Gregor, sondern auch dessen Programm. Ausnahmslos Ich-Erzählerinnen berichten in den acht Kurzgeschichten aus ihrem Leben. Leser*innen werden in das Geschehen hineingeworfen, tauchen ein in Beziehungen, Gefühle, Momente und gelangen nach wenigen Seiten wieder an die Oberfläche. Was zurückbleibt, sind Mitgefühl, Vertrautheit und das kurze Überlegen, ob das gerade Gelesene Fiktion oder Realität war. Denn das, wovon die Erzählungen handeln, stammt mitten aus dem Leben und bietet Identifikationspotential.
Gregor thematisiert Beziehungen, Zwischenmenschlichkeit, den Umgang miteinander. In ihrer Erzählwelt geht es vor allem um Schwebezustände. Zustände der Unklarheit, der Trennung und des Verlusts, und so wirkt es zuweilen, als befänden sich die Figuren tatsächlich unter Wasser und wüssten für einen kurzen Moment nicht, ob und wie sie wieder an die Luft gelangen. Es geht etwa darum, wie die Hauptfiguren mit plötzlichen Schicksalsschlägen, beispielsweise dem Eintritt einer Krankheit, schwindender Liebe oder Betrug, umgehen beziehungsweise umgehen müssen. So stellen sich ihnen zahlreiche Fragen, die die eigene Identität und Einstellung zum Leben betreffen: Wie überstehe ich den Verlust eines ungeborenen Kindes? Kann ich jemanden lieben, der bald stirbt? Habe ich es verdient, bloß eine Lücke zu füllen? Grundsatzfragen der unschöneren Seiten des menschlichen Zusammenlebens, auf die es in den kurzen Geschichten eine Antwort zu suchen gilt.
Die Erzählerinnen begeben sich auf eben diese Suche; da ihre Schicksale und Lebensentwürfe aber nur angerissen werden, können sie von Leser*innen weitergesponnen und umgedacht werden. Gregor schafft es, gerade so viel zu erzählen, dass es ausreicht, um für einen kurzen Moment einen Eindruck der Lebenswirklichkeit der Erzählerinnen zu gewinnen. Es sind vor allem kurze, prägnante Sätze, die durch ihre Aneinanderreihung das Gefühl vermitteln, sie würden erst im Moment des Lesens gedacht. Fragmentarisch, alltäglich und greifbar. So etwa der Bewusstseinsstrom aus der Titelerzählung Unter Wasser:
Ich hatte mir gerade vorgenommen, eine Weile allein zu sein, nach der ganzen Sache mit Mikko. Er war noch zu präsent in meinem Leben. Seine Worte, sein Körper, seine Schritte, als er ging. Ich sah ihn in Fremden, hatte manchmal das Gefühl, als würde er mir folgen. Vielleicht wünschte ich, er würde mir folgen. Ich war noch damit beschäftigt, mich zu erinnern, wer ich vor ihm gewesen war. Mich zu erinnern, wer ich sein wollte […].
Die Leser*innen befinden sich direkt im Geschehen und können den Gedanken der Erzählerin erst nach und nach entnehmen, dass Mikko ein früherer Geliebter war, den sie zu schnell und ungewollt durch einen weiteren Mann ersetzt hat, der wiederum an einer schweren Krankheit stirbt. Gregor beschönigt nichts und verhandelt ernste Themen, mit denen nahezu jede*r schon einmal Berührungspunkte hatte. Gerade daher erzeugen die Erzählungen Nachdenklichkeit und Empathie. Auch die verwendete Alltagssprache sowie die durchweg genutzte Perspektive der internen Fokalisierung fördert diesen Prozess und lässt das Gesagte glaubhaft und ehrlich wirken.
Etwas an der Schwere der Nachricht fiel ihm leicht. Er hatte es so trocken gesagt, wie er alles sagte. Seine Haare waren zerzaust, aber sonst sah er aus wie immer. Er hatte ein Bein zugedeckt, das andere lag nackt über der Bettdecke. Ich starrte auf seinen Oberschenkel, während er sprach. Meine Hand auf sein Knie gestützt. Er sagte, er wisse es schon seit ein paar Wochen. Er habe versucht, es mir zu sagen. Dann wieder habe er versucht, es zu vergessen. Er sei erleichtert, dass ich es nun wusste. Und es tue ihm auch leid, wirklich. Für uns beide. Sein Bettnachbar sah auf, ein alter Mann mit wirrem, weißem Haar. Er überflog verärgert unsere Gesichter, drehte sich um. Ich beugte mich über Paul, legte meinen Kopf auf seine Brust, hörte seinen Herzschlag. Dann wurde mir übel.
Trotz der Schwere der verhandelten Themen sind die Erzählungen zugänglich und schnell gelesen – gerade das ist es, was den Erzählband ausmacht. Unter Wasser ist ein Band zum Blättern, Lesen und Wiederlesen. Es ist der erste Erzählband der Schriftstellerin, die bis dato sowohl mit ihrem Debüt Kein eigener Ort (2011) als auch mit ihrem zweiten Werk Territorien (2015) Romane geschrieben hat, die großen Anklang fanden – Kein eigener Ort gelangte im Jahr 2012 auf die Shortlist des Alpha-Literaturpreises. Mit ihren wirklichkeitsnahen und ausdrucksstarken Erzählungen erinnert Gregor an Autorinnen wie Judith Hermann oder Julia Franck.
Jetzt bleibt nur noch die Hoffnung, dass sie ihre Erzählwelten in möglichst naher Zukunft weiterspinnt. Vielleicht widmet sie sich in ihrem nächsten Band ja der Gefühlswelt oberhalb der Wasseroberfläche.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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