"Ich mach' mal was mit Malen"

Oliver Grajewskis "Tigerboy" bewegt sich zwischen Kunst und Comic

Von Jonas EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Tigerboy" ist autobiografisch, politisch und lustig. Das sind drei Aspekte, die selten Zusammentreffen im zeitgenössischen Comic, wenn auch Oliver Grajewski seine Werke lieber als Bildgeschichten bezeichnet sehen will. Doch egal wie man es nennt, "Tigerboy" steht in seiner Form in Deutschland weitestgehend alleine da. Am ehesten ist Grajewski wohl vergleichbar mit Künstlern wie M.S. Bastian oder CX Huth, was den Zitatreichtum und den Mix aus Zeichnung, Collage und Text betrifft. Aber dann doch wieder nicht. Nach 19 Ausgaben im Heftformat erschien anlässlich eines Ausstellungsprojekts von Oliver Grajewski und Hannes Trüjen in der Städtischen Galerie Nordhorn Grajewskis Opus Magnum, 196 Seiten gefüllt mit allem, was sein Universum zu bieten hat: autobiografische Kindheitsskizzen, Jugenderinnerungen, Interviews, Superheldencomics, Reflexionen über die Gegenwart und das Comiczeichnen und Selbstzitate ("Die Natur ist nicht schlecht, sie ist nur voll Zement.").

Autobiografische Comics liegen im Trend, stellt man schnell fest, wenn man die europäische Comic-Landschaft betrachtet. Was bei der Masse an Autobiografien immer mehr verloren geht, ist die Frage nach der gesellschaftlichen Kontextualisierung. All diesen Motiven, dem Aufwachsen in der Kleinstadt, dem Unverstandensein, der Einsamkeit und der Sehnsucht nach einem anderen Leben, die diesen Comics eigen sind, fehlt oft ihre Dringlichkeit, sie werden beliebig und austauschbar. Das trifft natürlich nicht auf alle Comics dieser Art zu, immer öfter finden sich auch erfreuliche Ausnahmen, doch das Gefühl bleibt, dass sich ein bestimmtes Schema eingeschlichen hat, mit der eigenen Biografie umzugehen, und dass von diesem Schema immer seltener abgewichen wird. Die Hintergründe für das Außenseitertum bleiben oftmals im Dunkeln.

Grajewski arbeitet ebenfalls mit diesen Motiven, jedoch einerseits mit einer Leichtigkeit im Ton, die vielen anderen Zeichnern abgeht, und andererseits mit solch einer Virtuosität im Zeichenstil, dass man manchmal Probleme hat, der Story zu folgen. Was sich dabei als roter Faden durch die Episoden, wenn man sie so nennen will, zieht, ist das Motiv der selbstgewählten Einsamkeit, der Fluchtstrategien aus der Beklemmung, die entwickelt werden. Bereits die erste Geschichte "Jedes einzelne Sandkorn" handelt von einer Flucht im doppelten Sinne. Sechs Freunde fliehen mit dem Bus aus der Enge der Itzehoer Kleinstadt, ohne zu bemerken, dass eine viel größere Beengtheit von ihnen Besitz ergriffen hat: "Diese Generation war lernwillig und notenfixiert und erzählte von Berufen, die es zu ergreifen gälte, nach dem Abitur. [...] In unserem Bus waren die Berufswünsche: Polizist oder Beamter, zur Itzehoer Versicherung, Chemiker, Biologe und Automechaniker. Zunächst konnte ich gar nicht glauben, dass es all diese Berufe wirklich geben sollte und dann dachte ich: 'Ich mach' mal was mit Malen und Arbeitengehen tu' ich sowieso nicht.'" Bebildert ist diese Geschichte mit verfremdeten Fotos, die fünf Freunde an einem dunklen Strand zeigen. Der sechste, der Erzähler, bleibt hinter der Kamera, ist nicht Teil der Gruppe, inszeniert seine selbstgewählte Einsamkeit.

