Zuviel der Entspannung

"Kultbuch" oder heiße Luft im Designer-Einband?

Von Gerhart PickerodtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhart Pickerodt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman "Relax" wird vom Verlag/Versand als "Kultbuch" angepriesen, und die Käufer scheinen diese Etikette zu bestätigen, da der Roman allein zwischen 1997 und 1998 - in neun Monaten - bereits vier Auflagen erfahren hat. Die Autorin Alexa Hennig von Lange war zum Zeitpunkt der Publikation 24 Jahre alt und, wie die Medien verraten, in mancherlei Funktionen in den Medien tätig. Beinahe alle großen Zeitungen in Deutschland haben dem Werk Rezensionen gewidmet, zumeist positive, und auf irgendeine Weise haben sie alle den Roman als authentischen Ausdruck der jungen Generation verstehen wollen. Studierende der Literaturwissenschaft, mit denen der Roman diskutiert wurde, haben sich demgegenüber eher zurückhaltend oder ablehnend geäußert. Schon gar nicht wollten sie sich und ihre soziale Umgebung durch den Roman repräsentiert sehen.

Medienerfahrung ist zweifellos in den Roman, dessen Verfilmung offenbar bevorsteht, eingegangen: Dafür spricht die Tatsache, daß dem Roman in seiner Präsentation als Buch sowie in seiner Ausstattung eine perfekte Mischung aus glatter Gediegenheit und drogenhaft-signalfarbiger Buntheit zugekommen ist, die dem Käufer das Empfinden vermittelt, als Leser, wenn auch aus sicherer Distanz, an der Szene teilzuhaben, von der der Roman handelt. Welcher Art aber ist diese Teilhabe? Es ist die Haltung des Voyeurs, auf die Aufmachung und Inhalt gleichermaßen zielen. Der Leser ist angehalten, die Schlüsselloch-Perspektive einzunehmen im Blick auf eine Jugend-Szene, die sich in ihrer Darstellungsweise diesem Blick ganz öffnet. Selbst-Präsentation ist jenseits der Frage nach Inhalt und Geschehensverlauf des Romans das zentrale Moment der Darstellung, gibt es doch keinerlei Distanz zwischen Erzähler und Erzähltem.

Ich-Erzähler sind "Chris" im ersten und "Die Kleine" im zweiten Teil des Romans. Beide - sie lieben sich, praktizieren die Liebe aber nicht miteinander - berichten im Protokollstil jeweils von demselben Wochenende, das auch eine Art Weltende für sie ist. Ihre jeweilige Perspektive vermittelt ihre Isolation voneinander und ihre Kommunikationsunfähigkeit überhaupt. Drogen, Alkohol und Sex sind die wichtigsten Motive, doch knüpfen sich an diese Gegenstände keine Geschehensabläufe, sondern sie fungieren lediglich als Medien der Selbstrepräsentation. Das Selbst ist dabei einzig dadurch bestimmt, daß es - im männlichen Sektor im Verein mit gleichgeschlechtigen anderen, die dasselbe wollen - einen größtmöglichen Anteil an Drogen, Alkohol und Sex erhält. Der Begriff dafür heißt "Feiern". Chris, der männliche Teil, "feiert" ein Wochenende mit "Freunden", und dieses "Feiern" bedeutet fortwährenden Konsum und kommunikationsunfähiges Vor-Sich-Hin-Reden. "Die Kleine" ihrerseits denkt im wesentlichen an ihn, den abwesenden Chris, und kompensiert die Abwesenheit des "Freundes" in (Fantasy-)Bezügen zu einer Comic-Göttin, dem Wunschbild Chris, sowie zu Harald, ihrem Vibrator, der ihrem Zärtlichkeitsbedürfnis jedoch nur unvollkommen zu genügen vermag.

Chris unter den Freunden ist für sich, "Die Kleine" mit ihren Wunschgebilden und handwerklichen Hilfsmitteln bis zum Kartoffelschäler ist für sich, nachts kommt Chris vom "Feiern", ist aber zu erschöpft, als daß er ihrem Wunsch nach sexueller Gemeinschaft entsprechen könnte. So bleibt das Paar auch vereint getrennt, verbunden nur durch uralte Muster von geschlechtsspezifischen sozialen Bezügen: seine männliche Macho-Haltung und ihr weibliches Sklavinnen-Syndrom. Autisten sind sie beide, er, weil er es nicht anders will und weil die "Freunde" es so wollen, sie, weil ihr nichts anderes übrigbleibt, "liebt" sie doch in vollkommener Unterwerfung nur ihn und ist dadurch zur Isolation und zum Selbstbezug verdammt.

Der Roman erzählt nichts, weil es nichts zu erzählen gibt. Nicht einmal der Drogenrausch vermittelt Ekstasen, immer nur Erschöpfung, der mit neuem Konsum begegnet wird bis zu seiner, Chris', Bewußtlosigkeit oder zu seinem Tod am Ende der beiden Romanteile.

Die Sprache als Figurenrede ist die einer bisweilen durch Neologismen - wie "rattern" für "masturbieren" - aufgeputzten Ödnis. Hier mag sich der Leser als Voyeur der eigenen überlegenen Kompetenz erfreuen, wie er denn überhaupt den Schauder des Anders-Seins erfahren darf als Droge gegen die dargestellte Nichtigkeit. Die Jugendlichen, deren inhaltslose Selbstpräsentation der Roman präsentiert, streben kollektiv danach, ihre psychisch-soziale Vernichtung durch die physische zu bestätigen. Die Autorin stellt der männlich geprägten Szene ein hilfloses weibliches Pendant entgegen, das in seine Comic-Welt regrediert ist, wenn es denn je nicht in dieser gehaust hat.

Sozialkritische Dimensionen besitzt der Roman ebensowenig wie den Versuch einer psychologischen Analyse der Triebstrukturen. Alles ist Oberfläche, alles ist Phänomen im Doppelsinn von Erscheinung und Schein. Die Lust des Mitleids ist dem Leser zwar verwehrt, nicht aber die des Pharisäertums. Vielleicht ist es die Mischung von voyeurhafter Anziehung und moralisierendem Abgestoßensein, die den Erfolg des Romans sichert. Die ungemein perfekt stilisierte, nichtige Glätte von Einband und Text läßt eine junge Verfasserin erkennen, die bereits gelernt hat, wie und was auf dem Kulturmarkt verkauft wird.

Titelbild

Alexa Hennig von Lange: Relax.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 1997.
310 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3807703578

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