Kalkulierbarkeit für den japanischen Kleinbürger
Hika Harada gibt in „3000 Yen fürs Glück“ Ratschläge zum privaten Geld- und Lebensmanagement
Von Lisette Gebhardt
Hika Haradas 3000 Yen fürs Glück erschien im Original unter dem Titel Sanzen-en no tsukaikata („Die Verwendung von 3000 Yen“) im Jahr 2018 und wurde dann vor allem in der Taschenbuchausgabe von 2021 ungemein populär. Mit über 600.000 verkauften Exemplaren in Japan erreichte der mittlerweile als TV Dorama-Miniserie verfilmte Beitrag Bestsellerstatus.
Geld und Leben
Der Text aus der Sparte Unterhaltungsliteratur, Subgenre ikikata no hon (Ratgeber), beschreibt die Finanzen und Lebensmodelle der Mitglieder einer Durchschnittsfamilie aus Japans Mittelklasse: Zu den Mikuriyas gehören Vater (Kazuhiko) und Mutter (Tomoko), die beiden Töchter Maho und Miho, sowie Kotoko Mikuriya, Kazuhikos Mutter und Großmutter von Maho und Miho. Geschildert werden zudem soziale Interaktionen über die Familie hinaus, etwa Frauenfreundschaften oder nachbarliche Beziehungen. In erster Linie tauschen sich die vier Protagonistinnen zu Fragen im Hinblick auf Fixkosten, Sonderangebote und Anlagemöglichkeiten aus. Wie sehr die finanziellen Ressourcen den Bewegungsradius einer Person bestimmen, erläutert die Autorin in sechs Kapiteln mit unterschiedlicher Figurenkonstellation. Themen sind unter anderem individuelles Geldverständnis, Sparvermögen und die Kunst des Sparens, „Kosteneffektivität“ und wichtige Lebensentscheidungen.
Kakeibo! Das Haushaltsbuch als Orientierungshilfe
Harada rät ihrer Leserschaft, sich stärker mit wirtschaftlichem Denken auseinandersetzen. Das erworbene Wissen bedeute, so legt es die Autorin nahe, Selbstermächtigung in den schwierigen Zeiten nach der Lehman-Pleite, in denen der kleine Bürger nicht mit dem Wohlwollen eines Gegenübers rechnen könne. Banken versuchten von den mangelnden Kenntnissen ihrer Kunden zu profitieren, für den schlimmsten Fall gelte es, Versicherungskonditionen und Eheverträge zu überprüfen. Grundlage für die Beherrschung der eigenen Finanzen sei es, ein Haushaltsbuch zu führen. Mit ihrem Plädoyer für ein historisches Mittel der Volks- und Frauenbildung greift Harada auf die Ideen der im Buch namentlich erwähnten Journalistin und Herausgeberin der bekannten Zeitschrift Fujin no tomo („Der Freund der Frauen“), Motoko Hani (1873-1957), zurück. Hanis kakeibo („Haushaltsbuch“) erschien bereits 1904; es setzte damals politisch gewollte Rationalisierungskonzepte im Bereich des Familienlebens um, die die Funktionalität des Nationalstaats förderten. In Deutschland hatte, nebenbei angemerkt, die unternehmerisch tätige, später als Mitbegründerin des neuen Deutschen Hausfrauenbundes in Frankfurt wirkende Fini Pfannes (1894-1967) in den 1920er Jahren ein vorgedrucktes Haushaltsbuch mit Hinweisen und Rezepten auf den Markt gebracht.
Bei der Werbung für Haradas Werk lenkt der dtv Verlag das Augenmerk folgerichtig auf den Aspekt der praktischen Anwendung im Fall des kakeibo und bietet über einen QR-Code Gratis-Vorlagen zum Download an. Kakeibo wurde spätestens seit dem Jahr 2018 – neben ikigai („Lebenssinn“), kintsugi („vergoldetes Zusammensetzen“; Prinzip der Wertschätzung von Fehlerhaftigkeit) und shinrinyoku („Waldbaden“) – zu einer weiteren japanischen Lebenskunst-Formel für den Buchmarkt. Der Werbeeffekt resultiert aus dem Instant-Gebrauch-Angebot. Im Lifestyle-Influencer-Sprech offeriert kakeibo ein einfaches Blitzrezept, mit dem die geneigte Leserschaft durch konsequente Ausgabenkontrolle schnell zu mehr Sicherheit und Gelassenheit gelangen kann.
