Die Kunst, nichts zu sagen

Die Zeitschrift "Kultur & Gespenster" hat ein altes Thomas-Bernhard-Interview ausgegraben

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Leute, die ein Gespräch führen wollen, sind mir sowieso schon verdächtig." So lautet der Titel eines aus dem Französischen ins Deutsche zurückübersetzten Interviews, das Werner Wögerbauer am 15. Juli 1986 im Wiener Café Bräunerhof mit Thomas Bernhard für seinen Materialband "Cahiers l'Envers du miroir Nr. 1: Thomas Bernhard" (1987) zwei Jahre vor dem Tod des Autors führte. Abgedruckt ist es nun in der zweiten Ausgabe der mit bisher beachtlichem Presseecho begleiteten Zeitschrift "Kultur & Gespenster", die sich schwerpunktmäßig dem Thema "Unter vier Augen" widmet, genauer: "Worttaschen, Medienspezialisten und die Produktion von Bedeutung. Das Interview als Form".

Die "Zeitschrift" kommt daher als umfangreiches, dickes Buch von 400 Seiten, in dem vor allem Mitherausgeber Jan-Frederik Bandel ein Forum gefunden zu haben scheint. Taucht er doch im Inhaltsverzeichnis gleich fünfmal auf, unter anderem mit seinem 2006 auf der Darmstädter Tagung der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser (GASL) gehaltenen vergleichenden Vortrag über Schmidt und Alfred Andersch. Absolute Highlights der Ausgabe sind jedoch Jörg Schröders und Barbara Kalenders urkomischer Beitrag "Auf der Suche nach Jan Philipp Reemtsma", in dem sich der Verleger und seine Begleiterin an eine skurrile Reise zu einem Hamburger Arno-Schmidt-Vortrag erinnern, und das erwähnte Bernhard-Interview.

Während sich Bandel und die Schriftstellerin Kathrin Röggla in weiteren Artikeln des Hefts weitschweifigen Gedanken über die tieferen Probleme des Interviewgesprächs hingeben, erfrischt Bernhard als österreichischer Klassiker der Totalverneinung durch seinen spitzbübischen Umgang mit der Gesprächssituation: "Na ja, jetzt müssen'S was fragen, und dann kriegen'S a Antwort." Im Folgenden geht es dann, wie so oft bei Bernhard, um lustvolle Rundumschlag-Beschimpfungen, größtenteils jedoch um seine brüske Zurückweisung öffentlicher Zuschreibungen, mit denen Wögerbauer den Schriftsteller konfrontiert.

Ganz wunderbar liest sich dazu auch der einführende Beitrag des jungen Autors Alexander Schimmelbusch, der dem Interview vorangestellt ist: "'Ich sage nichts'. Thomas Bernhard und die Kunst, sich nicht verharmlosen zu lassen." Schimmelbusch, dessen Debütroman "Im Sinkflug" wohl nicht ganz zufällig auf den ersten, mit Anzeigen gepflasterten Seiten der Zeitschrift beworben wird, fiel noch im Frühjahr 2006 beim Frankfurter Thomas-Bernhard-Symposium eher dadurch auf, dass er Alexandra Hennig von Lange, mit der er im Neuen Literaturhaus gemeinsam an einem Podiumsgespräch über Bernhard teilnahm, formvollendet aus dem Mantel half. Ähnlich wie seine für ihre intellektuelle Anspruchslosigkeit berüchtigte Kollegin, die an diesem Abend wie erwartet nicht viel mehr als belangloses Gestammel über Lippenstift an Vodkagläsern beziehungsweise einen netten, Bernhard lesenden Jungen beizusteuern vermochte, der sie im Bett damit beeindruckt habe, dass er ihr aus dem Roman "Auslöschung" vorlas, wusste auch Schimmelbusch - anders als Josef Winkler und Thomas Meinecke - nicht besonders viel zum Thema zu erzählen.

Im vorliegenden Beitrag präsentiert er sich jedoch als Kenner aller Interviews Bernhards und arbeitet in seinem Beitrag die dort auftretenden Widersprüche pointiert heraus. Ergebnis: "Die Überzeugung von der Gleichwertigkeit aller Dinge, von der Unmöglichkeit eines objektiven Urteils und der resultierende Drang zur Relativierung, zur Widersprüchlichkeit, lassen vermuten, dass Bernhard Gespräche, die man mit Journalisten führt, nicht als Form der Kommunikation, sondern als Form der Kunst verstanden hat", und zwar einer "Verweigerungskunst". Das darf man so stehen lassen. Und die Ausgabe der Zeitschrift gehört allein schon wegen des enthaltenen Original-Interviews in die Bernhard-Sammlung eines jeden begeisterten Lesers.


Titelbild

Kultur & Gespenster. Heft 2: "Unter vier Augen".
Textem Verlag, Hamburg 2006.
400 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3938801123

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