Am Gängelband der Herkunft

Über Parsua Bashis biografische Iran-Kritik

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In "Nylon Road" erzählt Parsua Bashi aus ihrem eigenen Leben. Sie wurde 1966 in Teheran geboren und wuchs in einer liberalen Familie auf. Seit 2002 lebt sie in Zürich. Damit ähnelt "Nylon Road" sehr Marjane Satrapis "Persepolis" (vgl. literaturkritik.de 06/2005). Auch ästhetisch sind die beiden graphic novels ähnlich anspruchslos, eher ein Bilderbuch, das heißt die Bebilderung einer Geschichte, die erzählt werden soll, nicht eine Erzählung in Bildern.

Im neuen Zuhause muss Bashi Deutsch lernen, ihr Englisch verbessern, sich einen Job suchen, Sport treiben, um dem westlichen Schönheitsideal zu entsprechen und sich topografisch orientieren. All das, so gibt sie zu, wurde ihr zuviel. Unter diesem Druck scheiterte sie und zog sich stattdessen auf eine kulturelle Pseudo-Erhabenheit ihrer Herkunft zurück. Auf einem Bild sieht man sie als persische Kalligrafin in traditioneller Tracht auf einer Wolke über dem Ufer des Züricher Sees schweben, unter ihr all das, was sie auf die eine oder andere Weise erstrebt: schöne und erfolgreiche, sexuell freizügige Menschen, mit Partner und ohne.

Diese Fähigkeit zur Selbstironie macht ihr Buch sympathisch (und fehlt in "Persepolis"), wird aber bald von ihrer Kritik des Westens und ihren hilflosen, teilweise fatalen Verteidigungsversuchen überstrapaziert. Sie wurde faul, vernachlässigte vor allem das Erlernen der neuen Sprache und begann, sich "wie ein nutzloses Arschloch zu fühlen, bestenfalls wie ein dummes Kind. [...] Ich tat nichts". In dieser Situation erscheint sie sich zum ersten Mal selbst, hier passenderweise als kleines Mädchen. Fortan führt sie Zwiegespräche mit sich selbst, wie sie in früheren Phasen ihres Lebens war. So kann sie von ihrem Leben erzählen, vor allem aber von ihrem Einstellungswechsel gegenüber der neuen Heimat: Denn ihre früheren Ichs kritisieren gerne den Westen.

Ein jeder trägt seine Vergangenheit mit sich herum. Dagegen kann man nichts machen, aber sehr wohl sich dagegen wehren und darauf achten, wie man sich dazu verhält. Und man sollte aus der Tatsache, dass dies banalerweise - und manchmal auch leider - so ist, nicht sein Schicksal machen, als müsste man dem, was war und was einen mitunter festhält und behindert, willfahren wie einem bösen Geist. Bashi ist ihrer Vergangenheit - und damit ihrer so genannten 'Identität' - wesentlich kritischer und vor allem ironischer gegenüber als Satrapi, die in der Fremde viel stärker zu einer kulturellen Rückbesinnung neigt. Sich selbst führt Bashi als peinliche Person vor, indem sie sich als frühere fanatische Patriotin darstellt, die Persien als die Wiege aller Kultur ausgab. Aber die Verständigung, die sie mit ihren früheren Ichs erreicht, ist auch in diesem Fall eine zweifelhafte. Ähnlich wie Satrapi unterscheidet sie zwischen machtbewusster Herrscherkaste einerseits und unterdrücktem Kulturvolk andererseits. Die iranische klerikale Regierung sei gar nicht religiös, ihre Vorschriften für den Alltag seien nur ein "Trick", die Regierung bestehe nur aus "schale[n] Patrioten, die dem Rest der Welt ein verzerrtes Bild unseres Landes geben." Die Kritik am Islam treffe also nicht die islamischen Herrschercliquen, sondern schmähe nur das Volk und helfe darüberhinaus den Diktaturen und den westlichen Konservativen, indem sie das Propagandabild der Diktatoren eines Islam hassenden Westens bestätige und indem sie der Ausländerfeindlichkeit der westlichen Konservativen vorarbeite.

Bashi demonstriert, wie linke und völkische Ideologie einerseits und wie progressiver Islam und konservativer Westen andererseits alle zusammen finden: "Iran ist auf seinem historischen Pfad des Fortschritts, mit oder ohne islamistischem Regime", hier ist sie noch immer die aus unerfindlichen Gründen auf die Geschichte vertrauende Marxistin-Leninistin, die sie eigenen Angaben zufolge in ihrer Jugend war. "Iran braucht Initiative und gut ausgebildete Iraner - und nur Iraner -, um diesen Prozess zu beschleunigen". So viel Bewusstsein für volkliche Identität und Homogenität schätzt man auch im Westen.

Auch mit einigen anderen - vornehmlich autoritären - Denkformen, die sie aus dem Iran mitbrachte, wird sie im Westen offene Türen einrennen und kann gleichzeitig die innere Verbindung zur Heimat ("Jeder braucht den Kontakt zu sich selbst, besonders mit dem Kind in jedem von uns") halten. Da ist zum einen die moralistische Erpressung. Wie die Mullahs kann Bashi mit den Toten mahnen. Schätzt sie am Westen ausdrücklich die Möglichkeit freier Partnerwahl und Sexualität, so kann sie gekonnt kritisieren, dass hier "der weibliche Körper nur eine Ware" sei. Und dies ist für sie nicht schlimm an sich, sondern vor allem "erniedrigend für die großen westlichen Autorinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen [...]. Es ist respektlos gegenüber dem, was die Menschen alles für die Welt getan haben". Ebenso seien banale Nachrichten und Smalltalk bei einem schönen Abendessen zynisch angesichts der Leiden beispielweise im Iran.