Enge Horizonte
Das beraterische Moment prägt 3000 Yen fürs Glück in der Tat sehr stark. Mehr als ein Familienroman oder ein „Geldroman“, wie ihn die japanische Kritik bezeichnet, ist Haradas Text ein Beitrag zu zwischenmenschlichen Verhältnissen (ningen kankei), einem Thema, das die japanische Gesellschaft bis heute bestimmt. Der Etikette des richtigen Miteinanders weist man einen hohen Stellenwert zu; sie legt Zeugnis vom Reifegrad eines Menschen ab. Insofern nimmt es nicht wunder, dass die Einsichten der Großmutter Kotoko im Zentrum der Betrachtungen stehen. Ihr Werturteil bildet den Maßstab, wobei die Autorin am Ende argumentiert, dass es das Familienkollektiv ist, das durch solidarische Unterstützung die individuellen Wünsche des Einzelnen trägt. Beispiel dafür sind Miho und ihr Partner Shohei. Sie planen die Heirat. Das Paar steht aber vor dem Problem, einen nicht unerheblichen Studienkredit Shoheis abbezahlen zu müssen. Das Darlehen für das Kunststudium in der Höhe von sieben Millionen Yen (mit Zinsen) stellt eine enorme Zukunftsbelastung dar und seine Eltern, der Schilderung nach dem linksalternativen Milieu zugehörig, lassen ihn in dieser Situation völlig im Stich.
Wenn nun der traditionelle japanische Familienrat einberufen wird und die Mikuriyas schließlich gemeinsam eine Lösung finden, wird klar, welche Botschaft die Autorin bereithält: Sie vertritt, obwohl sie sich in mancher Passage des Texts gegen die Benachteiligung von Frauen ausspricht, konservative Normen und stützt letztlich das im Nationalstaat lange kultivierte kollektivistische Ideal – Vorstellungen, die die meisten zeitgenössischen japanischen Autoren und Autorinnen weit von sich weisen würden. Haradas Perspektive beruht auf der Schemaliteratur und der ihr inhärenten sentimentalen Emotionalität (jap. ninjômi), während sie genau diese Begrenztheit feiert. Hier geben schon die verschiedenen Stadtteilkulturen der Metropole trennende Lifestyle-Muster vor, und es wird als lobenswerter Ausdruck von ungewöhnlicher Offenheit verbucht, wenn die Mikuriyas gewillt sind, eine Person mit Kunststudium als Ehepartner zu akzeptieren. Die begrenzte Sicht der Dinge verleiht der Geschichte für das japanische Lesepublikum, das die Vibes der guten alten Shôwa-Zeit wahrnimmt, den Reiz des Althergebrachten – wobei vergessen wurde, wie erstickend die Moral des Familienrats war.
Ein westlicher Rezipient mag sich bei den Ausflügen in die Banalitäten des japanischen Alltags eher langweilen. Themen wie Eheleben, Hochzeiten und Geldsorgen sowie Gespräche über das Anpflanzen von Kohl bieten keine Garantie für eine interessante Lektüre. 3000 Yen fürs Glück hält etliche Längen vor, Passagen also, denen man nur wenig abgewinnt, zumal sie auch auf der Ebene des Stils keine Aufmerksamkeit binden.
Sprachräume
Im Japanischen lesen sich die Beschreibungen besser, da die sprachliche Darstellung von Alltäglichkeit in zurückgenommener Rhetorik per se eine gewisse Ästhetik beinhaltet und mit ihr in knappster Form kulturelle Codes im Hinblick auf Haltung und Weltanschauung vermittelt werden. Diese Ebenen in der Übersetzung wiederzugeben, bleibt äußerst schwierig – wie man zudem nicht ohne weiteres in der Lage ist, zu vermitteln, welche Lebensstile die Stadtviertel der Metropole repräsentieren. Die Mikuriyas stammen aus dem Jûjô-Bezirk, einem Gebiet, im dem sich die working class angesiedelt hat und das für seine belebten Einkaufsstraßen mit vielen kleinen Läden (shôtengai) bekannt ist. Metaphorisch stehen die sogenannten shitamachi-Areale – im Kontrast zu diskret abgeschotteten Nobelquartieren der Elite – für die direkte Mitmenschlichkeit der japanischen Unterschicht. Ein nachbarschaftlicher Austausch wie der zwischen der 73-jährigen Kotoko und dem Jobber Yasuo in seinen 40ern entspricht ganz dem Ideal des imaginierten Kollektivs.
Szenen, in denen man Gemüseangelegenheiten erörtert, klingen folgendermaßen:
Chinakohl wird viel größer, als man denkt, deshalb sollte man viel Platz einplanen und zwischen den einzelnen Pflanzen den Abstand wahren. (Kotoko)
Der größte Chinakohl, den ich kenne, hat jedoch nur einen Durchmesser von etwa dreißig Zentimetern. (Yasuo)
Das ist der fertige Chinakohl, den sie verkaufen. Ein Chinakohl wächst erst mit großen Blättern empor, wie eine Blume und beginnt dann eine Kugel zu bilden, wenn sich die Knospe schließt. Deshalb muss zwischen den Pflanzen ein Abstand von mindestens vierzig Zentimetern eingehalten werden. (Kotoko)
Die eine solche Konversation rahmenden Erklärungen leuchten nicht unmittelbar ein:
Im Herbst säte Kotoko die Samen des Chinakohls aus, kultivierte sie zwei Monate lang sorgfältig bis sie genießbar waren, und sagte dann: „Lasst uns einen köstlichen Eintopf machen.“ Das gab ihr einen Lebenssinn. Es erinnerte Yasuo an seine verstorbene Großmutter. Das beiläufige Gerede der älteren Menschen traf ihn manchmal an unerwarteten Stellen.
Gewisse, ab und an auftretende Qualitätseinbrüche in der Sprachlogik verhindern, dass das Geschehen stets problemlos nachzuvollziehen wäre: Wie stellt man sich den durch die Formulierung bildlich heraufbeschworenen Eintopf aus „genießbaren“ Samen vor? Wie die „unerwarteten Stellen“, an denen „beiläufiges Gerede“ älterer Menschen einschlägt und seine Wirkung entfaltet? Bringt die Wendung „beiläufiges Gerede“ überhaupt zum Ausdruck, was in diesem Kontext gemeint ist? Inhaltlich betrachtet, erreicht Kotokos Wunsch, ihr Wissen an Jüngere weiterzureichen in solchen Passagen eine Obergrenze an Betulichkeit. Der schmale Grat zu Übergriffigem ist für einen westlichen Rezipienten der Geschichte gegeben, wenn sie sich als Vermittlerin zwischen Yasuo Komori und Kinari betätigt, einer Frau, die Yasuo trotz seiner Charakterschwächen die Heirat vorgeschlagen hat. In Japan ist das vermittelnde Einmischen in die Belange Dritter, osewa suru genannt, eine übliche soziale Praxis; allerdings dürfte sie sich gegenwärtig nicht uneingeschränkter Akzeptanz erfreuen.
Auf sprachlichem Feld wäre es Aufgabe der Verlagsredaktion gewesen, die eine oder andere Formulierung zu verbessern und der jungen Übersetzerin Hilfen zu geben. Sogar ein stärkeres textliches Eingreifen in puncto Straffung und Rhythmisierung hätte man von der Warte einer professionellen Redaktion aus in Erwägung ziehen sollen. Damit wären die Vorzüge von 3000 Yen fürs Glück besser zur Geltung gekommen, Redundanzen und Defizite ausgeglichen worden. Der „Kommentar der Übersetzerin“ sowie die „Übersicht zu den handelnden Charakteren“ (seltsam: Engelchen – Tierheim) bleiben leider hinter den Möglichkeiten zurück, die erklärende Zusätze zu Werk und Autor für gewöhnlich mit sich bringen.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
![]() | ||
|
||
![]() |