Next Generation?

Michael Crichtons Roman über Risiken und Möglichkeiten der Gentechnologie

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit "Jurassic Park" zum kulturellen Allgemeingut geworden und in fast jedem Kinderzimmer bekannt ist, braucht man Michael Crichton als Autor nicht mehr gesondert vorstellen. In seinen letzten beiden in deutscher Übersetzung erschienenen Romanen greift Crichton aktuelle, brisante und "Thriller-Potential" entbergende Themen auf. In "Beute" war es ein Kaleidoskop der Gefahren und Möglichkeiten der Nanotechnologie und Schwarmtheorie, in "Welt in Angst" ist es eine Kombination aus Tsunami und Ökoterrorismus, die den informativen Hintergrund dominieren. Der Roman "Next" beschäftigt sich mit der Gentechnologie, ihren Risiken und Möglichkeiten.

Mehrere Handlungsstränge ziehen sich durch den über 500 Seiten langen Roman. Einerseits ist da Frank Burnet, aus dessen Immunzellen nach einer Knochenmarkkrebsdiagnose mit anschließender Heilung eine Zelllinie entwickelt wird, die als Mittel gegen Krebs eingesetzt werden kann. Eine Gentechnologie-Firma bekommt existentielle Schwierigkeiten, nachdem die von der University of Califonia erwobenen Zellen Burnets kontaminiert wurden und nicht mehr kommerziell genutzt werden können. Ein ehemaliger Mitarbeiter eines gentechnischen Forschungslabors wird mit den Ergebnissen seiner früheren Forschungen konfrontiert, die ihn in der Gestalt eines schimpansenähnlichen Jungen namens Dave begegnen. Ein exzessiv sprechender, da mit menschlichen Genen ausgestatteter, Papagei sorgt für die witzigsten Dialoge des Romans. Im Zuge der Aktivitäten eines "Privatdetektivs" zur Wiederbeschaffung der verloren gegangenen Stammzellen des Gentechnologie-Unternehmens wird es dann nach dem ersten Drittel des Romans etwas rasanter. Aber es ist nicht die Komponente "Thriller", die Crichtons Buch interessant und lesenswert macht - da gäbe es sicher auch noch einige andere Empfehlungen. Aber Crichton ersinnt etwas über die Spannung Hinausreichendes: Er schafft ein Kaleidoskop von Möglichkeiten, baut kleine Handlungsfetzen ein, die nicht weiter geführt werden, aber einen Einblick geben in die Auswirkungen der Gentechnologie. Kleine Blitzlichter aus dem Alltag, die zum Beispiel auf den schwungvollen Handel mit weiblichen Eizellen verweisen. Und genau diese kleinen, in den Handlungslauf eingeflochtenen Details erzeugen ein für den Leser realistisches und authentisches Bild einer Gesellschaft, die die Forderungen einer Technologie und ihrer unternehmerischen Vertreter an die Mitglieder dieser Gesellschaft über das Grundrecht der Unversehrtheit der Person stellen.

Beim Aufeinandertreffen von Gentechnologie und Gesellschaft bleibt auch die Wissenschaft nicht ausgeschlossen. Ganz im Gegenteil wird ihr eine wesentliche Rolle bei der Etablierung der Gentechnologie in der Gesellschaft zugewiesen: "Letztlich müssen wir einsehen, dass Wissenschaft kein edles Betätigungsfeld mehr ist. Vielleicht in früheren Zeiten einmal war, als Albert Einstein mit Niels Bohr diskutierte und es für jedes Fachgebiet nur ein paar Dutzend Koryphäen gab. Aber heutzutage haben wir allein in Amerika drei Millionen Forscher. Wissenschaft ist keine Berufung mehr, sondern eine Karrieremöglichkeit. Sie ist ebenso korrumpierbar wie jede andere menschliche Tätigkeit. Wissenschaftler sind keine Heiligen, sie sind Menschen, und sie tun das, was Menschen nun mal tun - lügen, betrügen, sich gegenseitig bestehlen, verklagen, Daten unterschlagen, Daten fälschen, die eigene Wichtigkeit überbetonen und Gegenmeinungen verunglimpfen. Das liegt in der Natur des Menschen. Und die wird sich nicht ändern."

Diese pessimistische Einschätzung wird bei Crichton durch eine Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit erzeugt - und an manchen Stellen bleibt es dem Leser überlassen, die Identifikation von "Dichtung und Wahrheit" vorzunehmen. In den Band sind immer wieder grau unterlegte Passagen eingefügt, die (fiktive) Zeitungsausschnitte und Dokumente enthalten, die die Romanhandlung "wissenschaftlich" untermauern sollen. Nicht zuletzt sind es dann aber auch die referierenden Passagen, die Crichtons Roman noch weitere Authentizität verleihen: "Manche Gerichte haben entnommenes menschliches Gewebe als Abfall eingestuft. Andere haben Gewebeproben als Forschungsmaterial eingestuft, vergleichbar mit Büchern in einer Bibliothek. Wieder andere stufen das Gewebe als verlassenes Eigentum ein, das unter bestimmten Umständen automatisch entsorgt werden kann, so wie ein Schließfach nach einer gewissen Zeit geöffnet und sein Inhalt verkauft werden darf. Manche Gerichte haben versucht, einander widersprechende Ansprüche abzuwägen, und sind zu dem Schluss gelangt, dass der Anspruch der Allgemeinheit auf Forschung höher zu bewerten ist als der Anspruch des Einzelnen auf Eigentumsrecht."

Zur Verstärkung des Realitätsbezugs findet man vom Autor noch einen Essay am Ende des Bandes, der seine Position zum Thema des Romans thesenartig zusammenfasst. Hinzu kommen eine Übersicht über die Situation der Gentechnologie in Deutschland und eine kommentierte Auswahlbibliografie zum Thema Gentechnologie, die eine weiterführende Lektüre zum Thema erlaubt. Zusammenfassend kann man das von Crichton skizzierte Szenario mit den letzten Sätzen des Roman treffend beschreiben. Eine der Hauptfiguren, ein genetisches Experiment, ein "transgenes Tier", eine Mischung aus menschlicher DNA und Schimpanse mit Namen Dave lebt in seiner "neuen Familie", bei Henry, dem Forscher, dem er seine Existenz zu verdanken hat, dessen Frau und ihren Kindern: "Und an einem Herbsttag, als Dave an der Hand von Henry über den Jahrmarkt ging, kam ein Farmer im Overall auf sie zu und sagte: 'So einen hätte ich gern für die Arbeit auf meiner Farm.' Henry lief es kalt den Rücken hinunter."

Es ist nicht nur ein interessanter und spannender Roman, sondern auch noch ein guter Einstieg in die Problematik der Gentechnologie - nicht zuletzt aufgrund des Anhangs mit kommentiertem Literaturverzeichnis.


Titelbild

Michael Crichton: Next. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Blessing Verlag, München 2007.
540 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783896673374

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