Gutmensch global

Matthias Horx auf den Spuren des neuen Moralismus

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die weiße Weste sitzt untadelig, auch wenn sie in den Hüften noch etwas kneift. Und sie hat gute Chancen, zukünftig zur Alltagsgarderobe zu gehören. Denn für viele Marken und Unternehmen, so Deutschlands bekanntester Zukunftsforscher Matthias Horx im "Trend-Report 2007", ist das Engagement für das Gute inzwischen zur Pflichtübung geworden. Moralische und ethische Issues brechen aus den Nischen aus, ökologische Themen verlassen ihre randständige Position und werden zum Zentrum der Diskurse, Konsumenten organisieren ihre Macht, um Unternehmen zu bestimmten Verhaltensweisen zu zwingen.

Horx bringt damit eine Entwicklung auf den Punkt, die sich schon heute an der Vielzahl von Gute-Tat-Kampagnen in Werbung und Marketing ablesen lässt. Blend-a-med zum Beispiel spendet für jede verkaufte Tube Zahnpasta einen Cent an SOS-Kinderdörfer in Brasilien, Bitburger sponserte während der Fußballweltmeisterschaft Bolzplätze - und der Kosmetikhersteller Dove macht gegen den "Schönheitsterror" mobil. Mit Models, deren Erscheinungsbild kaum mehr etwas mit dem der magersüchtigen Hungerhaken auf den Catwalks zu tun hat.

"Vor uns liegt ein hypermoralisches Zeitalter, in dem Marketing, Ökonomie und moralisches Engagement zunehmend zusammen spielen", fasst Horx zusammen. Und erledigt im selben Atemzug auch den kritischen Reflex, nämlich die Behauptung, dass es die Unternehmen mit ihrer neu entdeckten Verantwortung so ernst nicht meinen können.

Gut, dank globaler Vernetzung und immer besserer Transparenz wird den Unternehmen immer mehr auf die Finger geschaut. Insofern können sie nicht anders, als überschäumende Weißwäscherei zu betreiben. Doch zeichnet sich ein Wandel ab: von einer puren Reaktion auf Krisen zu einer proaktiven Politik, in der das Unternehmen die Themen selbst setzt. Gewissenberuhigung war gestern, heute herrscht die Lust an der Moral. Die "Corporate Reponsibility" entwickelt sich mit anderen Worten von einem bloßen Lippenbekenntnis immer mehr zu echter Selbstverpflichtung, in der die Einhaltung von Grundsätzen im Bereich der Menschenrechte, Arbeitsbeziehungen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung zum Bestandteil verbindlicher Abkommen wird.

Glaubt man Horx, so ist es den Unternehmen also durchaus ernst mit der Ernsthaftigkeit: "Die teils peinlichen Versuche deutscher Firmen, einen billigen Moral-Bonus durch Spenden zu ergattern - nach dem Motto 'Biersaufen für den Regenwald' - geraten zunehmend in die Kritik der Medien. Solche oberflächlichen Ablass-Strategien werden in Zukunft eher einen negativen Öffentlichkeitseffekt hinterlassen."

Auch Gesundheitsthemen leisten ihren Beitrag zur Entmottung des eingangs erwähnten Kleidungsstücks. Egal, ob Kaffee aus Costa Rica oder die Vertreibung der Nikotin-Nebel aus der weltgrößten Junk-Food-Kette McDonald's - genießen kann der Gutmensch der westlichen Welt diese Güter erst so richtig, wenn ihm versichert wurde, dass diese Waren fair gehandelt wurden. Das geht bis zur "Ethik on Demand", bei der der Konsument die Wahl zwischen einem Preis für eine im Inland produzierte Ware und einem Preis für ein Produkt aus einem Billiglohnland hat. Differenz: 40 Prozent.

Der moralische und ethische Konsum hat begonnen, sich aus der muffigen Schäbigkeit des Dritte-Welt-Ladens und des hoffnungslosen Idealismus zu befreien und gesellschaftliche Breitenwirkung zu entfalten. Aus Nischen-Märkten werden Massenmärkte, schon daran ersichtlich, dass die agilen Verkäufer der Fair-Produkte nicht länger selbstgestrickte Pullis und Jesus-Latschen tragen, sondern - Sie wissen schon. Wer auf diese Entwicklung setzt, wird auch bald das Ende jener Ära heraufdämmern sehen, in der der Wert einer Ware von ihrem Preis diktiert wurde. Das Ende des prolligen Geiz-ist-Geil-Konsumenten, der seinen Einkaufswagen mit den billigen und moralisch fragwürdigen Produkten füllt und in Richtung "Sausgang" des heimischen Media-Marktes schiebt, verkündet Horx, steht unmittelbar bevor.

Weitere Horx-Trends: Me Volution: Das Netz schafft neue Sozialstrukturen und macht kreativ. Neo Citys: Der neue Global-Urbanismus. Das Indien-Gefühl: Indiens Kultur wird Kult in Europa. Happyologie: Die Wissenschaft vom Glück. Gourmet-Sex: Die neue erotische Inszenierungskultur. Home-Heroes: Haushalt und Heim werden wiederentdeckt. Smart Basics: Die neuen Billig-Convenience-Marken. Clever Kids: Das Innovationsprojekt Kind.


Titelbild

Matthias Horx: Trend-Report 2007. Soziokulturelle Schlüsseltrends für die Märkte von morgen.
Zukunftsinstitut, Kelkheim 2006.
119 Seiten, 125,00 EUR.
ISBN-10: 3938284242

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