Annäherung an einen Dichter, der zugleich ein großer Verwandlungskünstler war

Alfred Hübner hat eine umfangreiche Biografie zu Paul Zech vorgelegt

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Zech (1881-1946) war einer der bekanntesten Dichter des deutschen Expressionismus und später der Exilliteratur. Eine Besonderheit seines Werkes war die wirklichkeitsgetreue Schilderung der Arbeitswelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der legendären expressionistischen Lyrik-Anthologie Menschheitsdämmerung (1919) von Kurt Pinthus war Zech immerhin mit zwölf Gedichten vertreten und bereits 1918 wurde er mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Heute gehört Zech allerdings zu den vergessenen Dichtern; einzig seine Nachdichtungen der Balladen und lasterhaften Lieder des Herrn François Villon werden gelegentlich noch veröffentlicht.

Neben Zechs umfangreichem literarischem Schaffen fasziniert auch immer wieder seine problematische Persönlichkeit. Er hatte viele Leben: äußerst produktiver Schriftsteller, aber auch Lügner, Dieb, Ehebrecher, Betrüger, Hochstapler, Egozentriker … und die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Darüber hinaus manipulierte Zech seinen Lebenslauf aus Geltungsdrang mit dichterischer Phantasie nach Belieben.

Der Germanist und Theaterwissenschaftler Alfred Hübner kann auf eine etliche Jahrzehnte lange Beschäftigung mit Paul Zech zurückblicken, denn mit seiner Dissertation Das Weltbild im Drama Paul Zechs widmete er sich bereits 1975 dem Dichter. Danach ruhte das Thema, doch seit 2005 unternahm er akribische Recherchen und die Aufarbeitung der umfangreichen Korrespondenz von Paul Zech. Das Ergebnis ist eine gewichtige (beachtliche 935 Seiten) und auf neuesten Forschungen beruhende Biografie, die im Heidelberger Morio Verlag zum 75. Todestag des Dichters erschien. Bisher waren die Resultate seiner Nachforschungen nur teilweise in Ausstellungskatalogen publiziert worden. Der Titel Die Leben des Paul Zech deutet bereits daraufhin, dass es mehrere Biografie-Varianten gibt, die Zech in die Welt gesetzt hatte. Hübners vorrangiges Anliegen war es, die Fakten mit dem zu vergleichen, was Zech über sich selbst verbreitet hat. Fast sechzig Seiten Quellenverzeichnis sind ein Beleg dafür.

In neun Kapiteln verfolgt Hübner das Leben der schillernden Persönlichkeit – von der schweren Kindheit (geboren am 19. Februar 1881 in Briesen) bis zu seinem Tod im Exil in Buenos Aires. Die einzelnen Kapitel sind nochmals in mehrere Abschnitte unterteilt, die jeweils nur wenige Monate der Biografie ausführlich beleuchten. In hundert solchen kurzen Zeitabschnitten breitet der Autor Zechs Leben aus. Als Sohn eines Seilers wuchs Zech in Westpreußen auf, wobei er für einige Jahre zur Pflege zu Verwandten mütterlicherseits nach Müncheberg (Ostbrandenburg) gegeben wurde. Mit sechzehn Jahren verließ er das Elternhaus, um im belgischen Kohlerevier seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Trotz Schwerstarbeit unter Tage vertiefte er sich in Bücher und er durchstreifte das belgisch-französische Industriegebiet. 1904 heiratete Zech und zog 1912 mit der Familie (zwei Kinder) nach Berlin. In dieser Zeit entstanden die expressionistischen Gedichtbände Das schwarze Revier (1909) und Schwarz sind die Wasser der Ruhr (1913), in denen er – meist in Sonettform – die Industrie und die Arbeitswelt als literarischen Stoff entdeckte.

Im Dämmer

Im schwarzen Spiegel der Kanäle zuckt
die bunte Lichterkette der Fabriken.
Die niedren Straßen sind bis zum Ersticken
mit Rauch geschwängert, den ein Windstoß niederduckt.

Ein Menschentrupp, vom Frondienst abgehärmt,
schwankt schweigsam in die ärmlichen Kabinen;
indes sich in den qualmigen Kantinen
die tolle Jugend fuselselig lärmt.

Noch einmal wirft der Drahtseilzug mit Kreischen
den Schlackenschutt hinunter in die flachen
Gelände, drin der Schwefelsumpf erlischt.

Fern aber gähnen schon, von Dampf umzischt.
des Walzwerks zwiegespaltne Feuerrachen
und harren des Winks den Himmel zu zerfleischen.

Gefördert von Else Lasker-Schüler, wurden die Gedichte auch in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. 1918 erhielt Zech den Kleistpreis für seine lyrischen Dichtungen. Von 1913 bis zur Einstellung 1920 war er Mitherausgeber der expressionistischen Zeitschrift Das neue Pathos. Eine enge Freundschaft verband ihn u.a. mit Georg Heym und Stefan Zweig.

