Vom Leben eines "merkwürdigen Franzosen"

Pünktlich zum 100. Todestag Paul Cézannes erscheint Peter Kropmanns Biografie des Vaters der modernen Malerei

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Längst gilt Cézanne als einer der wichtigsten Maler der Moderne und wird posthum fast überreichlich mit all jenen Ehren bedacht, die ihm Zeit seines Lebens weitestgehend versagt blieben. Von Malerkollegen vor allem in seinen späteren Jahren zunehmend bewundert, riefen seine Bilder beim zeitgenössischen Publikum meist nur Unverständnis und Kopfschütteln hervor. Noch 1910, als sich sein Ruf als bedeutender Avantgardekünstler auf dem Kontinent bereits verfestigt hatte, führte eine Londoner Ausstellung, in der Cézannes Bilder an exponierter Stelle gezeigt wurden, zu einem derart großen Eklat, dass sich der Kurator Roger Fry vor Schmähbriefen kaum retten konnte und obendrein noch Dutzende von Kinderzeichnungen zugesandt bekam, deren künstlerischer Wert nach Meinung der aufgebrachten Eltern den der gezeigten Werke bei Weitem übertraf.

Sind Cézannes Bilder mittlerweile auch zu Ikonen der modernen Kunst avanciert, die sich bei Ausstellungen regelmäßig als Publikumsmagnet erweisen und die von Kaffeetassen bis hin zu Regenschirmen alles zieren, was sich irgend bedrucken lässt, so müssen sie dem zeitgenössischen Publikum in der Tat befremdlich vorgekommen sein: Fernab von jeglicher malerischer Finesse, mit der die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts ausgiebig glänzte, wirken seine thematisch unspektakulären Stillleben aus Äpfeln, Pfirsichen und Papierblumen derart instabil, dass man meint, die klobigen Früchte müssten jeden Moment laut polternd aus der eigenartig schiefen Szenerie fallen. Auch seine zahllosen, mit unvorstellbarer Ausdauer gemalten Darstellungen der Montagne Sainte-Victoire und die über 100 hölzern-unerotischen Darstellungen von Badenden scheinen einem höchst merkwürdigen künstlerischen Temperament entsprungen zu sein.

Da nimmt es kaum Wunder, dass das Interesse an dem Menschen Paul Cézanne in dem Maße wuchs, in dem man begann, sich für seine Kunst zu interessieren. Doch erwies sich der Maler als mindestens so schwer zugänglich wie seine Malerei: "Er ist der seltsamste Kerl, den man sich vorstellen kann" beklagte sich Achille Emperaire, dessen Porträt Cézanne um 1868 malte, und es dürfte Joachim Gasquet, den Sohn eines der wenigen Freunde Cézannes, viel Mühe gekostet haben, dem wortkargen Künstler wenigstens einige zitierbare Aussagen zur Malerei zu entlocken, bevor sich dieser rigoros weigerte, den jungen Schriftsteller weiter zu empfangen. Dennoch hatten Biografien Cézannes bald Hochkonjunktur: Als erste biografische Skizze erschien schon 1891 Emile Bernards Artikel "Paul Cézanne", gefolgt von Lebensbeschreibungen durch Maurice Denis, Julius Meier-Graefe, Ambroise Vollard und Karl-Ernst Osthaus. Die neueste in dieser langen Reihe von Biografien des "Meisters aus Aix" wurde von dem in Paris lebenden Kunsthistoriker und Romanisten Peter Kropmanns verfasst und erschien nun pünktlich zum 100. Todestag Cézannes.

Kropmanns' "Cézanne" fällt zunächst durch seine Kompaktheit auf: Nur rund 200 Seiten widmet der Autor seinem Gegenstand, und dennoch gelingt es ihm, in dieser relativen Kürze ein ganzes Leben zu skizzieren. Die chronologisch aufgebaute Biografie beginnt mit einem kurzen Proömium zur Bedeutung Cézannes und seiner Rezeption durch Künstler und Literaten, ebenso wie zu den Schönheiten seiner Geburtsstadt Aix-en-Provence.

