Blaupause der Revolution

In seinem Debütroman „Stadt der Rebellion“ taucht Omar Robert Hamilton in die ägyptischen Aktivistenkreise des Arabischen Frühlings ab

Von Jonas HeßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Heß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ägypten 2011. Was wir heute als Arabischen Frühling bezeichnen, ergreift ausgehend von Tunesien im Westen das Land am Nil. Etwas später folgt unter anderen Ländern Syrien, wo sich der Protest schließlich zum Bürgerkrieg und internationalen Konfliktherd entwickelt und es bis heute – tausende Tote später – bleibt. In Ägypten hingegen führte die Rebellion weg von Husni Mubarak zum Muslimbruder Mohammed Mursi und nach dem Putsch des Militärs zu dem General Al-Sisi an der Spitze des Staates. Vor wenigen Tagen wurde er mit nahezu einstimmiger Mehrheit wiedergewählt.

Wie es von den Massendemonstrationen mit Forderungen nach mehr Rechten und Freiheiten zu einer streng islamisch-religiösen und schließlich einer militärisch-autoritären Regierung kam, schildert Omar Robert Hamilton in seinem Debütroman „Stadt der Rebellion“. Dabei folgen wir dem jungen Aktivisten-Paar Khalil und Mariam und ihren Mitstreitern durch die Wirren der Straßenschlachten, aktivisteninternen Diskussionen und politischen Klüngel in Kairo – der Stadt der Rebellion.

Khalil ist ein aus Amerika heimgekehrter Ägypter und damit nicht nur unser Vermittler mit östlichem wie westlichem Blick, sondern auch autobiografischer Anknüpfungspunkt. Hamilton selbst – Sohn eines Briten und einer Ägypterin – war 2011 aus Amerika nach Kairo gekommen, um die Revolution zu verfolgen. Als Mitgründer des Aktivisten- und Medienkollektives Mosireen, welches die Proteste und die gewaltsamen staatlichen Gegenschläge dokumentierte und ungeschnitten online veröffentlichte, nahm er dann auch an den Aufständen teil. Im Buch heißt das entsprechende Kollektiv Khalils und seiner Freunde schließlich „Chaos“.

Der Roman, der dann auch konsequent aus der Perspektive der jungen und zunächst noch hoffnungsvollen Demonstranten und Aktivisten durchs Geschehen führt, gliedert sich formal in die drei Teile „Morgen“, „Heute“ und „Gestern“. Damit ist der Verlauf der Revolution, der, mit einzelnen Daten über den kurzen Kapiteln versehen, allerdings streng chronologisch geschildert wird, bereits vorgezeichnet: vom hoffnungsvoll-optimistischen Beginn 2011/2012, über das Erschrecken angesichts des Erfolgs der Muslimbrüder 2012/2013, bis hin zur Bestürzung und Resignation über die Rückkehr der altbekannten putschenden Armee an die Macht 2013/2014.

Als Gegenpol zum politischen, aktivistischen Topos, strategischen Erwägungen und der Brutalität der Straßenkämpfe fungiert einzig die Liebesbeziehung der beiden Hauptcharaktere, welche jedoch stets revolutionsromantisch ins Geschehen verflochten ist: „Und dann griffen seine Hände nach ihr. Er war nicht angeschossen und seine Hände gruben sich in ihre Haare und strichen über ihren Rücken und keiner von ihnen blutete und keiner von ihnen war tot.“

Dass Hamilton von Haus aus zudem sowohl Essayist als auch Filmemacher ist, bemerkt man dabei zum einen bei Stellen, an denen das Kino und die Filme, die die Aktivisten interessierten Zuschauern vorspielen, als Medium und organischer Teil der Umwälzungen zu Tage tritt: „Der Wind kräuselt die Leinwand. Ein Molotow-Cocktail fällt durchs Bild, aber die Revolutionäre weichen nicht zurück. Die Menge hält den Atem an. Sie werden den Platz halten. Sie werden Mubaraks Milizen zurückschlagen. Die Revolution wird siegen. Das hier – er lächelt in sich hinein – das hier ist Kino.“

Zum anderen merkt man es an der collagenartigen Struktur des gesamten Romans. Tweets, Sprechparolen, Songtexte, Radio- und Fernsehmeldungen usw. sind in den Fließtext eingestreut. Die Handlung pendelt zwischen den Wohn- und Arbeitsräumen der Aktivisten, wo Videos editiert und hochgeladen aber auch Mitstreiter verarztet werden, und den Straßen und Plätzen der Stadt mit ihren staubig-blutigen Demonstrationen und Handgemengen. Immer wieder wird sie durchsetzt mit kontemplativen Miniaturen aus der Sicht von Hinterbliebenen und Angehörigen der bei den Protesten durch die Staatsgewalt Getöteten.

Die so erzeugte Nähe zum Geschehen, vom dominierenden Präsens des Erzähltempus zudem noch unterstrichen, wird gelegentlich ergänzt durch poetisierende Reflexionen und Schilderungen, die jedoch manchmal ins Kryptische abzudriften drohen. So lesen wir von der „fluoreszierende[n] Leere im Zimmer eines toten Sohnes. Sein Vater, die Einsamkeit der Schneelandschaft und die stille Zelle. Abwesenheit, ein leeres Fluoreszieren.“ Auch wird an manchen Stellen ein klein wenig zu dick aufgetragen, sodass entsprechende Passagen etwas überzogen wirken: „Jeder noch so winzige Atemzug drückt ihre Rippen in ihre eingefallenen Lungen. Kurze. Hektische. Atemstöße. Die Plastikfolie wird die Löcher verschließen. Ihre Hand hält seine fest, aber sie sieht an ihm vorbei. Kurze. Hektische. Atemstöße.“

Doch fallen solche eher seltenen Absätze schlussendlich kaum ins Gewicht. Denn es gelingt Hamilton trotz allem, die Ordnung im Chaos und die Hoffnung in der Verzweiflung der Revolution abzubilden. Ihr großes Potential – und ihre Aussichtslosigkeit.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Omar Robert Hamilton: Stadt der Rebellion.
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018.
320 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783803132949

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