Kriegsverherrlichungen im Zeichen des Friedens

Olaf Müller untersucht französische Antikriegsliteratur aus der Zeit zwischen den Weltkriegen

Von Magnus KlaueRSS-Newsfeed neuer Artikel von Magnus Klaue

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" wurde unmittelbar nach Erscheinen als pazifistischer Roman wahrgenommen und von deutschnationalen Kreisen verunglimpft, später jedoch kritisierten ihn Arnold Zweig und Kurt Tucholsky als "pazifistische Kriegspropaganda". Olaf Müllers klar proportionierte Studie widmet sich den Aporien des literarischen Pazifismus zwischen den Weltkriegen, wie sie schon früh in der Kontroverse um Remarques Roman zu Tage traten. Anhand zumeist vergessener "pazifistischer" Romane von Henri Barbusse, Victor Margueritte, Eugène Dabit, Henry Poulaille und anderen untersucht Müller die Diskrepanz zwischen Programmatik und tatsächlichem ideologischen Gehalt in der französischen Kriegsliteratur.

Die Einzelinterpretationen führen vor, wie die pazifistische Intention im Modus ästhetischer Gestaltung auf je verschiedene Art in eine Naturalisierung und Heroisierung des Kriegsgeschehens umschlägt, die die Romane entgegen ihrer formulierten Absicht anschlussfähig für kriegsverherrlichende Diskurse und heroisierende Opfermythen macht. Einige der Autoren - exemplarisch der im Umfeld des Naturalismus sozialisierte Margueritte - haben sich auch biografisch vom Kriegsgegner zum Kollaborateur und sogar zum Apologeten des NS-Revanchismus entwickelt. Am Beispiel von Barbusses Roman "Le Feu" erläutert Müller die Strategie "linker Selbstmobilisierung", in der ein legitimer antideutscher Pazifismus unter der Hand umschlägt in Glorifizierung der "Frontgemeinschaft", Stilisierung des Kriegstods zum "Opfer" und in eine Biologisierung der als vergewaltigter "Leib" imaginierten Nation. Anhand von Margueritte wird analysiert, wie sich marxistische und malthusianische Denkmuster zu einem "pazifistischen" Plädoyer für darwinistische Eugenetik verbinden. An Dabits "Petit-Louis" demonstriert Müller die Stilisierung des pazifistischen Kämpfers zum gesunden "Sportler", mithin zum Spiegelbild des verbal denunzierten "Kriegers", und an den Romanen von Poulaille führt er vor, wie eine pazifistisch motivierte Technikfeindlichkeit mit Sexismus und Antifeminismus zu einer Verherrlichung traditioneller Geschlechterrollen verschmilzt.

Bei aller Kritik bleibt dem Verfasser präsent, dass es sich bei den untersuchten Romanen um Reaktionen auf den deutschen Angriffskrieg handelt. Vergleiche mit der deutschen Kriegsliteratur sowie mit weniger unmittelbaren Verarbeitungen des Ersten Weltkriegs etwa bei Aragon oder Giono wären nützlich gewesen, zumal sich die Arbeit angesichts der ästhetisch eher anspruchslosen Texte mitunter in Handlungsreferaten verliert. Dennoch wird hier mit bewundernswerter Materialbeherrschung ein bisher kaum in den Blick geratenes Gebiet erschlossen.

Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien bereits in der KONKRET vom März 2006. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.


Titelbild

Olaf Müller: Der unmögliche Roman. Antikriegs-Literatur in Frankreich zwischen den Weltkriegen.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
377 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3861091755

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