Das mag sein, aber zum einen darf man trotzdem Radio hören und gut essen, und wieso wird zum anderen - deutsche und islamistische Ideologie zugleich - aus der Empörung über das Elend eine Wut auf das gute Leben, wenn diese Wut doch dem Elend gelten müsste? Der Kritik am konformierenden Konsumismus weiß sie nur zu entgegenzutreten, indem sie ihr in eine andere Richtung folgt. Auch die westlichen fashion victims litten. Gut für diese, denn sonst verlören sie angesichts des Elends der Welt ihre moralische Existenzberechtigung. Bashi nimmt sie in Schutz: Egal ob westliche, muslimische oder kommunistische Teenager - alle würden genormt in Aussehen, Kleidung, Benehmen und Denken. Alle bekämen "was von oben diktiert", und 'oben', da zeichnet sie die drei Könige Karl Lagerfeld, Khatami und Stalin mit dicken Bündeln Geldscheinen in den Händen hin.

Über eine Modewerbestrecke mit dem Titel "Colonial Girl" mit Modeltiteln wie "Calcutta Cat" und "Delhi Doll" ist eines ihrer alter egos so sehr empört, dass dieses aus Protest, dass westliche Modedesigner "sogar heute noch Profit aus den Verbrechen ihrer Geschichte [schlagen], indem sie so tun, als ob der Kolonialismus bloss ein ästhetisches Phänomen war", eine den Westen provozierende Modewerbereihe kreiert. "Süße Sklavinnen": Models in Fesseln; "Hot 9/11": wie sie dem Anschlag entkommen, in zerfetzter Kleidung, bedruckt mit Bildern der Twin Towers und mit großen nachgemachten Glassplittern im Hals; und schließlich kahlrasierte Models in KZ-Kleidung. Basha findet dies "geschmacklos" und schrecklich, aber dem Einwand ihres alter egos - "Siehst du! Jetzt ist es dir plötzlich zu viel" -, mit dem Ahmadinedschad die angeblich pro-jüdisch parteilich gebundene Meinungsfreiheit des Westens vorführen wollte, kann sie nur entgegnen, dass man "die Gefühle anderer respektieren" müsse. Dann aber, so wendet ihr alter ego ein, müsse man die Gefühle aller Menschen respektieren: "Tabus sind Tabus! Indische, afrikanische und asiatische Tabus sind genau so viel wert wie westliche Tabus". Basha kann dem Zwiespalt von künstlerischer, Presse- und Meinungsfreiheit einerseits und "Respekt" andererseits nicht entrinnen. Immer wieder lautet ihr Fazit, dass im Westen die Freiheit "zu weit" ausgenutzt werde. Dabei misst das Eingedenken der Shoah-Opfer und die Schmähung beispielsweise des Islam nicht mit zweierlei Maß. Es wird nicht der einen Seite ein Schutz gewährt, der der anderen vorenthalten würde, sondern beides ist die Realisierung und Verteidigung ein- und derselben Freiheit. Die Achtung vor der Shoah ist nicht einfach nur ein Tabu, es geht nicht nur darum, die Gefühle von Überlebenden und deren Nachkommen zu schützen; dann wäre die Gleichsetzung aller beliebigen Tabus und verletzten Gefühle gerechtfertigt. Die Verhöhnung der Shoah, die mit der Shoah arbeitende antisemitische Karikatur, ist mehr als die Darstellung (anti-)jüdischer Klischees. Sie dokumentiert die aktuelle Mordabsicht, ist symbolische, antizipierte Tötung und arbeitet daran, das zu schleifen, was Juden leider nur als Tabu schützt, aber eben auch immerhin wenigstens: das Tabu Holocaust.

Es geht um die eine Freiheit. Die Achtung vor der Shoah verteidigt das Recht der Juden wie jeder anderen Menschengruppe, vor Vernichtung sicher zu sein. Die Schmähung des Islam ist nicht nur der Vollzug der Presse- und Meinungsfreiheit (und nicht dessen Missbrauch), sondern kämpft auch gegen die, die nicht "nur" die Bürgerrechte abschaffen, sondern die eben auch eine bestimmte Menschengruppe, nämlich die Juden, von der Erde tilgen wollen. Wer nur mit der "Achtung der Gefühle" argumentiert, der argumentiert zu schwach. Dies bietet ein Einfallstor dafür, jede beliebige Sicht von vornherein zu schützen. Wer immer beleidigt sein will, kann sich melden. Ahmadinedschad hat dies erkannt und kann dieses Einfallstor für sich nutzen und gleichzeitig dem mit der "Achtung der Gefühle" argumentierenden Westen zweierlei Maß vorwerfen und damit dessen Hilflosigkeit vorführen. Und auch zum Westen hin und besonders in Deutschland erweist sich die "Achtung der Gefühle" als verhängnisvoll. Früher oder später kann man sie auch für sich respektive für seine Opfer-Untergruppen (wie die deutschen Vertriebenen) beanspruchen. Nicht zuletzt hält man damit die Juden in der Tat in einem Sonderstatus: Sie sind die Schutzjuden der Völker, und dieser Status war schon im Mittelalter janusköpfig.


Titelbild

Parsua Bashi: Nylon Road. Eine graphische Novelle.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2006.
127 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3036952381

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