Ein Debüt mit großer innerer Strahlkraft
Lee Cole legt mit „Kentucky“ ein starkes Debüt über Heimat, Liebe, Literatur und kulturelle Gaps vor
Von Karsten Herrmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseKurz vor der ersten Trump-Amtszeit kehrt der junge Owen Callahan in seine Heimat Kentucky zurück und findet Unterschlupf bei seinem Großvater. „Pop“, der sich jeden Abend einen seiner zahlreichen Western-Klassiker auf Video anschaut, wohnt in seinem heruntergekommenen Haus zusammen mit seinem Sohn Cort, einem einsamen Stubenhocker mit einer Stinkwut auf sein Leben, das aus Fast Food, Fernsehen, Billig-Bier und Trump-Begeisterung besteht.
Owen hat eine schwere Zeit mit viel Alkohol und Drogen hinter sich, keinen Penny in der Tasche und befindet sich in einem existentiellen Dilemma: „Seit ich denken kann, stecke ich in derselben Zwickmühle. Wenn ich zu Hause in Kentucky bin, will ich schnellstmöglich weg. Bin ich woanders, plagt mich Heimweh nach einem Ort, den es nie gab.“
Er heuert in der Gartenbauabteilung der Universität von Louisville an, um kostenlos an einem Creative Writing Seminar teilnehmen und an seinem Roman weiter schreiben zu können. Auf dem Campus lernt er Alma kennen, deren Eltern aus Bosnien geflohen sind und die schon in Princeton studiert und ein Buch veröffentlicht hat. Alma ist ehrgeizig, zielgerichtet und bildungsbürgerlich-liberal erzogen – ganz das Gegenteil von Owen, dessen Eltern einfache Arbeiter und Evangelikale sind. Alma macht sich lustig über Owens breiten Akzent und notiert sich in einem Notizbuch komische Wörter, die er benutzt.
Trotz der unterschiedlichen Welten, in denen sie großgeworden sind und leben, kommen Owen und Alma zusammen und lernen nach und nach die Welt des jeweils anderen näher kennen. Bei einem Besuch von Almas Eltern erfährt Owen so auch von einer dramatischen Fluchtgeschichte und Alma bekommt Einblicke in die Welt von Owens Pop und seinen Eltern, die getrennt leben. Das Leben von Alma und ihre Beziehung wird Owen auch zum literarischen Stoff und als er ihr sein Manuskript zu lesen gibt, fühlt sie sich ihrer eigenen Geschichte beraubt.
Kentucky ist ein ebenso ruhiges wie kraftvolles Buch, das die (kulturellen) Untiefen und Gaps zwischen Menschen feinfühlig auslotet. Lee Cole gewährt dabei auch tiefe Einblicke in die triste amerikanische Provinz, wo selbstlose Hilfsbereitschaft ebenso wie Vorurteile, Rassismus und Missgunst blühen. Einen ganz eigenen und literarisch selten beleuchteten Mikrokosmos eröffnet er rund um Owens Gartenbau-Job und seinen Arbeitskollegen, dem schwarzen Geschichts-Studenten Owen und dem ehemaligen Alkoholiker, Kettenraucher und heimlichen Trump-Freund Rando. Bei Wind und Wetter fällen und pflegen sie Bäume und Sträucher auf dem Universitätsgelände und lernen sich dabei immer näher kennen, bis es nach der Trump-Wahl zum Knall kommt.
In exemplarischer Weise zeigt uns Lee Cole seinen Protagonisten Owen als einen Menschen, der überall dazwischensteht und sich nirgendwo ganz dazugehörig fühlt – nicht zu seinen Eltern, nicht zu seinem Großvater und Onkel, nicht zu Alma und ihrer anderen Welt, nicht zu seinen Kollegen. Er steht zwischen den Welten der Intellektuellen, Hipster und Literaten auf der einen und den einfachen Provinzlern, die am Rande des Existenzminimums leben, auf der anderen Seite.
Lee Cole zeigt sich in seiner wunderbar geschmeidig dahinströmenden Prosa als ein Meister der feinfühligen Beobachtung und zeigt die Dinge ganz lakonisch wie sie sind – ohne zu werten und zu kritisieren oder sich auf eine Seite zu schlagen. Ihm ist damit ein Debüt von großer Authentizität und innerer Strahlkraft gelungen.
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