Auch das daran anschließende Interview mit Heikedine Körting, Produzentin und Regisseurin von etwa 1600 Europa-Kassetten-Hörspielen, die wahrscheinlich allen Menschen, die in den 70er- und 80er-Jahren sozialisiert wurden, in Erinnerung sind, ist in den Kontext der Autobiografie einzuordnen. Grajewski versucht herauszufinden, was ihn in seiner Kindheit an den Hörspielen fasziniert hat, was sie zu einer Fluchtstrategie aus dem Alltag werden ließ, ohne dabei in Kindheitserinnerungskitsch zu verfallen. Erinnerungen an die Kindheit, die trotzdem einen Großteil des Buches einnehmen, beschäftigen sich ebenfalls mit der Einsamkeit: "Das war mir fast peinlich, so als hätte ich mir diese Freiheit erschlichen, weil ja alle dachten, mir würde es ganz schlecht gehen, weil mein Arm in Gips war und mich das einsam machte. Es ging mir aber total gut, weil mein Arm in Gips war, was mich zwar einsam machte, aber vor allen Dingen meine Nerven beruhigte, und das wiederum verknüpfte sich so mit der Einsamkeit, dass ich diese positiv umdeutete." Diese Überlegungen als Kind mit gebrochenem Arm in den Sommerferien setzt Grajewski als Ausgangspunkt für sein Comiczeichnen: "Viele lasen 'lustige' Comics, aber das waren schon damals keine. Meine Fluchtstrategie nahm nun außerordentlich Fahrt auf. Es war der Beginn von etwas ganz Großem." Er beginnt mit dem Abzeichnen seiner Lieblingscomics, eine Vorgehensweise, die sich bis in die Gegenwart durchzieht.

Gespiegelt wird der jeweilige Lebensabschnitt im Zeichenstil: Überwiegen in den Kindheitserinnerungen kindlich-naive Zeichnungen, werden sie mit der Annäherung an die Jetztzeit detaillierter aber auch düsterer. Ist das Kind noch erstaunt, als seine Eltern ihm eröffnen, Arbeit müsse keinen Spaß machen, wehrt sich der Erwachsene dagegen, dies zu akzeptieren, nimmt jedoch auch den Kompromiss, das Kunststudium, nicht unhinterfragt an: "1996 habe ich 'Die Faust der Vergeltung' nachgezeichnet [...]. Damals stellte ich mir die Aufgabe mit geringstmöglicher persönlicher Äußerung zu zeichnen. Ein achtbarer Versuch während meines Kunststudiums, in dem die Expression ganz oben auf der Tagesordnung zu stehen hatte, schenkte man dem damals tätigen Lehrkörper Glauben, was ich nicht tat. Ich zeichnete Phantom." Es folgt die komplett nachgezeichnete Geschichte "Die Faust der Vergeltung" aus Band 43 der Comicheftserie "Phantom" auf 22 Seiten.

Der Verbrecher Verlag schreibt im Pressetext, das Buch sei vom Künstler in zwölf Monaten Nachtarbeit gezeichnet worden, zusätzlich zur Durchökonomisierung all seiner Lebensbereiche, und wahrscheinlich entspricht das mehr oder weniger der Wahrheit. Doch die Nachtarbeit hat sich ausgezahlt: "Tigerboy" ist ein zwischen Kunst und Comic pendelndes Werk, das sich positiv abhebt von vielen Veröffentlichungen seiner Art, und es hat ein Ziel: "So, wie es aber aussieht, draußen vor meinem Fenster, konnten wir bisher keine Revolution hervorbringen, obwohl ich eigentlich glaube, dass mir dieses Jahr noch der Anfang gelingt. Langsam wird es auch Zeit."


Titelbild

Oliver Grajewski: Tigerboy.
Verbrecher Verlag, Berlin 2007.
196 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783935843874

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