Pack verschlägt sich, Pack verträgt sich

Marina Lewyckas Immigranten-Burleske "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" fehlt es nicht an Herz - aber an Verstand

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2001 spielte Nicole Kidman die Hauptrolle in der britischen Komödie "Birthday Girl"; einem Film über einen naiven Bankangestellten, der sich zum Geburtstag via Internet eine russische Ehefrau bestellt. Kidman durfte in ihrer Rolle als Importbraut unmögliche Fummel tragen, Kette rauchen, verdorbene Dinge mit ihrer Zunge anstellen und in holprigem Englisch Sachen sagen wie: "Irch bin aine Girhaffe!" Natürlich kam bald auch die Russenmafia ins Spiel, und die letzten 45 Minuten des Films verbrachte das Ehepaar dann damit, sich gegenseitig zu ohrfeigen, ans Bett zu fesseln, an den Haaren zu ziehen oder in den Fuß zu schießen - die Dreharbeiten müssen ein Heidenspaß gewesen sein. Das sieht man Kidman auch an: Szene für Szene kuckt sie, als würde sie denken: "Warum spiele ich eigentlich nicht öfters Frauen, die unmögliche Fummel tragen und anderen Leuten in den Fuß schießen?" Nur der Zuschauer kommt bei "Birthday Girl" eindeutig zu kurz: der Spaß, den die Darsteller hatten, überträgt sich nicht aufs Publikum - ein Film wie ein Amateurvideo über eine Klassenfahrt.

2005 veröffentlichte Marina Lewycka ihren ersten Roman: "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch", eine Burleske über einen 84jährigen Witwer, der sich in ein Busenwunder aus dem Ostblock verkuckt. 2006 auch in Deutschland erschienen, liegt das Buch in Buchhandlungen ganz in der Nähe von Jonathan Safran Foer und Benjamin Kunkel: hippe, überdrehte Gegenwartsliteratur also, mit einem Schuss Weltpolitik und Familienhistorie, und vielen, vielen postmodernen Spielereien. "Das ist bestimmt tausendmal cleverer als Kidman!", soll die Zielgruppe ob des schick-ironischen Agitprop-Covers denken. Und dabei möglichst übersehen, dass Autorin Lewycka bereits 60 Jahre alt ist und bisher nur Fachliteratur zum Thema Altenpflege veröffentlicht hat. Unkonventionell und wild findet sich die ukrainischstämmige Britin trotzdem; sie schreibt, als würde sie Zeile für Zeile denken: "Warum verdiene ich nicht schon seit 40 Jahren mein Geld mit Geschichten über trashige Immigranten und notgeile Greise?" Nur der Leser kommt dabei eindeutig zu kurz: "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch", das hat soviel Esprit wie ein Sketch, vorgeführt auf dem bunten Abend eines Landfrauenvereins.

Dabei geht sich der Roman durchaus vielversprechend an. Erzählerin ist Nadia Majevski, eine Universitätsdozentin Ende 40, die vor zwei Jahren ihre Mutter verloren hat. Ihr Vater Nikolai, ein in der Ukraine geborener Ingenieur, lebt seitdem alleine in seinem kleinen Häuschen an der Peripherie des Provinzstädtchens Peterborough. Zu Schwester Vera - zehn Jahre älter als die Erzählerin, um einiges wohlhabender und viel, viel konservativer - herrscht wegen verschiedenen Erbstreitigkeiten Funkstille. Bis Valentina auftaucht. Sie ist fast fünfzig Jahre jünger als Nadias Vater, hat einen pubertierenden Sohn und braucht eine Aufenthaltserlaubnis für Großbritannien. Greis Nikolai schreibt der wasserstoffblonden Walküre glühende Liebesbriefe, gibt ihr Geld für eine Brustvergrößerung, und lässt Mutter wie Sohn mit Freuden bei sich einziehen. Nadia betrachtet den zweiten Frühling ihres Vaters zuerst nur mit milder Skepsis. Als Valentinas Wünsche jedoch immer kostspieliger, ihre Forderungen immer überzogener werden, schließt Nadia einen Pakt mit ihrer Schwester: der Parasit muss beseitigt werden. Mit allen Mitteln.

