Dichtung und Wahrheit

Felicitas Hoppes fiktive Autobiografie „Hoppe“ ist ein Misstrauensvotum gegen jede Form von Kommunikation

Von Lisa Pychlau-EzliRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa Pychlau-Ezli

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den Streit gibt es wohl schon so lange wie die Literatur selbst: Die einen missbilligen Dichtung als Geschichten, die bewusst Unwahres verbreiten, die anderen bewundern sie als hohe Kunst. Während Platon erfundene Geschichten für Lüge und Täuschung hielt, differenzierte Aristoteles in seiner „Poetik“ sorgfältig zwischen dem Geschichtsschreiber, der Wirkliches mitteilt, und dem Dichter, der Mögliches aufschreibt, das zwar nicht wirklich ist, aber wahr.

Felicitas Hoppe, 2010 Gewinnerin des Rattenfänger-Literaturpreises der Stadt Hameln sowie Inhaberin der Poetikdozentur der Georg-August-Universität Göttingen 2009, nimmt diese Differenzierung zwischen Wirklichem und Möglichem bei ihrem neuen Roman ganz bewusst nicht vor. In „Hoppe“ bleibt am Ende nichts unklarer als die Wahrheit.

„Hoppe“ ist keine Autobiografie, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Die Autorin berichtet aus der Perspektive der Biografin Felicitas Hoppe über die deutsche Schriftstellerin Felicitas Hoppe. Sie ist somit Autorin, Biografin und Protagonistin von „Hoppe“. Der Roman ist aufgebaut wie eine Biografie, die von Felicitas Kindheit und Jugend erzählt, und enthält weder Handlung noch Dialoge. Als Leitmotiv fungiert das Märchen des Rattenfängers von Hameln, wobei die Autorin die Strategie verfolgt, „die literarische in die wirkliche und die wirkliche in die literarische Welt zu überführen“. Für die Handlung verwendet die Autorin einige ihrer biografischen Eckdaten, die sie jedoch teilweise als fiktiv ausgibt. Da zu Beginn des Romans ein Auszug aus einem Wikipedia-Artikel über Felicitas Hoppe abgedruckt ist, fühlt man sich dazu verleitet, während des Lesens die Fakten von Wikipedia mit dem Inhalt des Romans abzugleichen. Dabei fallen sofort einige Divergenzen auf: Während die Autorin Hoppe 1960 in Hameln geboren wurde und dort mit ihren vier Geschwistern aufwuchs, wird die Protagonistin Hoppe als Kind vom „Entführervater“ und Rattenfänger Karl Hoppe nach Kanada und Australien mitgenommen und erfindet sich vier Hamelner Geschwister, denen sie (unbeantwortete) Briefe schreibt. Die viermonatige Weltreise auf einem Containerfrachtschiff, die die Autorin als Erwachsene tatsächlich unternommen hat, gilt in „Hoppe“ wiederum als Erfindung der Protagonistin.

Realität, Wirklichkeit, Wahrheit, Erfindung, Fiktion, Fantasie und Traum sind Begriffe, die wie ein roter Faden den ganzen Text durchziehen. Dabei empfiehlt es sich gerade dann, wenn etwas „nachweislich“, „erwiesenermaßen“ oder „beglaubigt“ ist, hellhörig zu werden. Denn obwohl die Biografin vorgibt, die Wahrheit über Hoppes Leben und ihr literarisches Schaffen ergründen zu wollen, lässt sich letztlich nur eines mit Sicherheit sagen: Dass nichts sicher ist. Das literarische Verfahren ist gerade darauf ausgerichtet, die Erkenntnis einer nachvollziehbaren Wahrheit zu verhindern, obwohl der biografisch-sachliche Erzählduktus vorgibt, eine Suche nach der Wahrheit zu sein. Der Autorin gelingt es dabei meisterhaft, jede Klarheit zu beseitigen, den vermeintlich wissenschaftlichen Ton der Biografie aber beizubehalten. Behauptungen über die Autorin sowie über die Protagonistin sind entweder völlig kryptisch („Hoppes Werk […] speist sich nicht aus Träumen, sondern aus der Realität uneingelöster Versprechen und verlorener Wetten.“) oder werden an anderer Stelle im Text widerlegt. Dies umfasst grundlegende Fragen, wie die, ob der „Entführervater“ Karl Hoppe, der in Australien plötzlich verschwindet, überhaupt jemals existiert hat, und Kleinigkeiten, wie Felicitas Behauptung, sie esse jeden Tag zwei Eier und die Aussage der Gastwirtin Miss Ayrton, sie esse keine Eier. Ungeklärt bleibt auch, warum der für den Roman völlig unwichtige Klavierstimmer Tony Tonell sowohl Felicitas Klavier in Kanada stimmt, als auch das Klavier ihrer Wirtin in Australien, ohne dass Verwunderung darüber ausgedrückt wird, dass der Mann plötzlich am anderen Ende der Erde auftaucht, beziehungsweise darüber, dass in Felicitas neuer australischer Heimat zufällig ein Klavierstimmer lebt, der genauso heißt wie der in Kanada.

„Hoppe“ liefert gerade das nicht, was eine literarische (Auto-)Biografie ausmacht, nämlich die Erklärung des Werks aus der Perspektive des Autors. Hoppe gelingt es, knapp 330 Seiten über sich selbst zu berichten, ohne konkrete eigene Ansichten zu ihren Büchern oder eindeutige Fakten über ihr Leben zu vermitteln. Stattdessen erschafft die Autorin ein hochkompliziertes und sorgfältig durchkomponiertes textuelles Geflecht aus Behauptungen, Hinweisen und Anspielungen, die allesamt den Einblick in die Meinung der Autorin verweigern.

Geht man davon aus, dass Kunst keinen unmittelbaren Zweck erfüllt und immer nur auf sich selbst verweist, kann „Hoppe“ als komplexes literarisches Kunstwerk betrachtet werden. Wenn man dieses Kunstverständnis übernimmt, so ist man nicht genötigt, eine praktische Erkenntnis aus dem Werk ziehen, und muss sich auch nicht fragen, warum jemand einen Text über sich selbst schreibt und dabei fast alles erfindet. Will man diesem Werk dennoch eine zentrale These oder einen Nutzen entnehmen, so kann man den Roman auch als eine Art erzähltheoretische Abhandlung betrachten, die vermittelt, dass in der Literatur entgegen der Ansichten von Platon und Aristoteles das Vermischen von Wirklichem und Möglichem legitim ist, um Kunst zu produzieren. Gewiss ist am Ende nur, dass dem geschriebenen Wort als Medium der Kommunikation in Felicitas Hoppes Roman mit Vorsicht begegnet werden muss: „Hoppes Werk ist ein ständiges Misstrauensvotum gegen jede Form von Kommunikation“.

Titelbild

Felicitas Hoppe: Hoppe. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
336 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100324511

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