Kafka als Poststrukturalist

Hans H. Hiebels gesammelte Aufsätze über Franz Kafka

Von Geret LuhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Geret Luhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da erzählt ein Mensch gewordener Affe davon, wie er an der Goldküste vom Zirkus Hagenbeck angeschossen und eingefangen wurde, dass er am Schiff in einem Käfig zahm gemacht worden sei und dann doch den Weg aus dem Käfig gefunden habe: die Menschwerdung. Als durchschnittlich gebildeter Europäer tritt er schließlich in Varietés auf. Der "Bericht für eine Akademie", von dem hier die Rede ist, fordert die unterschiedlichsten Deutungen heraus. Keine wird jedoch, wie Hans H. Hiebel zu zeigen versucht, vom Text bestätigt. Hiebel ernennt Kafka deshalb zu einem Vorläufer der poststrukturalistischen Wende, zu einem Autor, der früh schon den Schnitt zwischen Signifikant und Signifikat vorgenommen habe. Die kurrenten Theoreme aus Philosophie und Psychoanalyse dürften dementsprechend nicht als Methoden auf die Texte Kafkas appliziert werden, sondern sie wären als im Werk implizierte Gegenstände zu betrachten.

Hiebel scheint bewusst also das zu tun, was man einer vor allem an Derrida orientierten Literaturwissenschaft gerne vorwirft: dass sie die Texte lediglich zur Bestätigung der philosophischen Theorie nutze. Dieser Vorwurf ist insofern nicht von der Hand zu weisen, als Hiebel, anders als der Untertitel es suggeriert, annähernd zwei Drittel seines Buches der Beschreibung der Theorien Derridas, Lacans, Freuds und Foucaults widmet. Tatsächlich werden Kafkas Schriften so nur zum Anlass, um über das Phänomen der gleitenden Metapher, der Dekomposition oder der "Différance" zu räsonnieren.

Das ist aber vor allem deshalb ermüdend für den Leser, weil die einzelnen Kapitel immer wieder dieselben Überlegungen wiederholen. Der Band setzt sich nämlich aus Texten zusammen, die Hiebel, der 1983 mit einer Arbeit über "Recht und Macht bei Franz Kafka" habilitierte, bereits als Aufsätze veröffentlicht hat. Dagegen wäre ja nichts zu sagen, oder es könnte sogar als wünschenswert bezeichnet werden, wenn denn eine Auswahl getroffen worden wäre. So aber liegen mit dem Band in etwa die gesammelten Werke Hiebels zu Kafka vor. Am Literaturverzeichnis kann das illustriert werden. Es weist unter dem Namen des Autors dreizehn Veröffentlichungen aus (alle anderen Autoren der Kafka-Forschung erhalten, soweit berücksichtigt, ein bis zwei Nennungen), dreizehn Kapitel hat auch das Buch. Letztlich aber hätte ein Aufsatz es auch getan. Oder eine Einführung in die poststrukturalistische Literaturwissenschaft. Denn auch dort hätte man am Beispiel des Affen Rotpeter literaturtheoretische Thesen entwickeln können, für die der Text lediglich der Anlass bleibt.

Titelbild

Hans H. Hiebel: Franz Kafka: Form und Bedeutung.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
286 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3826015436

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch