Es bleibt alles in der Familie

Leonhard Horowski nimmt uns in seinem Buch „Das Europa der Könige“ mit in die Welt der hochadligen Netzwerke der Frühen Neuzeit

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Historiker Leonhard Horowski hat mit einer Arbeit im Umfang von ca. 900 Seiten über den Hof von Versailles promoviert und darüber hinaus so viel zu sagen, dass daraus das vorliegende Buch Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts mit 1.050 Seiten sowie 60 Seiten Anmerkungsapparat entstanden ist. Die fachliche Grundlage hierfür bildet eine immense Rechercheleistung und eine beeindruckende Kenntnis der historischen Quellen.

Den zeitlichen Rahmen des Werkes bilden die 150 Jahre vom Frieden von Osnabrück bis zum Ausbruch der Französischen Revolution, mithin die Phase des sich herausbildenden absolutistischen Fürstenhofes der europäischen Länder. Untergliedert hat der Autor sein Werk in 20 Kapitel, an deren Anfang jeweils eine historische Episode steht, die schlaglichtartig zum Thema des jeweiligen Abschnittes hinführt.

Das Hauptaugenmerk liegt auf den Angehörigen des Hochadels, ihrer dynastisch-familiären Beziehung zu den regierenden Königshäusern und ihren nahen oder ferneren Verwandten. Diese befanden sich in einer ständigen Konkurrenz mit ihren Standesgenossen, um ihren Rang zu wahren, sich aber auch von ihnen abzusetzen und ihnen zugleich möglichst überlegen zu sein. Das belegt Horowski an unzähligen Beispielen mit einer beeindruckenden Detailversessenheit, die aber wegen der Dichte der Beschreibung und der Vielzahl der historischen Akteure auch eine Herausforderung für das Verständnis seitens des Lesers darstellt. Auch möchte der Autor dem heutigen Rezipienten die zeitbedingte Plausibilität der hiermit verbundenen Handlungen der adligen Individuen vor Augen führen, indem er die Rolle des allwissenden Erzählers einnimmt und bewusst einen modern gefärbten, lockeren Sprachduktus verwendet. Der größeren Anschaulichkeit wegen flicht er auch zahlreiche bekannte und weniger bekannte Anekdoten und Begebenheiten in seine Erzählung ein, in denen uns die handelnden Personen als mehr oder weniger rational handelnde Menschen aus Fleisch und Blut begegnen.

Eine Schlüsselrolle in dem Bestreben hochadliger Familien, innerhalb der höfischen Gesellschaft aufzusteigen, das zeigt der Autor an mehreren Beispielen auf eindrucksvolle Weise, spielten die Frauen, die als Mätressen des jeweiligen Königs oder als Ehefrauen einflussreiche dynastische Netzwerke begründen oder festigen konnten. Besonderen Raum nehmen in diesem Zusammenhang die Mätressen des französischen Königs und ihre Klientelnetzwerke sowie der Aufstieg der Zarin Katarina II. ein.

Der Autor hat somit anders als Norbert Elias, der hierüber 1933 seine Habilitationsschrift verfasste, nicht die soziale Funktionsweise des Hoflebens und auch nicht den sogenannten Königsmechanismus im Blick. Im Gegenteil: Er möchte mit seinem Buch vor allem die schmale Quellenbasis von Eliasʼ Forschungen verbreitern und fokussiert sich auf die Machtspiele der adligen Hofgesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts und deren Auswirkungen – eine Anspielung, die bereits im Titel des Buches aufgenommen wird.

Auch die Rolle der Stände als Gegenwicht zur königlichen Macht wird nicht in den Blick genommen. Eine historische Kontextualisierung der dargestellten Ereignisse, die für den nicht einschlägig historisch vorgebildeten Leser respektive der Leserin sicher hilfreich gewesen wäre, hätte den Inhalt dagegen wahrscheinlich überfrachtet.

Das Fazit des Buches bleibt unausgesprochen und ist deshalb umso eindrücklicher: das klaustrophobische und sich selbst perpetuierende Netzwerk dynastischer Abhängigkeiten innerhalb der hochadligen Gesellschaft der Frühen Neuzeit musste irgendwann zwangsläufig zu ihrem Ersticken und Niedergang führen, wie uns Leonhard Horowski in seinem Buch plastisch vor Augen führt.

Titelbild

Leonhard Horowski: Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
1119 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783498028350

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