Zwischen Fankult und Eigensinn

„Umgaukelt von westlichen und östlichen Ködern“ – Hermann Hesses Briefe aus den Jahren 1951-1957, herausgegeben von Volker Michels

Von Carina GrönerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carina Gröner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist das Jahrzehnt der Nierentische und Tütenlampen, der Goggomobile und Petticoats. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt langsam wieder eine Art Normalität im deutschsprachigen Raum ein. Literarisch wagen junge Literaturschaffende um Hans Werner Richter als Gruppe 47 einen Neuanfang. Unter diesen ist auch Martin Walser, der 1957 den Hesse-Literaturpreis erhält, eine Entscheidung, mit der Hesse selbst einverstanden ist, wie er in einem Brief an Peter Suhrkamp erklärt. Zu dieser Zeit ist Hermann Hesse selbst längst – wieder – etabliert, wie er es in einem Brief von 1952 anhand einer Anekdote beschreibt: „In Konstanz brachten sie folgendes fertig: irgend einmal, vor Jahrzehnten schon, haben sie einem Sträßchen meinen Namen gegeben; als Hitler kam, haben sie den Namen durch den von Finckh ersetzt, und als Hitler weg war, haben sie den Finckh wieder gestrichen und wieder den Hesse hingesetzt“.

Hesse wird 1957 achtzig Jahre alt und gehört damit zu den Alten in der deutschen Literatur. Er nimmt diesen Umstand mit Humor, gerade wenn ihm wieder zahlreiche junge Schriftsteller Proben ihrer Texte senden oder ihm gar Verbesserungsvorschläge für die seinigen machen, wie ein Antwortbrief 1952 an einen mit „R.“ abgekürzten Leser zeigt. Diesem mit ausführlichen formalen Korrekturvorschlägen für ein frühes Gedicht Hesses aufwartenden R. antwortet Hesse freundlich und ausführlich, aber mit subtilem Humor, wenn er über das Wiederlesen seiner frühen Kompositionen sagt: „Aber ich habe dabei, und beim Lesen der Tausende von Anfängergedichten, das mir später zugemutet wurde, eine eigentümliche Erfahrung gemacht: daß nämlich das Herumkorrigieren an fremden Gedichten viel weniger schwerfällt als das an den eigenen“. Noch immer unermüdlich korrespondiert Hesse, antwortet auch auf Unerfreuliches, wie einen „Ohrfeigenbrief“ aus dem Jahr 1951, der ihm politische Untätigkeit 1933 unterstellt. Die Mühe, die Hesse diese Korrespondenztätigkeit kostet, klingt in vielen der Briefe in diesem Band an, ebenso wie sein reflektierter und nicht selten altersmilder Abstand zur Tagespolitik. Unter einem 1954 an seinen Freund und Verleger Wilhelm Stämpfli gesendeten Gedichtzitat des alten Goethe aus den Zahmen Xenien erklärt er: „Wir Alten dürfen schon zuweilen miteinander ein bißchen ‚ältelen‘“.

Doch auch als alter Mann bleibt Hermann Hesse ein eigensinniger und gleichzeitig ein manchmal müder und dennoch unermüdlicher Korrespondenzpartner für viele Leserinnen und Leser, Freundinnen und Bekannte sowie Künstlerkolleginnen und Kollegen. Mit diesem Eigensinn sperrt sich der im Schweizer Montagnola lebende Nobelpreisträger von 1946 auch vehement gegen jede ideologische, politische oder auch kommerzielle Vereinnahmung durch westliche oder östliche Akteure, Institutionen oder durch politische Systeme, wie gleich mehrere Briefe in diesem Band zeigen. Immer wieder werben verschiedene Institutionen und Personen aus Ost und West um seine Aufmerksamkeit oder versuchen, den bekannten Schriftsteller für ihre Zwecke zu gewinnen. Hesse spricht in den Briefen offen über diese Versuche, wie etwa seine Ablehnung einer Mitgliedschaft im Ehrenpräsidium des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung in Leipzig oder des ostdeutschen Pen-Clubs. Er kommentiert diese Vereinnahmungsversuche aber auch zuweilen bissig, wie den bereits zu Lebzeiten einsetzenden Handel mit „Privatbriefe[n] von mir zu lächerlich hohen Preisen […] oft mit Fußnoten wie ‚aufschlußreich für das Privatleben des Dichters‘ oder das ohne sein Wissen gegründete Kölner „Hesse-Archiv“, das er als „schlimmste Affäre dieser Art“ bezeichnet.

Dieser von Volker Michels herausgegebene und die Hesse-Korrespondenzen aus den Jahren 1951 bis 1957 umfassende Briefband zeichnet nicht nur ein lebendiges Bild des literarischen Lebens im deutschsprachigen Raum in den 1950er Jahren, er gibt gerade durch die Briefe von und an unbekannte Leser sowie durch viele oft beiläufig wirkende Kommentare einen spannenden Einblick in eine interessante Facette literarischer Fankultur, die zwischen intelligenter Kulturkonversation und Verehrung und Vermarktung des Fanobjekts Hesse changiert.

Titelbild

Hermann Hesse: »Umgaukelt von westlichen und östlichen Ködern«. Die Briefe 1951-1957.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.
600 Seiten , 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783518431139

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