Untergründiges Begehren

Gabriele Dietze und Sabine Hark legen einen Sammelband mit klassischen und neuen Texten zu Genealogien und Grenzen der Kategorie Gender vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur wenige Monate, nachdem bei Ulrike Helmer ein Reader zur feministischen Politik und Wissenschaft erschienen ist, wartet der Verlag nun mit einem ähnlich angelegten Band auf, der den ersten wunderbar ergänzt.

Gabriele Dietze und Sabine Hark haben heute fast schon klassisch zu nennende und aktuelle Texte zur "Genealogien und Grenzen" der Kategorie Gender zusammengestellt und unter dem treffenden Titel "Gender kontrovers" zur Publikation gebracht. Treffend, da sich seine Beiträge in den "Spannungsverhältnis[sen]" zwischen Konstruktion und Dekonstruktion, zwischen Disziplinierung und Transgression sowie zwischen Wissensformierung und Wissenskritik bewegen. So zielt der Band darauf, den "allgegenwärtigen Versuchen, feministische Theoriegeschichte zu enthistorisieren und homogenisieren", zu "trotzen" und "mit dem (de)konstruktiven und relationalen Potential eines Gender-Begriffs sowohl gegen seine Purifikation, Verengung, Schließung und Disziplinarisierung als auch seine Komplizenschaft mit den Machtformationen Race, Klasse und Heteronormativität" anzudenken.

Die "wissensgenerierende und (wissens)kritische Kategorie" Gender, so die Herausgeberinnen, verweise auf den "paradoxalen Wunsch", die Kategorien, die man kreiert, um die Welt zu verstehen oder auch um sich zu positionieren und zu identifizieren, möchten einem doch bitte "gleichsam die Arbeit abnehmen" und das tun, was man sich von ihnen wünscht, wie etwa "emanzipatorisch zu wirken". Denn man projiziere die eigenen intellektuellen und politischen Wünsche und Interessen in Kategorien, und vergesse dann, "dass es jene Wünsche und Interessen sind, die Kategorien strukturieren". So existiere im "[i]m Untergrund jeglicher Beziehung zwischen 'uns' und 'unseren' Kategorien" ein Begehren, das definiere, "wie wir die jeweilige Kategorie verstehen und einsetzen und nicht zuletzt, was wir mit ihr wie erkennen können".

Dezidiert wenden sich die Herausgeberinnen gegen "Erkenntnisbornierungen" als mögliche Folgen der - um der "epistemischen Produktivität" einer "geschlechtersensiblen Perspektive" allerdings notwendigen - "epistemischen Privilegierung" von Gender und plädieren dafür, deutlicher als bisher, "punktuelle Allianzen" mit anderen "macht- und herrschaftskritischen Erkenntnisperspektiven" zu suchen.

Mitherausgeberin Hark eröffnet den Band mit einem Beitrag, in dem sie zwar gegenüber ihrer unlängst veröffentlichten Habilitation keine grundsätzlich neuen Überlegungen anstellt, der aber zumindest einen guten Einblick in die wichtigsten dort vertretenen Auffassungen bietet. Gabriele Dietze unternimmt die Rekonstruktion des Begriffs Gender und dekonstruiert die "Meistermetapher" Hermaphroditismus, um so den Weg zu einem "erneut reflexiven Genderbegriff" zu bereiten, "der Zweigeschlechtlichkeit als Gründungserzählung jeden Genderbegriffs reflektiert", und Annette Schlichter beleuchtet den "Wunsch nach Transgression" heterosexueller Intellektueller.

Sabine Broek unterzieht die Moderne einer "notwendigen Relektüre", wobei sie deren Philosophie allzu summarisch eine "grundsätzliche Verleugnung der transatlantischen Sklaverei" vorwirft. Solche Verallgemeinerungen sollten gerade in einem Beitrag vermieden werden, der sich "in ein[em] diskursive[n] Feld am Schnittpunkt von Gender Studies, African-American Studies und Postcolonial Studies" positioniert. Dass Broek die "radikale Verweigerung der Aufklärungskritik gegenüber der konkreten Sklaverei" ausgerechnet anhand von Adornos und Horkheimers in der Aufklärungsforschung nicht eben für "überprüfbare historische Konkretisierungen" (Norbert Hinske) geschätzter "Dialektik der Aufklärung" (Hinske moniert zudem die "Blindheit der Autoren gegenüber allen Problemen der Begriffsgeschichte") aufzeigen möchte, macht die Sache nicht besser.

Neben die deutschen AutorInnen treten mit Gayle Rubin, Wendy Brown und Judith Butler drei namhafte Vertreterinnen der US-amerikanischen Genderforschung der letzten Dekaden. Rubin steuert mit ihrer erstmals 1975, also auf dem Gipfelpunkt des second wave feminism, erschienen Abhandlung "[z]ur 'politischen Ökonomie' von Geschlecht" den ältesten Beitrag bei, Brown fragt in einem Text von 1997, ob und inwieweit die Women's Studies noch immer als "institutionalisierter Bereich akademischer Wissensbildung" vertretbar sind, und Butler ist mit einem zumindest hierzulande bislang wenig bekannten Text vertreten, der 1994 unter dem Titel "Against Proper Objects" erschienen ist.

Den Band schließen - wie die Herausgeberinnen sagen - "vier Etüden", mit denen Carsten Junker, Julie Miess, Susann Neuenfeldt und Juli Roth anhand von Hermann Melvilles Kurzgeschichte "Bartleby the Scrivener" die "epistemologische Unmöglichkeit" einer "weibliche[n] Subjektposition als kritischer Instanz der Moderne" aufzeigen.

Dank ist dem Band für zweierlei zu zollen: zum einen dafür, dass er drei wichtige Texte US-amerikanischer Gender-Theoretikerinnen erst mal in deutscher Übersetzung zugänglich macht, und zum anderen dafür, dass er die weiterhin notwendige Kontroverse um die Kategorie Gender führt und vorantreibt - und zwar auf meist ansprechend hohem Niveau.


Titelbild

Gabriele Dietze / Sabine Hark: Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2006.
260 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3897412152

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