Nach fünf vor Zwölf

In Liane Dirks aktuellem Roman "Falsche Himmel" sticht das Mittelmaß die Katastrophe aus

Von Carola EbelingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carola Ebeling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Klimakatastrophe ist schon da. So könnte eine der aktuellen Schlagzeilen lauten, die seit Monaten die Diskussion um den fortgeschrittenen Klimawandel überschreiben. Und alle wissen, worum es geht, erst Recht seit diesem seltsamen Winter, in dem die Kirschblüten irre geführt viel zu früh austrieben.

Aber wirklich da ist sie eben doch noch nicht, die Katastrophe; man spürt sie nicht. Alles wie gehabt, nur braucht man weniger dicke Pullover, die wärmste Jacke bleibt im Schrank.

Aber in Liane Dirks aktuellem Roman ist die Katastrophe schon angekommen. In "Falsche Himmel" versucht die Autorin sich auszumalen, wie es sein könnte, wenn der Zeitpunkt, an dem man noch irgendetwas ändern kann, überschritten ist. Eine brütende Hitze liegt über der Stadt, in der die Ich-Erzählerin gemeinsam mit ihrer 17-jährigen Tochter lebt. Die Ozonwerte sind gleichbleibend hoch. Nahrungsmittel sind knapp, die Menschen ziehen in stammesähnlichen Gruppen davon. Gespenstische Leere, einige Wahnwitzige praktizieren noch immer Bungee-Springen, immer am Fenster der Erzählerin vorbei. Absurd.

Absurd dürfte es ja sein. Surreal auch. Die Idee, eine Schar skurriler Figuren zu versammeln, ist an sich gut: Sie sind Relikte vergangener Zeiten und verkörpern obsolet gewordene Sehnsüchte, wie der Puppenspieler Donati. Für seine Phantasie gibt es kein Publikum mehr, seine Fürsorge für den kranken, kleinen Sohn, den er in einer Karre ständig vor sich her schiebt, kann diesen nicht retten.

Doch vermögen solch schöne Erzähleinfälle, solch fragile Bilder, die kurz aufscheinen, die Unentschlossenheit und Blässe der Figur der Erzählerin nicht aufzuheben.

Sie beschließt, ein Tagebuch zu führen, ein Protokoll des Verfalls und der Auflösung; ein Versuch, sich selbst am Leben zu halten, physisch und geistig.

Datum, Temperatur, Ozonwert, Zustand des Himmels gehen jedem Eintrag voran. Die Erzählerin bewegt sich zwischen Innenschau, Beschreibung der Verhältnisse und philosophischen Betrachtungen. Viele bedeutungsschwere Sätze, die doch banal bleiben: "Liebe kann so schnell bedrohlich sein und trotzdem ist Bedrohung niemals Liebe"; angedeutete Krisen oder eine wichtige, geheimnisumwobende Liebesbeziehung - nichts wird auserzählt, und die Kunst der Auslassung will der Autorin hier nicht gelingen. Die Lakonie wirkt gewollt und innere Erschütterungen werden nicht als intensive Erfahrungen der Figur glaubhaft. Der Ton ist aufgeladen, tatsächlich raunt es zu sehr.

Es springt einfach kein Funke über: Die Figuren lassen einen kalt. Dabei ist die Idee, krisenhafter gesellschaftlicher Gegenwart literarisch zu begegnen, gut und eine eher selten durchgespielte Version. Doch dominiert hier Mittelmäßigkeit das Anliegen, eine Ausnahmesituation erzählerisch zu fassen zu bekommen.

Die in den Roman eingeflochtenen Bezüge Liane Dirks zu ihren vorherigen Büchern, die allesamt stärker sind, können daran leider auch nichts ändern; und erkennbar sind diese Verweise nur für jene, die davon wissen. Aber es gibt die anderen Büchern - und die zu lesen lohnt sich.


Titelbild

Liane Dirks: Falsche Himmel. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006.
144 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3462037137

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