Immer für einen Skandal gut
Zum Tod der italienischen Schriftstellerin und Journalistin Oriana Fallaci
Von Peter Mohr
"Ich finde es beschämend, dass in Italien Umzüge stattfinden, auf denen als Selbstmordattentäter Verkleidete infame Verwünschungen Israels herausschreien, Fotographien hochhalten, auf denen führende Israelis mit einem Hakenkreuz auf der Stirn versehen sind, und die Öffentlichkeit zum Judenhass aufstacheln", schrieb Oriana Fallaci im April 2002 in der Zeitschrift "Panorama". Ihre Warnung vor dem aufkeimenden Antisemitismus entpuppte sich allerdings auf dem zweiten, tiefergehenden Blick als ein pauschaler Rundumschlag gegen die islamische Welt.
Schon ein halbes Jahr zuvor hatte die am 29. Juni 1930 in Florenz geborene Autorin, die viele Jahre in New York lebte, nach den Attentaten auf das World Trade Center mit ihrem in 14 Tagen niedergeschriebenen, in mehr als 20 Sprachen übersetzten und über zwei Millionen Mal verkauften Pamphlet "Die Wut und der Stolz" die öffentliche Meinung polarisiert. "Es wimmelt in den Moscheen, die [...] in Italien im Schatten unseres vergessenen Laizismus und unseres deplatzierten Pazifismus aus dem Boden schießen, bis zum Überdruss von Terroristen oder solchen, die es werden wollen", schrieb sie in ihrer populistischen Schwarz-Weiß-Malerei, die nicht nur in islamischen Kreisen auf heftige Kritik stieß. Die streng-antifaschistisch erzogene Tochter eines erbitterten Mussolini-Gegners, die politische Heilige verwandelte sich mit zunehmendem Alter in eine Sklavin des "niederen Instinkts".
Dabei hat Oriana Fallaci als junge Frau nicht nur außerordentlich viel Mut bewiesen, sondern mit ihrer journalistischen Arbeit auch bahnbrechende Akzente gesetzt. Sie berichtete für die angesehendsten Printmedien wie die Londoner "Times" und die "New York Times" aus Vietnam, von den Krisenherden im Nahen Osten und führte exzellente Interviews mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Yassir Arafat, Henry Kissinger, Willy Brandt, Deng Xiaoping, Ayatollah Khomeini und Kaiser Haille Selassie.
Ihren ersten Buchbestseller landete sie 1969 mit ihrem Vietnam-Tagebuch "Wir, Engel und Bestien". Mitten in der heftigen Abtreibungsdebatte der 70er-Jahre veröffentlichte sie ihr Buch "Brief an ein nie geborenes Kind". In ihrem literarisch anspruchsvollsten und sehr persönlichen Doku-Roman "Ein Mann" schilderte Oriana Fallaci ihre Liebe zum 1976 verschwundenen griechischen Widerstandskämpfer Alekos Panagoulis.
Mindestens ebenso streitbar wie ihre gedruckten Worte waren ihre provozierenden öffentlichen Auftritte. "Sagen Sie Seiner Majestät, dass ich entweder in Hosen oder nackt komme", entgegnete die Autorin, als sie vor ihrem Besuch bei Haille Selassie auf ihre "unweibliche Kleidung" hingewiesen worden war. Den iranischen Revolutionsführer Khomeini brüskierte sie 1979 in ähnlicher Weise: "Ich nehme den Tschador ab, der für mich ein dummer Lumpen aus dem Mittelalter ist."
Ihren radikal formulierten Aversionen gegen den Islam ließ Oriana Fallaci noch einmal in ihrem letzten Buch "Die Kraft der Vernunft" (2004) freien Lauf, in dem sie die widersinnige These aufstellte, Europa befände sich auf dem Weg zu einer islamischen Kolonie. "Wegen Verunglimpfung der islamischen Religion" begann nach der Veröffentlichung in Bergamo ein Prozess gegen die Bestsellerautorin. "Als ich die Nachricht von der Anklage erfuhr, musste ich lachen. Ein bitteres Lachen, natürlich, aber ich lachte. Das Verfahren ist nur ein Beweis dafür, dass alles, was ich geschrieben habe, wahr ist", erklärte die Autorin.
Oriana Fallaci, die sich in den letzten zehn Jahren den fragwürdigen Ruf einer intellektuellen Spalterin zwischen den Kulturen und Religionen erwarb, ist an den Folgen eines langen Krebsleidens im Alter von 76 Jahren in ihrer Geburtsstadt Florenz gestorben.