Ringen um Authentizität

Wie Autor Gabe Habash in seinem Debütroman „Stephen Florida“ von seinem eigenen Protagonisten aus dem Ring gedrängt wird

Von Leoni BuchnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Leoni Buchner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Liest man die ersten Seiten in Gabe Habashs 2017 im Original und 2019 in deutscher Übersetzung bei Rowohlt erschienenen Stephen Florida, scheint der gleichnamige Protagonist uns tatsächlich eine vielversprechende Geschichte erzählen zu wollen. Er erzählt sie zu Beginn mit einer provokanten, starken Stimme. Selbst fragt er sich: „Wenn ich eine Figur in einem Buch wäre, wäre ich dann sympathisch?“ und die Antwort wäre wohl nein, aber vielleicht wäre er interessant, also liest man mal weiter und schaut was auf den kommenden 400 Seiten noch so passiert.

Unser Protagonist ist Ringer am Oregsburg College in North Dakota. Sein Antrieb ist fast schon ein bisschen klischeehaft, er hat seiner Großmutter vor ihrem Tod versprochen, die Championship zu gewinnen, und seitdem ringt er obsessiv mit sich selbst und anderen, um sein Versprechen zu halten. Eine Zeitlang scheint alles gut zu laufen, Stephen hat einen guten Freund, ein Manic Pixie Dream Girl, die es fast schafft, seinem Leben abseits des Ringens einen Sinn zu geben… Doch natürlich – wie könnte es anders sein – verletzt Stephen sich auch halbem Wege zur Championship. Und offensichtlich trifft ihn das hart. Es folgt eine depressive Phase, die nicht problematisch, aber auch nicht sonderlich authentisch erzählt wird. Abgesehen von einem Trainer, der die Studenten missbraucht, und einem Jazz Dozenten, der seine Frau vielleicht ermordet hat, tauchen wir dann ganz in die Obsession des Protagonisten ein, von dem sich die ganze Welt abzukehren scheint. Für Stephen Florida dreht sich alles darum, nach Kenosha zur Championship zu kommen, IN Stephen Florida dreht sich alles darum, herauszufinden, wie komisch Stephen wirklich ist.

Die Provokanz vom Anfang verwandelt sich schnell in reines Pathos, was nicht zwingend schlecht sein muss, es in diesem Fall aber doch sehr anstrengend macht, mehr als fünf Seiten am Stück zu lesen. Der Protagonist bleibt trotz allem das bei weitem gelungenste des Romans. Immer wieder fragt man sich, ob man Stephen trauen kann, ob er die Leser*innen anlügt und die Ereignisse absichtlich verzehrt oder ob er selbst den Bezug zur Realität verliert, was sich bis zu fast psychodelisch wirkenden Passagen steigert und tatsächlich den Eindruck vermittelt, Stephen sei eine interessante und komplexe Figur. Bis dann der erste Dialog kommt. Spätestens hier wird man zu der Erkenntnis gezwungen: das Ganze wirkt nicht ein bisschen komisch, weil Stephen ein bisschen komisch ist und seine Umwelt als Extreme wahrnimmt, sondern es scheint einfach Habashs Stil zu sein, an dem man sich abzuringen hat. Die Figuren im Roman stellen keinen Kontrast zu Stephens Sicht auf die Welt dar, das Geschehen wird nicht spannend reflektiert. Dabei bricht die Illusion, Stephen sei der auf dem Klappentext angekündigte „faszinierende Held“. Die Geschichte wird lediglich eintönig und alles, was vorher irgendwie spannend gewirkt hat, erscheint nur noch plump. 

Das Ganze könnte funktionieren, vielleicht liegt der Reiz des Buches genau in dieser stereotypen Plumpheit, aber Habash versucht in seinem Debüt doch zu stark, eine klassisch realistische Coming-of-Age-Geschichte zu verkaufen, als dass man misslungene Darstellungen mit einem artifiziellen Stil rechtfertigen könnte.  Nichts neues und nichts, das nicht auf den ersten 100 Seiten gesagt wäre. Die Dialoge sind dabei schlecht. Figuren noch plumper zu stereotypisieren wird schwer. Zwischendurch ringt man nur noch mit der Frage, ob man es noch mit der Desorientierung des Protagonisten zu tun hat oder ob der Autor einfach selbst den Faden verloren hat.

Wirklich gelungen ist Habash dann aber doch noch die Beschreibung dessen, um das es ja eigentlich gehen sollte: Das Ringen. Obwohl oder vielleicht gerade weil er selbst nie Ringer war, gelingt es ihm, dass man sich beim Lesen so fühlt, als stünde man selbst auf der Matte. Zumindest für recht unerfahrene Ringer*innen wirkt das sehr authentisch.

Am Ende lernen wir dann noch, dass Gewinnen nicht alles ist. Und die letzten drei Sätze sind tatsächlich noch toll. Das rettet das Ganze aber nun auch nicht.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2021 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2021 erscheinen.

Titelbild

Gabe Habash: Stephen Florida. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hannes Meyer.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2019.
413 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783498073978

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