Ein Musterstück an Psychologie dechiffrierender Literatur

Über Martin von Arndts "ego shooter"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zuviel ist gesagt worden über so genannte Killerspiele. Zuviel geschrieben, zuviel geflucht. Schlagworte wurden schlimmer als Ramschware im Schlussverkauf unters Volk gejubelt: Eskapismus, Realitätsverlust, Gewaltverherrlichung. Die Liste ließe sich fortsetzen. Aber eine mehr als nur oberflächliche Analyse der Spiele, die eigentlich egoshooter heißen, gibt es kaum. Vor allem keine Auseinandersetzung mit denen, die sich primär damit befassen: Den Spielern.

Martin von Arndt hat sich in seinem gerade erschienenen Roman "ego shooter" als erster ernstzunehmend literarisch mit der Thematik auseinandergesetzt. Am Beispiel seiner Hauptfigur handelt er den klassischen Verlauf einer in der Selbstauflösung endenden Spielerlaufbahn ab: Der Protagonist wächst bei seiner Mutter auf, seinen Vater kennt er nicht. Immer wieder bringt sie neue Männer mit nach Hause, immer wieder muss er tagelang zu seinem Onkel Tibor, der oft mit ihm zu Flugshows geht. Er bekommt keine emotionale Zuneigung und so sucht er nach rationaler Erkenntnis, nach Ursprüngen. Er beginnt ein Archäologiestudium, findet Freunde, eine Freundin.

Doch das Glück bekommt Risse und beginnt zu bröckeln. Er fällt durch seine Magisterprüfung, seine Beziehung geht in die Brüche und sein Onkel stirbt. Er bricht sein Studium ab, zieht in die Wohnung, die sein Onkel ihm hinterlassen hat, und fängt irgendwann an, dessen Bücher über die Fliegerei zu lesen. Schließlich beginnt er, sein Geld als "electronic cash player" im Internet zu verdienen. Er spielt Flugsimulationen von Schlachten des Ersten und Zweiten Weltkriegs, die Nächte werden seine Tage und umgekehrt. So wie er sich psychisch in die Welt von Manfred von Richthofen und Ernst Udet zurückzieht, so auch physisch: Was er braucht, lässt er sich gegen Bezahlung liefern, und nur für einen Gang zum Grab seines Onkels oder einen Arztbesuch verlässt er das Haus. Er ist - von der Umstellung seines Wach- und Schlaf-Zyklus und seiner schlechten Körperhaltung vor dem Computer - gesundheitlich irgendwann so am Ende, dass er es selbst mit Antibiotika und Morphintabletten nur halbwegs aushält.

Wer über ein spezielles Thema schreibt, der nimmt schnell einen scheinbar typischen Stil an, der im Gegensatz zur Intention sehr schnell sehr enervierend wird. Martin von Arendts Sprache hingegen besteht nicht nur aus klischeehaftem Internetuserslang. Denn indem er die Geschichte eines sich wandelnden und nicht bereits gewandelten Protagonisten erzählt, erfährt die Sprache immer wieder Wendungen, es lassen sich von Situation zu Situation Varianten erkennen.

Der stilistische Abwechslungsreichtum ist allerdings nur ein positiver Nebeneffekt. Die eigentliche Stärke von "ego shooter" ist die Geschichte. Wer in der Realität kein Leben hat, der läuft Gefahr, sich im Spiel einen Ersatz zu suchen. Und wer im Spiel lebt, der verliert womöglich die Fähigkeit, beide Welten auseinander zu halten. Der körperliche und seelische Verfall des Protagonisten stehen in direkter Reziprozität zur Beziehung zu seiner Mutter, seinem Onkel und zur (Ex-)Freundin.

Der Niedergang mutet in der Aufzählung seiner Auslöser jedoch klischeehafter an, als er ist. Denn die Gleichung "Schlechte Kindheit ohne Fürsorge = Flucht in Ersatzrealität" geht hier nicht so einfach auf. Von Arndt bedient sich zwar dieser Klischees. Aber er verwendet sie, um ein Musterstück Psychologie dechiffrierender Literatur zu schaffen: Einfühlsam, vielschichtig und bestürzend.


Titelbild

Martin von Arndt: ego shooter. Roman.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2007.
140 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783937667911

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