Lebe wild und gefährlich!

„Die wilde Sophie“ – ein spannender Kinderroman jenseits von Klischees

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht wirklich neu, aber wieder einmal neu aufgelegt wurde der Roman für Kinder Die wilde Sophie von Lukas Hartmann. Seit September 2017 liegt er nun bei Diogenes in gebundener Form mit ansprechenden Illustrationen von Susann Opel-Götz vor. Erstmalig erschienen ist das Werk bereits 1990. Mehrere Neuauflagen über Jahrzehnte hinweg künden von der Beliebtheit des Kinderklassikers bei der Leserschaft. Kein Wunder, handelt es sich doch thematisch um Erfahrungen, die der kindlichen Lebenswelt entsprechen. Ein übergriffiger Vater will alles bestimmen und tarnt seine Tyrannei mit der vermeintlichen Sorge ums Kind, eine vernünftige, aber schwache Mutter an seiner Seite versucht das Beste für ihren Sohn herauszuholen, kann sich jedoch nicht gegen den Vater durchsetzen. Und so braucht es dann schließlich Hilfe von außen, damit der kleine Junge nicht verkümmert, sondern durch eine tiefe Freundschaft den Weg in die Freiheit findet. Soweit die nüchterne Zusammenfassung des Kerns der Geschichte.

Natürlich kommt diese bei Lukas Hartmann viel poetischer und unterhaltsamer daher. Er hat den doch recht bedrückenden Plot ins Reich der Märchen versetzt, sodass man mit dem Lesen frohen Mutes beginnt und gespannt fortfährt, da man ja weiß, dass in Märchen naturgemäß das Gute am Ende den Sieg davonträgt. Der alles bestimmende Vater ist denn auch nicht irgendwer, sondern König eines kleinen Reiches namens „Zipfelland“. Die Mutter ist die Königin und Sohn Jan der langersehnte Nachkomme, den Regent Ferdinand am liebsten in Watte packen würde, damit er nur ja eines Tages den Thron besteigen kann. Geradezu besessen versucht er alles, um jegliche Gefahr von ihm fernzuhalten. So werden wegen der Zugluft die Fenster vernagelt, das Essen wird zu Brei verkocht und aus Furcht vor Erkältungen oder Schlimmerem ist es ihm verboten, das Schloss zu verlassen oder gar mit anderen Kindern zu spielen. Seine einzigen menschlichen Kontakte sind die Bediensteten im Schloss, vor allem Unmengen an Aufpassern, darunter ein Nebenhergeher, ein Insektenjäger und ein Lebertranverwalter. Das hat zur Folge, dass Jan ein einsamer, schüchterner Junge wird, der einerseits davon träumt, auch einmal zu rennen oder zu toben, aber andererseits glaubt, wenige Fahrten in der gläsernen Kutsche seien schon alles, was er an Freiheit erwarten darf.

Nicht nur ihn und seine Mutter belastet das tyrannische Gehabe des Königs, auch die Untertanen leiden. So werden die Diener und Soldaten im Schloss bestraft, wenn Jan doch einmal ein bisschen aus dem Reglement ausbricht, und alle Bewohner des Landes haben die Kosten für den Überwachungsaufwand durch immer neue Steuererhöhungen zu tragen. Angesichts dessen stöhnt auch Otto, der königliche Lieferant von Zwetschenkompott. Immer größere Mengen muss er liefern, sodass seiner Familie selbst nicht mehr viel zum Leben bleibt. Das wurmt seine Tochter Sophie gewaltig, zumal sie auch kaum glauben kann, dass Prinz Jan glücklich ist mit seinem Leben in Isolation. Schließlich darf sie alles tun, was er nicht darf – und wenn doch einmal etwas verboten ist, tut sie es heimlich trotzdem. Sophie setzt alles daran, um Jan zu helfen. Und so entsteht eine tiefe Freundschaft, an der auch der üble Tyrann mit seinen drakonischen Strafen, die auch vor Sophie nicht haltmachen, nichts ändern kann. Beide bestehen nicht nur alle Abenteuer, in die sie geraten, mit Bravour – am Ende gelingt ihnen sogar die Flucht in die Freiheit! Wie, das wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

Was Lukas Hartmann als Autor dieses Kinderromans auszeichnet, ist sein Können, einen ernsten Stoff mit leichter Feder zu Papier zu bringen und ihn in humoristischer Überzeichnung so zu erzählen, dass es für seine kindlichen Leser keineswegs deprimierend wird, sondern sie herzlich lachen können. So etwa, als Jans Vater das große „E“ verbietet, weil es wie eine Gabel aussieht, und das Kind sich an dem  Mordinstrument aufspießen könnte. Also entfernt ein Buchstabenwegschneider sämtliche „Es“ aus den Büchern und die Eiche im Schlosshof nennen alle im Schloss fortan nur noch „Iche“.

Auch wenn dieses Buch auf den ersten Blick wie ein Appell gegen Überängstlichkeit in der Kindererziehung wirkt – was angesichts von Helikoptereltern durchaus zeitgemäß ist –, ist er das jedoch nur teilweise. Das wahre Problem von König Ferdinand liegt nicht in zu großer Fürsorge, sondern letztlich in einem absoluten Machtanspruch, mit dem er seine ganze Umgebung beherrscht und so mit seinem Narzissmus allen die Luft zum Atmen nimmt.

Erfreulich in Die wilde Sophie ist, dass hier keine überholten Rollenklischees bedient werden. Nicht die Mutter ist überbehütend, sondern der Vater. Keine Prinzessin muss aus einem Turm geholt oder wachgeküsst werden, sondern ein Prinz. Und Sophie ist so wild, aktionsgeladen und einfallsreich, wie man es sich von den Heldinnen in manchen „Mädchenbüchern“ leider nur erträumen kann. Zu alledem überzeugt Hartmann auch mit einer pointierten, klaren Sprache und differenzierter Erzählweise, sodass sicher nicht nur kleine Leser ab 9 Jahren mit Spannung und Freude den Roman lesen werden.

Titelbild

Lukas Hartmann: Die wilde Sophie.
Mit Illustrationen von Susann Opel-Götz.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
250 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783257011999

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