Daran schließt sich die Lebensgeschichte des Malers an: Seine Geburt als uneheliches Kind und das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, einem "self-made"-Mann, der es als Hutmacher und Bankier zu Geld brachte, für die künstlerischen Ambitionen seines Sohnes aber zunächst kein Verständnis aufbringen konnte, werden von Kropmanns in historischem Präsens ebenso dargelegt, wie die Jugendfreundschaft des Gedichte schreibenden Teenagers zu Emile Zola und sein ambivalentes Verhältnis zu Frauen, nicht zuletzt auch zu seiner eigenen, Hortense Fiquet, die der mittlerweile über 30-jährige Maler ebenso wie den gemeinsamen Sohn Paul junior vor dem gestrengen Vater verleugnen musste.

Es folgen das Zerwürfnis mit Zola, der Tod des Vaters, dessen Vermögen Cézanne endlich die finanzielle Unabhängigkeit brachte, und der sich ab 1895 langsam einstellende Erfolg. Kropmanns Grundlage sind neben anderen Biografien vor allem die Briefe Cézannes, die er nach der Ausgabe John Rewalds zitiert, teilweise aber in korrigierter oder erweiterter Version darbietet. Zusätzlich bezieht sich der Autor auf Äußerungen von Zeitgenossen des Malers, wie etwa auf Joris-Karl Huysmans Theorie, Cézannes Bilder schuldeten ihr Aussehen der Tatsache, dass der Künstler an einem Augenleiden erkrankt sei (eine These, die Kropmanns offenbar für so zentral hält, dass er sie gleich zwei Mal kurz hintereinander zitiert), oder auch Rainer Maria Rilkes Aussagen über den "merkwürdigen Franzosen", dessen Bilder ihm Klarheit über seine eigenen ästhetischen Probleme zu verheißen schienen.

Nur weniges an dieser Biografie ist Mutmaßung, und selbst an den Stellen, an denen Kropmanns Vermutungen anstellt, etwa über die Gründe für den Bruch zwischen Cézanne und Zola oder über das Liebesleben des Malers, gelingt es ihm stets, das dünne Eis der Spekulation weitgehend unbeschadet wieder zu verlassen. Ansonsten weist das Buch einen hohen Grad an philologischer Genauigkeit auf: Erwähnungen von Gemälden Cézannes werden begleitet von Informationen zu deren Entstehungszeit (hier richtet sich Kropmanns ebenfalls weitgehend nach Rewald) und ihrem momentanen Aufbewahrungsort; Zitate werden nachgewiesen (leider gerade in Biografien keineswegs eine Selbstverständlichkeit) und ein abschließendes Literaturverzeichnis gibt einen (zugegebenermaßen sehr kurzen) Überblick über verwendete und weiterführende Werke. Der umfangreiche Anhang bietet darüber hinaus noch einen chronologischen Abriss der Biografie, sowie eine Karte und ausführliche Erläuterungen zu den Orten, an denen Cézanne lebte und arbeitete.

Interpretationen zu Cézannes Gemälden hingegen wird man in dem vergleichsweise generös illustrierten Band vergebens suchen: Trotz der 16 Farbabbildungen von Werken Cézannes konzentriert sich Kropmanns auf die Vita des Malers; diese beschreibt er jedoch - abgesehen von einigen Passagen zu Aix-en-Provence, die derart blumig geraten sind, dass sie das französische Fremdenverkehrsamt sicherlich mit Freuden übernehmen wird - durchgängig so unterhaltend, dass "Cézanne" sicherlich ein ebenso informatives wie kurzweiliges Lesevergnügen für all jene sein wird, die sich einen konzisen Überblick über das Leben des Vaters der modernen Malerei verschaffen möchten.


Titelbild

Peter Kropmanns: Cézanne. Eine Biographie.
Reclam Verlag, Stuttgart 2006.
231 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3150106109

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