K(l)eine Abenteuer in Flensburg

Frank-Peter Hansen porträtiert in „Flensburg – Kleine Fluchten“ seine Heimatstadt

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Philosoph spaziert durch Flensburg und schreibt darüber. In der Literatur- und Geistesgeschichte hat die nördlichste Stadt Deutschlands, in der Flensburger Förde gelegen, Spuren hinterlassen, die im „still genießenden Schlendern“ entdeckt werden sollen. Der diskrete Charme der umgebenden Landstriche und die möglicherweise überregionale Bedeutung etlicher Sehenswürdigkeiten müssen sorgsam erkundet werden. Frank-Peter Hansen unternimmt eine Reise durch seine Lieblingsstadt, schildert persönlich koloriert historische Begebenheiten und hegt spezielle Vorlieben für besondere Bau- und Kunstwerke, die er ohne jeden „Anspruch auf überpersönliche Objektivität“ vorstellt.

Hansen, der „Flensburger Jung“, beginnt seine Streifzüge durch Flensburg und Umgebung am Nordertor, dem „Wahrzeichen Flensburgs“. Der ortsfremde Leser ist mäßig beeindruckt und denkt sich, das Foto betrachtend: Nun, das Flensburger Nordertor ist nicht das Lübecker Holstentor. Über das Nordertor, bedingt imposant, schreibt der Autor: „Wie der Name bereits sagt, wurde es im Zuge der ungefähr 1345 in Angriff genommenen Errichtung der Stadtmauer im Norden des Schutzwalls eingefügt.“ Berichtet wird sachlich, oft ohne Umschweife, manchmal etwas ausdauernd. Diese Berichte über die Sehenswürdigkeiten werden mitunter anekdotisch ergänzt oder um Perspektiven erweitert, gelegentlich mit Wörtern aus dem Flensburger Platt humorvoll und auch schelmenhaft verknüpft. Der Lokalkolorit gewinnt eine sprachliche Gestalt und Gestaltung.

Historische Begebenheiten werden eingeflochten, die Flensburger Geschichte in Geschichten erzählt. Wer mag, kann eine gut verborgene Kritik an den Windkraftenergieanlagen entdecken:

In Flensburg existieren noch exakt zwei Windmühlen, die so aussehen, wie eine Windmühle auszusehen hat. Holländisch eben, weswegen sie ja auch so heißen. Die unter Denkmalschutz stehende Bergmühle von 1792 und die Johannismühle auf dem Sandberg. Wenn man bedenkt, dass diese, ihrer Klobigkeit zum Trotz, dennoch anmutigen Bauwerke in ferner Vergangenheit tatsächlich das Stadtbild geprägt haben, könnte man wehmütig werden. Es gab anno dazumal sage und schreibe Windmühlen im Flensburger Stadtgebiet.

Die Zeit der Windmühlen, so denkt vielleicht auch die eine Leserin oder der andere Leser, scheint vorüber zu sein, heutige Generationen werden eher die Stahlbauten der Windenergie sehen und im Gedächtnis behalten, die zwar energiepolitisch nützlich sein mögen, aber vom Charme her gewiss nicht mit den klotzigen Windmühlen aus alten Zeiten mithalten können. Diese Bauwerke strahlen, so Frank-Peter Hansen, „Unverwüstlichkeit“ aus, möglicherweise auch darum „spendet ihr Anblick Trost“. Sakralbauten und Schulen werden indessen historisch farbig porträtiert, auch das architektonisch ansehnliche „Logenhaus Flensburg“ würdigt der Flaneur Hansen. Er benennt die Ideale der Freimaurer – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Sodann schreibt er:

Denn auch, wenn in den Logen eine klare Hierarchie institutionalisiert war und nach wie vor ist, mit den Graden des Meisters – der Vorsitzende trägt den unfreiwillig komisch klingenden Namen Meister vom Stuhl – Gesellen und Lehrlings, was an Ausbildungsverhältnisse in der bürgerlichen Eigentumsordnung denken lässt, innerhalb der Logen war dennoch von Anbeginn an ein vergleichsweise egalitärer Umgang institutionalisiert.

Zugleich bemerkt Hansen, dass die Freimaurer eigentümlich „lichtscheu“ seien. Bei der Darstellung der katholischen Kirche Stella Maris indessen unterläuft dem Autor ein Lapsus. Die Kirche sei zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut worden, „zu deutsch: St. Marien Schmerzhafte Mutter“. An Norddeutschlands Küsten sind viele katholische Kirchen „Stella Maris“ genannt – und nicht der schmerzhaften Mutter Maria geweiht, sondern der Gottesmutter Maria, der „Stella Maris“, dem Stern des Meeres. Eine weitere religionsgeschichtliche Ergänzung scheint nötig zu sein. Wenn Hansen das Franziskanerkloster der „Graubrüder“ beschreibt, so verlegt er die nach wie vor – zumindest jenseits von Flensburg – noch sehr lebendige Ordensgemeinschaft in die Vergangenheit: „Die Franziskaner waren ein Bettelorden; Armut und ein weitestgehender Verzicht auf irdische Genüsse waren Standard, oder sollten es sein.“ Ein wenig holprig formuliert klingt dies auch.

Etwas flotter würdigt Hansen die St. Jürgen-Kirche als „Kulturdenkmal“ und schreibt:

Eigentlich müsste sie, nach ihrem Namensgeber, dem heiligen Georg, St. Georg-Kirche heißen. Da aber Georg im hohen Norden der Republik auch, wahlweise, Jürgen heißen kann – wat dat nich allns givt – entschied man sich für die Variante, eventuell deswegen, weil Jürgen ein wenig melodischer klingt als Georg?!

Das könnte so sein, und hoch im Norden, das lässt uns Hansens Buch ahnen, ticken manche Uhren vielleicht doch ein wenig anders. Auch das nahegelegene Schloss Glücksburg wird kurz gestreift, weithin bekannt. Ein Foto zeigt es, der Betrachter darf‘s betrachten, der Autor lässt „jetzt aber das Schloss Schloss sein“ und radelt nach Norden, „wo uns bald schon die liebliche Bucht der Schwennau nach einer Rechtskurve in Empfang nimmt“. Wer Frank-Peter Hansen lesend – oder auch Rad fahrend – folgen möchte, darf das sicher ungeniert tun.

Zugegeben, dieser andere und vielleicht auch wirklich besondere Reiseführer bietet ungewohnte Ansichten von Flensburg, eigentümliche, mitunter wunderliche und gelegentlich norddeutsch herbe, spröde Texte zu Sehenswürdigkeiten und taugt als solcher in keiner Weise für kulturbeflissene Bildungstouristen, die aber vermutlich ohnehin nicht in Scharen nach Flensburg fahren würden. Die Fotografien in diesem Band wirken nebelgrau, manchmal, als ob die Belichtung nicht ganz stimmen würde – sie sind vielleicht nicht kunstvoll gestaltet, aber in jedem Fall auch mitnichten künstlich. Man könnte sagen: authentisch. Dieser „Reisebegleiter“ beherbergt viele Geschichten aus dem Norden, liest sich aber nicht durchgängig so flüssig, wie die Förde fließt. Als Einladung zu einer Visite in Flensburg ist das Buch gewiss gemeint. Vielleicht mögen Leserinnen und Leser die Stadt ganz anders erleben und beschreiben, als es Frank-Peter Hansen in diesem in einem guten Sinne höchst eigenwilligen Reiseführer tut. Der Autor erzählt nicht feierlich und wissend die Geschichte von Flensburg, ermuntert aber auf seine ganz eigene Art dazu, Geschichten in Flensburg zu erleben – und sich die Stadt im Norden anzuschauen.

Titelbild

Frank-Peter Hansen: Flensburg – Kleine Fluchten. Ein Reisebegleiter.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
252 Seiten , 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783826077753

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch