Weibliches Kriegs- oder Friedenstheater?

Lee Teodora Gušić’ Arbeit an der weiblichen Theaterstimme zu den postjugoslawischen Kriegen

Von Sotirios AgrofylaxRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sotirios Agrofylax

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gut 20 Jahre nach Ende der zahlreichen postjugoslawischen Kriege hat sich eine große Anzahl von Texten versammelt, die versuchen, dieses europäische Trauma der Neuzeit zu verarbeiten. Neben den im deutschsprachigen Raum bekannten Namen wie Saša Stanišić oder Melinda Nadj Abonji, die vor allem in Prosatexten ihre Kriegserlebnisse verarbeitet beziehungsweise bearbeitet haben, gibt es noch eine ganze Reihe anderer Namen, die den kriegerischen Untergang des Vielvölkerstaates Jugoslawien auch für die Bühne adaptiert haben.

Das Trivium „Krieg-Frauen-Theater“ hat bisher in der Forschung kaum Anklang gefunden. Mit dieser Arbeit versucht Lee Teodora Gušić, diese Lücke zu schließen. Frauen leiden im Krieg oft anders als Männer. Sie fallen heute immer noch seltener an der Front als männliche Personen, sind aber meist Opfer von Massakern, Vergewaltigungen und anderen Kriegsverbrechen hinter der ersten Kampflinie. Diesen Frauen versuchen eine Vielzahl von Theaterstücken eine Stimme zu geben. Oder sie nehmen ihnen die Stimme ganz weg. Stimme als zentrales Medium des Theaters hat auch dann besonderen Klang, wenn sie auf der Bühne fehlt. Stille auf der Bühne kann einen heftigeren Durchschlag haben als Geschrei.

Lee Teodora Gušić untersucht in ihrer nun veröffentlichten Dissertationsschrift Theater im Krieg – Friedenstheater? Theaterstücke zu den Jugoslawienkriegen (1991–1999) fünf dramatische Texte von fünf Autorinnen: Sarah Kane, Biljana Srbljanović, Milena Marković, Ivana Sajko und Simona Semenič. Alles Autorinnen einer Generation, die sich mit den Kriegen nach Ende der jugoslawischen Ära in Südosteuropa literarisch auseinandergesetzt haben. Vier Autorinnen stammen selbst aus diesem ehemaligen Vielvölkerstaat bzw. sind mit diesem in Beziehung zu bringen. Mit Sara Kane ist zudem eine britische Dramatikerin unter den untersuchten Autorinnen, die als Vertreterin des „In-Yer-Face-Theaters“ mit ihrem Stück Zerbombt einen der größten Theaterskandale der Nachkriegszeit auslöste.

Den Fokus legt Gušić dabei nicht nur auf die Frage, wie der Krieg auf die Bühne gebracht werden kann. Sondern sie fragt auch nach der spezifisch weiblichen Sicht auf den Krieg und zwar aus zwei interessanten Perspektiven: Einmal auf die weibliche Stimme der Autorinnen, die die Texte geschrieben haben. Und andererseits auf die spezifisch weiblichen Figuren dieser dramatischen Texte. Geschlecht ist hier als konstitutives Element anzusehen, das im Rahmen dieser begrenzten Theatergeschichten im Fokus steht.

Die Arbeit ist Teil einer feministischen Literaturwissenschaft. Es geht in erster Linie darum, starke Frauenfiguren zu zeigen, die nicht die stereotype Erwartungshaltung an eine Frau im Krieg, wenn es so etwas überhaupt gibt, erfüllen. Gušić will die positiven Momente herausstellen, die es ihrer Meinung nach auch im Grauen des Krieges geben muss.

Dabei arbeitet sich das Buch an mehreren Grundthesen ab: Zum einen die These, dass es in all dem Schrecken, das in diesen Theaterstücken dargestellt wird, auch etwas Versöhnliches, Sanftes oder gar Komisches geben muss. Zum anderen, dass es bei kriegerischer Gewalt immer auch um Machtdemonstration geht, die vor allem auch durch sexualisierte Gewalt stattfindet. Gewalt wird dabei auf der Bühne regelmäßig ostentativ zur Schau gestellt.

Gušić leistet mit diesem Buch einen wichtigen Beitrag zur Erforschung weiblicher Stimmen in der gegenwärtigen Theaterdichtung. Dabei kann sie zeigen, welche vielseitigen Facetten Theater haben kann und wie sich Weiblichkeit auf das Drama auswirken kann. Dabei gibt es nicht DAS weibliche Theater, sondern weiblich konstruiert oder fokussiertes Drama kann genauso viele Formen annehmen, wie es männliches Theater haben kann. Dem Buch fehlt es zwar etwas an Struktur und kritischem Korrekturlesen, vor allem auch bei Layout und Fußnotenapparat. Trotzdem ist das Buch eine interessante und lesenswerte Untersuchung eines großen Graufelds innerhalb der neueren deutschen Literaturwissenschaft.

Titelbild

Lee Teodora Gušić: Theater im Krieg – Friedenstheater? Theaterstücke zu den Jugoslawienkriegen (1991–1999).
Frank & Timme Verlag, Berlin 2021.
562 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783732906741

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