Alles Fake oder was?

Zwei Philosophen versuchen in „Postfaktisch“ Licht ins Dunkel von Fake News und Bullshit zu bringen

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alles Fake oder was? Damit ließe sich salopp die Diskussion umschreiben, die gegenwärtig durch die Medienkanäle rauscht. Donald Trump, AfD und Facebook-Trolle halten ein Thema am Köcheln, das zum Lackmustest für unser demokratisches System zu werden droht. Sind wir auf dem Weg in eine „postfaktische“ Gesellschaft, die derart von Skepsis und Misstrauen zerfressen ist, dass jede sachlich abwägende Diskussion unmöglich wird? Das fragen sich die beiden dänischen Philosophen Vincent F. Hendricks und Mads Vestergaard. Sie möchten darlegen, schreiben sie in ihrer Einleitung, „wie die Jagd nach Aufmerksamkeit auf einem Markt der Informationen zu Desinformation, politischen Blasen, Populismus und letztendlich zu einer postfaktischen Demokratie führt“.

Im dänischen Original ist das Buch unter dem Titel Fake News im August 2017 erschienen – was der Blessing Verlag in der deutschen Übersetzung nicht gerade sachdienlich nachzuweisen vergisst. So leichtfertig werden Unschärfen erzeugt.

Das Buch ist also aktuell und kann demnach all die Mutmassungen und Diskussionen rund um die Wahl von Trump mit einbeziehen. Die Statements seiner Berater Sean Spicer und Kellyanne Conway vom 21. respektive 23. Januar 2017, wonach es „alternative Fakten“ gebe und das White House gegebenenfalls „nicht mit den Fakten übereinstimme“, sind längst um die Welt gegangen. Was damals unbedarft und vielleicht hilflos klang, erweist sich mehr und mehr als Teil einer politischen Strategie. Doch der eigentliche Sündenfall geschah früher. Mit entwaffnender Deutlichkeit hat Karl Rove, der Berater von George W. Bush, schon 2002 eine „postfaktische Real(itäts)politik“ umrissen. Im Gespräch mit dem Journalisten Ron Suskind klärte er auf: „Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, erzeugen wir unsere eigene Wirklichkeit. Während du noch dabei bist, die Wirklichkeit zu untersuchen – wohlüberlegt wie immer –, handeln wir schon wieder und erzeugen neue Wirklichkeiten, die du dann wieder untersuchen kannst.“ Das hat inzwischen Schule gemacht. Die imperiale Politik von George W. Bush und Karl Rove prägt unsere Gegenwart mehr als uns lieb sein kann. 

Postfaktisch versucht das weite Thema aufzufächern. Die Darlegungen von Hendricks und Vestergaard führen von der Aufmerksamkeitsökonomie über den umkämpften Informationsmarkt und der realpolitischen Schlaubergerei hin zum begrifflichen Kern: den Fake News, die über die neuen sozialen Medienkanäle rasante Verbreitung finden. Von hier ist es dann bloß noch ein kleiner Schritt zu Verschwörungstheorien, zu politischem Lagerdenken und zuletzt zu einer Unterminierung des demokratischen Diskurses. Die beiden Autoren versuchen diese Entwicklungen anhand von aktuellen Beispielen zu veranschaulichen. Dabei erweist sich das Phänomen als nicht gar so neu.

An Niccolò Machiavelli wäre beispielsweise zu denken. In seinen Schriften schrieb der Autor des Principe 1513, dass einem Politiker durchaus angeraten sei, zu lügen und zu betrügen: „Wenn es aber entdeckt wird, soll eine Verteidigung prompt bereitstehen.“ Genau das aber ist Schnee von gestern. Während Machiavelli noch an eine rationale Lügenpolitik dachte, dominiert mittlerweile widersprüchlicher Bullshit den politischen Diskurs mit dem Ziel einer totalen Verunklärung, die immun ist gegen jeden Anspruch auf Wahrheit und Rationalität.

„Wahrhaftigkeit ist selten der Gewinner, wenn es um Aufmerksamkeit geht“, fassen Hendricks und Vestergaard zusammen. Von der einen reinen Wahrheit ganz abgesehen, die als Idealtypus ohnehin nur als analytisches Werkzeug dienen kann. Im Grunde trägt jede Information feinste Spurenelemente des Fake in sich. Oder wie Max Weber folgerte: Die reine Wahrheit ist „eine Utopie“. Zwischen wahr und falsch gilt es abzuwägen.

Unser gegenwärtiges Problem ist indes grundlegender. Das ideologisch verfestigte Verschwörungsdenken, das nur eines kennt, nämlich selbst Recht zu haben, kann nicht mit rationalem Widerspruch bekämpft werden. Hendricks und Vestergaard schreiben: „Es gibt keine wasserdichten Schotten zwischen dem Wissen darüber, wie die Welt und die Gesellschaft sind, und der politischen Erörterung, wie sie sein sollten“. Ein Diskurs darüber bedarf der Offenheit von beiden Seiten, doch genau diese Offenheit wird von den Bullshitern zugestellt. Sie wollen gar keine Abwägung zwischen Fake und Faktum. Bei der Frage, wie ein Ausweg aus diesem postfaktischen Dilemma aussehen könnte, wagen sich die Autoren nicht auf die Äste hinaus. Tatsächlich gibt es keine simplen Rezepte dafür, weil jeder Widerspruch die Fake News als Diskursangebot zuallererst ernst nimmt und somit bestätigt.

Postfaktisch liest sich leicht und instruktiv – hin und wieder um den Preis von etwas allzu wolkigen Formulierungen. Wie auch die Literaturliste zeigt, streben die beiden Autoren einen Überblick an, ohne im Detail theoretisch zu sehr in die Tiefe zu gehen. Mit einem Hinweis auf den „idealen Untertan“ bei Hannah Arendt, der keine „Distinktion zwischen wahr und falsch“ mehr kennt, warnen Hendricks und Vestergaard davor, dass sich diese totalitäre Haltung durchsetzt.

Die Diskussion wird trotz alledem weitergehen müssen. In seinem Buch Post-Truth. How Bullshit Conquered the World, das ebenfalls 2017 erschienen ist, versucht es James Ball mit einem optimistischeren Schluss: „All of that is hard, but thereʼs good news: if weʼre all part of the problem, we can all be part of the solution – and we can start whenever we like. How about now?“

Titelbild

Vincent F. Hendricks / Mads Vestergaard: Postfaktisch. Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien.
Übersetzt aus dem Dänischen von Thomas Borchert.
Blessing Verlag, München 2018.
207 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783896676368

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