Reset und Neustart

Gerald Hüther und Robert Burdy legen einen Befreiungsversuch für verwickelte Gehirne vor

Von Ulrich KlappsteinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Klappstein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die beiden Autoren Gerald Hüther und Robert Burdy, der eine Neurobiologe, der andere Journalist und Kommunikationsberater, legen mit ihrer gemeinsamen Studie eine Medienkritik vor, die schon im Titel offensichtliche Anleihen beim Dauerseller des amerikanischen Medienwissenschaftlers und Sachbuchautors Neil Postman (1931–2003) aus dem Jahr 1985 nimmt. Schon in dieser Anklageschrift hatte Postman in Wir amüsieren uns zu Tode beklagt, dass unsere Abwehrmechanismen gegen die Informationsüberflutung zusammengebrochen seien und unser Immunsystem gegen Informationen nicht mehr funktioniere. Hüther und Burdy landeten mit ihrem Gemeinschaftswerk einen Bestseller, der es im Herbst 2022 sogar kurzzeitig auf Platz 19 der Spiegel-Sachbuchliste schaffte.

Auch die beiden Autoren beginnen mit der Ausgangshypothese: „Wir werden nicht zu Tode informiert, wir informieren uns zu Tode.“ Sie gehen davon aus, dass wir „in einem Zeitalter der Verwirrung [leben], das alle Anstalten macht, die freiheitlichen Demokratien in ihren Grundfesten zu erschüttern.“ Für sie war Postmans Schrift zwar „visionär“, aber doch nur „der Vorbote einer Entwicklung, die viel breiter wurde, viel tiefer ging und viel nachhaltigere Folgen hatte als ein schlechtes Fernsehprogramm.“ Aber anders als Postman, der sich insbesondere mit den Auswirkungen des Fernsehkonsums auf Kinder und Jugendliche in den USA beschäftigte, wenden sich Hüther/Burdy dem „Zaubertopf der globalisierten Digitalisierung“ zu.

Gegliedert ist ihr Buch in Anspielung auf die Erfahrungen vieler Nutzer:innen bei der Verwendung des Personalcomputers in die drei Großkapitel „Absturz“, „Reset“ und „Neustart“. Das Buch ist keine rein wissenschaftsorientierte Monografie, sondern eine Zusammenstellung von 50 Kleinstkapiteln. Die Autoren liefern keinen Anhang von Sekundärliteratur, und in den wenigen Fußnoten verweisen sie im Wesentlichen auf Internetquellen von zumeist us-amerikanischer Provenienz.

Ein Verfahren, das die Lesbarkeit und Konsumierbarkeit des Buches befördern soll, aber dazu führt, dass sich Leser:innen bald selbst in einer gewissen „Verwirrung“ befinden, angesichts der Vielfalt der gebotenen Argumentationsstränge. Immerhin besteht die Möglichkeit innezuhalten und das eine oder andere selbst im Internet nachzulesen, um sich auch der Gefahr (des Buches) zu entziehen, die darin besteht, dass alles, „was da tagtäglich, stündlich, minütlich an Informationen auf uns hereinprasselt, […] sehr schnell zu einer Flutwelle werden [kann], in der wir ertrinken.“

In ihrer Nachbemerkung wenden sich die Autoren selbstkritisch an die „Leserinnen und Leser“, dass es sein könne, „dass dieses Buch Sie überrascht hat“, vor allem auch deshalb, weil sich nach der Lektüre keine Lösung anbiete,

die uns ermöglicht, einfach so weiterzumachen mit dem Informationsterror und ihn zum heiligen Krieg gegen Unwissenheit und Ignoranz zu erklären. […] Das hieße, den Weg fortzusetzen, der uns in dieses Problem geführt hat.

Etwas messianistisch klingend hoffen sie aber, dass „das, was wir hier aufgeschrieben haben, für Sie zu einer Information geworden“ ist, die es erlaubt, selbst „Grenzen zu ziehen“. Die Autoren bekennen, dass sie sich beim Schreiben des Buches „nicht ein einziges Mal von Angesicht zu Angesicht, also physisch, begegnet“ seien: „Alles lief über Video-Meetings und E-Mails ab“.

Das Buch gelangt zu keinem einheitlichen Ton. Neben verbindenden und überleitenden Passagen bietet es eine Mixtur aus (anspruchsvoller Darstellung von Ergebnissen der) Gehirnforschung und eine Medien-Metakritik (also den durchaus unterhaltsam geschriebenen Passagen des „Medientrainers“ und „Kommunikationsberaters“ (so der Klappentext des Verlags) Burdys.

Leider verrennen sich die Autoren oft selbst in ihrer „Reise“ (so im Nachwort) auf dem Befreiungsversuch für verwickelte Gehirne, die Leser:innen werden es oft schwer haben, ihnen dabei mehr als phasenweise zu folgen. Man hätte sich beispielsweise breitere und eingehendere Ausführungen zum Begriff der Information und zu den Möglichkeiten und Grenzen von Informationsgewinnung gewünscht, mehr Bündelungen, statt der Abhandlung in einem Kurzkapitel auf vier Seiten.

Die über viele Kleinstkapitel verstreuten, verdienstvollen Darlegungen Hüthers zum Stand der Gehirnforschung, etwa zum menschlichen Problemlösungsverhalten und zur Gewinnung eines „authentischen Selbst“, das uns ermöglicht, „Situationen, Geschehnisse und Wahrnehmungen möglichst rational zu bewerten“, werden von den journalistisch geprägten Zugriffen Burdys – wenn auch auf unterhaltsame Art und Weise – nur umrahmt und drohen so unterzugehen.

Hier möchte man als Rezensent denn doch auf die einschlägigen Arbeiten Hüthers verweisen, der seit seiner Tätigkeit als Entwicklungsneurobiologe am Max-Planck-Institut in Göttingen an der Grundlegung eines Wissenschaftsgebietes arbeitet, das er selbst als neurobiologische Präventionsforschung bezeichnet. Hüther bekennt auf seiner Homepage in einem seiner Newsletter:

So wie bisher kann es nicht weitergehen. Solange wir uns wie die aufgescheuchten Hühner von Krise zu Krise jagen lassen, werden wir aus diesem selbsterzeugten Schlamassel auch in absehbarer Zeit nicht wieder herauskommen. Aber mit klugen Ratschlägen, Reden, Vorträgen, endlosen Diskussionen und der Verbreitung von immer mehr Informationen geht es offenbar auch nicht. Das mußte auch ich inzwischen demütig erkennen. Geholfen hat mir dabei das Schreiben eines Buches.

Dass mit dem nun vorliegenden Werk mehr herausgekommen ist als eine Selbsttherapie, bleibt ihm weiterhin zu wünschen.

Titelbild

Gerald Hüther / Robert Burdy: Wir informieren uns zu Tode. Ein Befreiungsversuch für verwickelte Gehirne.
Herder Verlag, Freiburg 2022.
240 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783451609008

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