In den 1920er Jahren führte der angebliche „Dr. Zech“ ein Doppelleben mit Familie und der Sängerin Hilde Herb, die er gern als seine Frau ausgab. Neben Biografien über Rilke und Rimbaud, die ihm einige Anerkennung einbrachten, entstanden Kurzgeschichten, Novellen, Romane sowie sozialrevolutionäre Dramen. Der wirkliche Durchbruch blieb ihm jedoch versagt. 1929 wurde er sogar nach Plagiatsvorwürfen aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, sodass er seinen Lebensunterhalt als bibliothekarische Hilfskraft (und nicht als Bibliotheksrat, wie er fälschlich angab) in der Berliner Stadtbibliothek verdienen musste. 1931 publizierte Zech sein wohl erfolgreichstes Werk Die lasterhaften Balladen und Lieder des Herrn François Villon – eine sehr freie Nachdichtung, die ihm zwar Kritik einbrachte, aber zu einem Bestseller wurde, der bis heute in rund 30 Auflagen gedruckt erschienen ist. Kurt Tucholsky, der als einer der ersten die „Übertragung“ rezensierte, schrieb: „Nun, eine Nachdichtung ist das nicht. Es sind Gedichte in moderner Tonart […]. Zech hat keinen Stein auf dem andern gelassen, sondern ein neues Hüttchen gebaut. Ist es schön? Mittelschön. Die ungeheuern Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, in allen Ehren: aber hier gibt es nur zwei Wege. Entweder man übersetzt so wörtlich wie nur möglich – oder aber man ist dem Villon kongenial und dichtet neu. Zech hat neu gedichtet.“

1933 war Gefahr in Verzug, nicht allein durch die nationalsozialistische Machtübernahme (Zech stand seit der Novemberrevolution der SPD nahe). Zech musste sich auch wegen Bücherdiebstahls von immerhin 2500 Bänden aus der Bibliothek verantworten. Angesichts von Hausdurchsuchungen und staatsanwaltlichen Ermittlungen verschwand er Anfang August 1933 aus Berlin.

Anhand von Dokumenten rekonstruiert Hübner Zechs Flucht ins argentinische Exil, über die der Schriftsteller ebenfalls unterschiedliche Angaben gemacht hatte. Sein Fluchtweg führte ihn über Prag und Wien nach Triest und von dort per Schiff nach Montevideo. Erst nach mehreren Wochen gelang es Zech, ein Visum für Argentinien zu erhalten, wo er bei seinem 1923 dorthin ausgewanderten Bruder Rudolf Aufnahme fand. Obwohl Zech mit großen Hoffnungen nach Südamerika gekommen war und eine Anstellung als freier Mitarbeiter einer deutschsprachigen Emigrantenzeitung fand, war er in Argentinien ein weitgehend namenloser Schriftsteller. Selbst hier im Exil verkrachte sich der stets Aufbrausende nicht nur mit seinem Bruder sondern auch mit den Vertretern der deutschen Gemeinde. So waren seine Publikationsmöglichkeiten gering und er lebte mehr oder weniger unter ärmlichen Verhältnissen. Am 7. September 1946 erlag der verbitterte Zech in Buenos Aires einem Gehirnschlag.

Im Verlauf der Biografie bemüht sich Hübner immer wieder, Zechs Handeln und Verhalten zu deuten. Bereits in seinem Vorwort versucht er, eine Ursache für Zechs gesteigertes Geltungsbedürfnis zu finden. So litt der Dichter „an einer von väterlicher Seite ererbten psychischen Krankheit“, die Zech spätestens seit 1905 selbst bewusst war, denn in zahlreichen Briefen kam er auf sein „Nervenleiden“ zu sprechen. Außerdem teilten zwei Brüder und eine Schwester das gleiche Schicksal.

Im Anschluss an die ausführliche biografische Darstellung widmet sich Hübner in einem Epilog noch kurz der Rezeption von Zechs Werk nach 1945. In der Bundesrepublik teilte Zech das Schicksal vieler Exilschriftsteller, die hier lange in Vergessenheit gerieten. Erst mit der Villon-Ausgabe 1962 im Deutschen Taschenbuch Verlag und deren eindrucksvoller Interpretation durch Klaus Kinski („Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“) wurde Zech einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In der DDR zählte er dagegen schon davor zu den vom Nationalsozialismus verfolgten Autoren und seine Werke wurden hier bereits ab 1947 publiziert. Ab den 1950er Jahren erschienen dann im Greifenverlag im thüringischen Rudolstadt vor allem die Texte aus der Exilzeit des Autors. 1984 folgte hier der Briefwechsel mit Stefan Zweig und zwei Jahre später posthum Zechs Kriegstagebuch Von der Maas bis an die Marne. Erst 1998 gab der Literaturwissenschaftler Bert Kasties (in Zusammenarbeit mit Dieter Breuer) die fünfbändige Ausgabe Paul Zech. Ausgewählte Werke im Shaker Verlag heraus.

Trotz des 75. Todestages, der es nur durch einige Rezensionen der Biografie in die Feuilletons geschafft hat, ist es ziemlich still um Paul Zech. Da kann man nur wünschen, dass durch Alfred Hübners Buch dem Schriftsteller und Menschen Paul Zech wieder mehr Aufmerksamkeit und Leserinteresse geschenkt wird.

Titelbild

Alfred Hübner: Die Leben des Paul Zech. Eine Biographie.
Morio Verlag, Heidelberg 2021.
935 Seiten , 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783945424919

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