An der Nahtstelle

Saša Stanišics Roman "Wie der Soldat das Grammophon repariert" schaut mit kindlichem Blick auf den Krieg

Von Monika MünchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Münch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann diesen Erstling von vielen Warten aus betrachten, doch eines fällt stets auf: Nichts hier ist starr aus einem Guss; Saša Stanišic hat einen Patchwork-Roman über ein Patchwork-Leben geschrieben. Dieses Leben ist gewebt aus Krieg und Frieden, aus Deutschland und der alten Heimat, aus bosnisch und serbisch, denn der Protagonist Aleksandar ist beides: Die Mutter ist Bosniakin, der Vater Serbe. Selbst der Ort, an dem der Roman spielt, erinnert an die Nahtstelle in einem Puzzle: Dort, wo zwei Teile aneinanderstoßen, die zueinander gehören und doch nicht eins sind. Die Stadt Višegrad an der Drina liegt in Bosnien, nur wenige Kilometer von Serbien entfernt.

Višegrad war schon einmal Schauplatz eines Romans: "Die Brücke über die Drina" von Ivo Andric. Der Nobelpreisträger beschreibt darin die Geschichte dieses Bauwerks, das im 16. Jahrhundert gebaut wurde, um Morgen- und Abendland zu verbinden. Stanišic sucht ganz offensichtlich Anschluss an den großen Kollegen, erzählt er doch eine traurige Fortsetzung. Während des Krieges werden alle Muslime aus Višegrad vertrieben; rund 4000 von ihnen wurden ermordet.

"Wie der Soldat das Grammophon repariert" ist ein Sammelsurium aus dem Heute und dem, was lange her ist, aus der realen Erinnerung und dem, was die Phantasie daraus gemacht hat. Die allermeiste Zeit erzählt ein Kind diese Geschichte, die sich grob an der Biografie des 28-jährigen Autors ausrichtet. Er verdichtet eine idyllische Kindheit, regiert von Fantasie, Genosse Tito und dem Zauberstab, den Opa Slavko seinem Enkel Aleksandar vermacht hat.

Dann kommt der Krieg, ohne Vorwarnung und ohne, dass Aleksandar ihn erklären könnte. Stattdessen ist der Junge Schlüssellochgucker und ewiger Zaungast, mit großen Augen und Ohren, doch ohne Kenntnis jeglicher Hintergründe. Der leise Humor des Buches, der im ersten Teil des Romans noch lachen macht und staunen ob seiner innovativen Verwendung, er lässt unmerklich nach. Denn bald gibt es nichts mehr zu lachen, im Keller, auf dem Schlachtfeld, auf der Flucht nach Deutschland. Was dort komisch sein könnte, ist nur tragisch.

Stanišic baut durch seine Erzählstruktur, die nur vage von einer Chronologie durchzogen ist, ein einprägsames Leseerlebnis auf, das dem Erinnern ähnelt. Und durch alles, was Aleksandar nicht sagt, entsteht das Bild des Kriegs im Kopf - stärker, als es Worte hätten zeichnen können. Auch durch dieses Nebeneinander von Gesagtem und Unausgesprochenem, von Gedachtem und Erinnerten, wird das Buch zum Puzzle.

Und durch die Sprache. Stanišic bedient sich, wie er sagt, aus dem Schatz zweier Idiome: "Taub wie eine Kanone" etwa, jenes Bild, das er gern im Zusammenhang mit Aleksandars Großmutter verwendet, stammt aus dem Bosnischen. So nutzt Saša Stanišic die deutsche Sprache wie etwas Funkelndes, Neues; mit abgewetzten Klischees begnügt er sich nicht. Damit etabliert sich der Schüler des Leipziger Literaturinstituts als junger Autor, der erzählen kann und etwas zu erzählen hat; der ganz zu Recht für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde; der weder großkotzig daherkommt, noch depressiv-blutleer am eigenen Dasein krankt; der sich seinem Text verschrieben hat, nicht seinem Ego.

Doch kann die Fantasie letztlich irgendwas retten? Nein, nicht in Višegrad, wo Aleksandar nicht mehr zu Hause ist. Und ja, in einem Gedächtnis, das allen gehört, nicht nur dem Einzelnen: Dank Aleksandars Phantasie können wir alle uns an etwas erinnern, was wir gar nicht selbst erlebt haben.


Titelbild

Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2006.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3630872425

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