Eine solche Geschichte ließe sich auf zwei Arten erzählen: als überdrehte Komödie mit Slapstick-Einlagen, comicartigen Figuren, absurden Zufällen - flach, aber spaßig. Oder als Drama zwischen längst integrierten Kriegsflüchtlingen der zweiten Generation und einer modernen jungen Frau, aufgewachsen im Kommunismus, die alles tut, um sich Zutritt ins vermeintliche Schlaraffenland Großbritannien zu verschaffen. Lewycka - und das ist ihr hoch anzurechnen - versucht beides: Gesellschaftskritik und Klamauk, Generationenroman und schwarze Komödie. Einerseits malt sie Valentina in den grellsten denkbaren Farben (sie hat mehrere Affären, kann weder Kochen noch Haushalten, und wird, als Nikolai ihr Grenzen setzen will, zickig und gewalttätig). Andererseits arbeitet Nadia, während sie die Ehe ihres Vaters zerstören will, auch ihre Familiengeschichte auf, hinterfragt ihre kulturellen Normen. Nikolai schließlich - und hier erklärt sich der etwas prätentiöse Titel des Romans - schreibt unterdessen an einer Historie des Traktors, und betrachtet dessen Siegeszug unter militärischen und ideologischen Gesichtspunkten.

"Du krank im Kopf", beschimpft Valentina ihren Gatten: "Du machen zu viel Probleme. Reden zu viel verrückt. Immer zuviel Küsschen-Küsschen. Vierundachtzig Jahr alt Mann nicht gut." "Bisher stand ich allem, was mit Immigration zu tun hatte, liberal gegenüber", erklärt Nadia: "Ich fand, jeder Mensch solle sich selbst aussuchen können, wo er leben will. Doch jetzt stelle ich mir Horden von Valentinas vor, die in Ramsgate, Felixstowe, Dover und Newhaven an Land gehen, die Zoll- und Passkontrollen überrennen, zielstrebig, unaufhaltsam, wahnsinnig." "Nadia, warum musst du immer in der Vergangenheit herumstochern?", fragt Vera, die den Weltkrieg noch miterlebt hat. "Die Vergangenheit ist schmutzig. Wie eine Kloake. Man sollte nicht dort herumspielen. Rühr nicht daran. Vergiss es einfach." Und Vater Nikolai, mittlerweile von Valentina in eine kleine Kammer gesperrt, fragt müde: "Ist es nicht besser, wenn man von jemandem, den man liebt, schlecht behandelt wird, als dass man allein stirbt?"

Eine krude, aber durchaus interessante Mischung - hätten diese an sich reizvollen Themen eine Chance gegen Lewyckas dröge, bleischwere Sprache. Oder die eindimensionalen Figuren. Die nach Vorabendserie klingenden Dialoge. Die geschwätzigen Naturbeschreibungen. Die unbeholfen in den Plot gepfefferten Sowjetregime- und Flüchtlingslager-Klischees. Kurz: die Leblosigkeit und Altbackenheit dieses furchtbar, furchtbar gut gemeinten, aber total verkrampften Buches. Auf Veras Frage, weshalb Nadia individuellen Lebensgeschichten "so ein bourgeoises Interesse" entgegenbringt, antwortet sie: "Weil sie wichtig sind. Sie definieren... sie zeigen uns... wir lernen daraus, dass... ach, ich weiß nicht." Und viel mehr, so scheint es nach der Lektüre ihres Romans, könnte auch Marina Lewycka nicht darüber sagen.

Egal, ob man "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" als Familien- und Erinnerungsroman begreifen will, oder als schwarze Komödie mit ernsten Untertönen: Für beide Erzählentwürfe bräuchte man plastische Figuren, gutes Timing, erzählerischen Mut; für beide Erzählentwürfe bräuchte man Schwung. Benjamin Kunkel? Jonathan Safran Foer? Nie und nimmer! Marina Lewycka ist keine Erzählerin, die ihre Leser fordern, irritieren, überraschen will. Ihr braves Büchlein hat einfach die Zielgruppe verfehlt; es sollte bei Fossilien wie Noelle Chátelet, Fay Weldon und Annie Proulx ausgelegt werden statt zwischen jungen, wilden Postmodernisten. Und entsprechend hätte dtv auch besser daran getan, statt bunten Traktoren einfach eine Sonnenblume aufs Cover zu drucken, oder viele kleine Marienkäfer. Dann hätten wir vorher wissen können, was hier auf uns zukommt: ein Buch wie Bauerntheater. Und ganz ohne Nicole Kidman.


Titelbild

Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Elfi Hartenstein.
dtv Verlag, München 2006.
358 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3423245573

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