Wie Hemingways Ruf einmal mehr gerettet wurde

Leonardo Padura legt eine melancholische Studie zur kubanischen Männlichkeit und ihrem Verhältnis zu Ernest Hemingway vor

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich habe er seinen Teniente Mario Conde, der der Held seines erfolgreichen Havanna-Quartetts war, nach seinem Abschied nicht wiederbeleben wollen, gibt Leonardo Padura noch vor Beginn seines neuen Romans zur Kenntnis. Aber - Hand aufs Herz - Auftrag ist Auftrag, und Padura gesteht ein, dass ihm auf die Anfrage eines Verlegers, einen Roman zu schreiben, in dessen Mittelpunkt ein Autor und seines Verhältnisses zum Tod stehen sollte, nichts Besseres eingefallen sei, als sein gestörtes Verhältnis zu Ernest Hemingway auf die gewohnte Figur zu übertragen und sie stellvertretend ausleben zu lassen.

Im Nachhinein können wir mit diesem Ideen-Blackout ganz zufrieden sein, denn Paduras kleiner Roman ist eine angenehme Lektüre, ein herrlich melancholischer Zeitvertreib, der für jeden verregneten Sonntagnachmittag passt: Alte Kerle sitzen an einem kubanischen Ufer, haben das von der Freundin des Herzens und Magens kreierte Gericht in sich hineingeschaufelt, schütten literweise Rum hinterher, schauen mit viel Weltschmerz aufs Meer, werfen eine Flaschenpost mit einer Botschaft für ihren besten Freund und dem Höschen von Ava Gardner hinein und schauen dabei zu, wie de Zeit vergeht. Natürlich reden sie über Männerfreundschaft, über die Vergänglichkeit der Liebe, über die Beschaffbarkeit von Rum oder was man sich sonst noch alles Passendes für diese Situation vorstellen mag. Das ist ein ruhmreiches Ende für einen kubanischen Kriminalroman und füttert auch die an Melancholie sich erfreuende europäisch-männliche Seele ganz hervorragend.

Aber das ist eben nur der Schlusspunkt. Gehen wir an den Anfang zurück. Der ehemalige Teniente Mario Conde versucht sich im Schreiben, anfangs in Hemingway'scher Manier, später soll dann etwas Eigenes draus werden. Die Idealvorstellung der Schriftstellers spukt immer noch in seinem Kopf herum, morgens seine dreihundert Wörter schreiben und nachmittags im Meer plantschen oder an Bars herumlungern. Bis es soweit ist, sucht Conde nach alten Buchbeständen, die er an einen befreundeten Antiquar verkaufen kann. Und gelegentlich fragt ihn sein alter Kollege Manuel Palacios, ob er nicht ein wenig aushelfen kann. In diesem Fall hat ein ziemlich heftiges Gewitter einen verwitterten Leichnam auf der ehemaligen Finca des berühmtem amerikanischen Schriftstellers ans Licht gebracht. Der Mann ist offensichtlich vor vierzig Jahren von zwei Kugeln getroffen worden und hinterher auf dem Grundstück verscharrt worden. Damit kein größeres Aufsehen erregt wird, soll sich El Conde darum kümmern, und er kümmert sich drum.

Padura aber nun lässt seinen Ermittler nicht nur loslaufen und die letzten Überlebenden der damaligen Zeit befragen (die müssen dann zwischen jugendlichen 90 und erwachsenen 102 Jahren alt sein), er lässt ihn nicht nur in der Finca herumstöbern, erotische Fantasien beim Gedanken an Ava Gardner in Hemingways Swimmingpool und dem dabei erbeuteten schwarzen Höschen haben (über dessen Verbleib siehe oben), er lässt ihn nicht nur das Höschen, in dem Hemingway sinnigerweise gewöhnlich eine Pistole einwickelte, aus der Sakralstätte entwenden, sondern sich auch seine Gedanken darüber machen, was denn damals passiert sein könnte.

Dabei hilft weniger die Spurensuche, denn das Gesamtbild, das vor allem (gegen jeden neueren "CSI"-Trend) in der Kontemplation erworben werden kann. Wie sehr er damit der Wahrheit auf der Spur ist (nennen wir es behelfsweise Wahrheit), zeigt sich an der Parallelhandlung, die Padura in den Roman einflicht. Dafür versetzt er sich in die Handlungszeit des Mordes, lässt uns in die Gegenwart Hemingways schlüpfen und seinen letzten Abend auf Kuba mitverfolgen. Natürlich geschieht hier ein Mord (eher unabsichtlich), selbstverständlich ist es Hemingway, der die Leiche eines abgehalfterten FBI-Agenten am Fuße eines Mangobaumes verscharren lässt, der dann vierzig Jahre später einem kubanischen Sturm erliegt. Wir dürfen Hemingways Selbstzweifeln und seinen Gesprächen mit den Freunden und Dienern lauschen, die ihm ergeben sind bis in den Tod des FBI-Agenten. Wir folgen einem alten Mann, der nicht mit dem Meer, sondern mit dem Wasserlassen und dem Alkoholverbot zu kämpfen hat, und - wie auch anders - mit seinem nachlassenden Gedächtnis und der nicht minder schwindenden Kreativität.

Das ist schön erzählt, trotz einiger Sätze am Anfang wie: "Er musste es akzeptieren, mit mehr Fragezeichen als Gewissheiten zu leben." Aber selbst die gehören ja zur Mindestausstattung melancholischer Männlichkeit im neuen Jahrtausend. Padura ist also nur konsequent. Wir folgen also einem aufschlussreichen Hemingway- und einem angenehmen El Conde-Handlungsstrang, was umso besser gefällt, weil Hemingway ja vielleicht dem kleinen Mario einmal zugewinkt hat (aber vielleicht hat er auch nur seinen Skipper Raul gemeint). Am Ende sitzen wir dann mit den alten Jungs und schauen aufs Meer und lassen es draußen weiter regnen. Die passende Musik dazu findet sich sicher auch irgendwo bei den CDs. Was will man mehr? Zettel schreiben: Gelegentlich wieder Hemingway lesen.


Titelbild

Leonardo Padura: Adiós Hemingway. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein.
Unionsverlag, Zürich 2006.
190 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3293003621

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