Das Wort wurde ihnen zum Schicksal

Endlich liegt ein wissenschaftlich fundiertes und gut aufbereitetes Porträt des ungewöhnlichen mährischen Schriftstellers Jakub Deml (1878-1961) vor

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der von Alexander Wöll verfassten Studie liegt eine Pioniertat vor. Noch nie zuvor war im deutschen Sprachraum der Versuch unternommen worden, Leben und Werk des ungewöhnlich produktiven mährischen Schriftstellers Jakub Deml einem interessierten Publikum zu vermitteln.

Jakub Deml (1878-1961) war Zeit seines Lebens ein widersprüchlicher und vor allem streitbarer Geist gewesen. 1902 zum katholischen Priester geweiht, wurde er bereits 1909 von seinen Amtsgeschäften wieder entbunden und in den unbezahlten Ruhestand versetzt. Deml war mit der Amtskirche wiederholt in Konflikte geraten, hatte sich aber dennoch ein Leben lang den Regeln eines katholischen Priesters unterworfen. Mit seinen sprichwörtlichen Musen, mit denen er sich umgab und die er zum Leben brauchte, verbanden ihn platonische Gefühle.

Es spricht für die umsichtige Herangehensweise Alexander Wölls, dass er biografische Hintergründe Jakub Demls, Aussagen sowohl seiner Freunde als auch seiner noch zahlreicheren Feinde, aber auch Selbstzeugnisse in einer umfangreichen Zusammenschau darstellt. Organisch fügen sich zahlreiche Textbeispiele ein, die von Alexander Wöll einer kritischen Interpretation unterzogen werden. Auf diese Weise gelingen einsichtige Zugänge in den "Kosmos Jakub Demls", dessen Existenz im mährischen Tasov/Tassau bereits zu Lebzeiten zuweilen geheimnisumwittert war.

Wiewohl stockkonservativ in Glaubensdingen, war Deml in künstlerischen Fragen modernen Verfahren gegenüber aufgeschlossen, weshalb Wöll ihn auch eher als "Spätmodernen" denn als Angehörigen der "katholischen Moderne" zu qualifizieren sucht. Über sich selbst schrieb Jakub Deml: "Wer Humor hat, der glaubt, Humor hängt mit dem Glauben zusammen, während Ironie und Sarkasmus die Kinder von Skepsis und Unglauben sind".

Deml war streitsüchtig genug, um auch immer wieder vor Gericht zu landen. Wegen Verunglimpfung des Präsidenten Tomáš G. Masaryk - was diesen allerdings nicht daran hinderte, Deml immer wieder auch finanziell zu unterstützen - war er in den 1930er Jahren ebenso angeklagt, wie nach dem Krieg wegen seiner angeblichen Hinwendung zu den deutschen Besatzern. Bezeichnenderweise hatte ausgerechnet der kommunistische Dichter Vítezslav Nezval nach der Machtübernahme von 1948 immer wieder seine Hand über den von ihm bewunderten Dichter gehalten und ihn als einen "Monarchen der Phantasie" bezeichnet.

Gerade die ersten Jahre unter diesem neuen Regime hatte für Dichterkollegen wie Zdenek Rotrekl oder Jan Zahradnícek jahrelange Haftstrafen unter schwersten Bedingungen zur Folge. In den dreißiger Jahren äußerte sich Zahradnícek über Jakub Demls Kunst: "Es existiert das Abenteuer des Wortes, und die, die sich darauf einlassen, vermögen alles, was sie haben, und alles, worauf sie für sich und andere hoffen, auf das Wort zu setzen, denn das Wort wurde ihnen zum Schicksal". Damals konnte niemand ahnen, mit welch brutaler Wucht die Wirklichkeit später diese Einschätzungen kommentieren würde!

Das Gefängnis war Deml zwar erspart geblieben, aber seine Publikationsmöglichkeiten waren über Jahrzehnte hinweg extrem eingeschränkt. Umso erstaunlicher ist es, dass Demls Texte eine große Wirkungsmächtigkeit bei vielen tschechischen Schriftstellern entfalteten. Bohumil Hrabal hatte sich deutlich zu Deml bekannt, seine parlierende Prosa ist ohne den Einfluss von Jakub Deml nicht denkbar. Alexander Wölls Untersuchungen widmen sich in diesem Zusammenhang Demls "dialogischem Schreibstil" einer "ornamentalen Prosa".

Zur Lesbarkeit auch für einen weiter gefassten Leserkreis trägt die Sorgfalt bei, mit welcher der Autor die zitierten Textbeispiele in eigener Übersetzung anfügt. Ein umfangreicher bibliografischer Teil, ein Index über Personen in Demls Leben sowie ein tabellarischer Überblick über Demls Biografie erschließen über die Vita von Jakub Deml hinausreichende Zusammenhänge.

Der "Kosmos Jakub Demls" ist im unbedingten Zusammenhang mit dem "Kosmos Tasov" in Mähren zu begreifen. Das weit entfernte Prag stellte für Deml lediglich einen zivilisatorischen Sündenpfuhl dar, während die mährische Provinz eher dafür geeignet schien, Zugänge zu einer existentiellen Geborgenheit zu ermöglichen. Doch eine wahre Geborgenheit war einem Streiter wie Deml freilich versagt geblieben. Nicht von ungefähr kultivierte er in unzähligen seiner Texte die Welt der Träume und Gesichte. Gerade im Abstand der Jahre erstaunt die eindringliche Wucht einer visionären Sanftheit, mit der Deml diese mitteleuropäische Landschaft zum Leben erweckte.


Titelbild

Alexander Wöll: Jakub Deml. Leben und Werk (1878-1961). Eine Studie zur mitteleuropäischen Literatur.
Böhlau Verlag, Köln 2006.
539 Seiten, 54,90 EUR.
ISBN-10: 3412300055

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