HipHop und Apokalypse

Florian Werners hervorragende Studie über den "Anfang des Rap und das Ende der Welt" bewegt sich mühelos zwischen Blues, Wu-Tang-Clan und Johannes-Offenbarung

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Apokalyptische Szenarien ziehen uns unwiderstehlich an: H5N1 & Co., global warming, demografische Katastrophe und extremistischer Terror wechseln sich als mediale Angstmacher ab. So genannte Experten sekundieren mit düsteren Prognosen. Selbst wenn die Halbwertszeit der Meldungen mitunter gering ist, Präsenz und Effekt bleiben verbürgt.

Zukunftsforscher und Berufsoptimist Matthias Horx erkennt darin ein "Katastrotainment", das den Medien die Quote sichert. Schließlich ist der homo sapiens schon allein biologisch gezwungen, auf existentielle Alarmsignale höchst empfänglich zu reagieren. Zudem bedeutet es einen Machtzuwachs für jene, die die Codes der Gefahren und der Angst generieren und kontrollieren.

Denn wer die Deutungshoheit über Klimadaten, demografische Daten, kulturelle oder ökonomische Entwicklungen hat, ist in der Lage uns zu alarmieren: Auf einem heißgelaufenen, von Hurrikans und Flutwellen heimgesuchten Planeten werden die Chinesen Europa aufkaufen und Moslems unsere Kultur dominieren (was jedoch bei einem von heimtückischen Virusepidemien zur Abwehrschlacht deformierten Leben kaum mehr ins Gewicht fällt).

Vor allem aber kann die Deutungsmacht über die drängendsten Gefahren Politik und Meinung gestalten, was heißt: Geldströme lenken. Katastrophismus als rentables Herrschaftsmittel einer neuen Priesterschaft tritt in der Maske des "Experten", des Politkers und der "wissenschaftlichen Studie" auf, verschleiert dadurch seine quasi-religiöse Natur und macht sich eine ängstliche gesellschaftlich-strukturelle Depression zu Nutzen - soweit die Kurzform von Horx' These zu unseren europäischen Endzeitvisionen.

Eine äußerst lebendige und kreative Gestalt apokalyptischer Verheißungen, die kaum in Verdacht geraten kann, in Herrschaftsdiensten zu stehen, untersucht Florian Werner in seinem Buch "Rapocalypse", das gerade im transcript-Verlag in der Reihe "Kultur- und Medientheorie" erschienen ist. Denn der Konjunktur der Apokalypse im öffentlichen, medialen Diskurs steht eine mindestens ebenso starke Präsenz in der Kunst gegenüber, genauer gesagt im HipHop nordamerikanischer Provenienz. Werner zufolge ist "diese Konjunktur endzeitlicher Wirklichkeits- und Geschichtsdeutungen in afro-amerikanischen Texten jedoch nicht Ausdruck einer Unterwerfung unter vorherrschende Diskurstraditionen der jüdisch-christlich geprägten Kultur [...], sondern kann im Gegenteil als Zeichen einer subversiven Strategie der Um-Schreibung des kulturell Dominanten verstanden werden".

Obwohl die Apokalypse im HipHop von modernen Phänomenen wie chemischen Waffen oder Gewaltausbrüchen in Ghettos inspiriert wird, ist sie alles andere als geschichtslos. Sie lässt sich vielmehr bis zu puritanischen Geistlichen des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen, die sich als Wegbereiter des tausendjährigen Reichs Gottes ansahen. "Rapocalypse" verfolgt die motivische Genealogie des Weltuntergangs innerhalb afro-amerikanischer Musikstile wie den Spirituals, dem Blues, dem Reggae oder den "chanted sermons", sowie seine kulturgeschichtliche Abkunft aus den biblischen Büchern, die das Weltende beschreiben. Werners Studie ist die erste ihrer Art und gehört zu jenen wissenschaftlichen Untersuchungen, denen die Synthese von Analyse relevanter Gegenwartsphänomene, ihrer historisch-kulturellen Verortung sowie einer wohltuenden sprachlichen Souveränität gelingt.

Letzteres mag sich darin erklären, dass Florian Werner nicht nur Amerikanist ist, sondern auch Autor von Kurzgeschichten sowie Musiker und Texter der Gruppe "Fön". Sein Erzählband "Wir sprechen uns noch" erschien 2005 bei dtv, der gemeinsam mit den "Fön"-Kollegen geschriebene Roman "K.L. McCoy: Mein Leben als Fön" 2004 bei Piper.

"Rapocalypse" fragt nach der Faszination der Apokalypse und den Zwecken, die mit ihr in der Geschichte verfolgt wurden. Werner stellt dar, wie die biblischen Apokalypsen unter Bedingungen der politischen Unterdrückung und kulturellen Deprivation entstanden, Bedingungen, die auch in späteren Zeiten wieder zur verstärkten Rezeption der apokalyptischen Bücher führten. Der für die afro-amerikanische Tradition entscheidende Einfluss rührt von der Christianisierung der Sklaven her, welche nach damaliger Auffassung das Kommen des Reichs Gottes beschleunigen sollte. So steht die afro-amerikanische Apokalypse einerseits unter dem Vorzeichen der Sklaverei, andererseits unter dem Zeichen der Befreiung. Der typische Sprechgesang des "chanted sermon" lässt sich mit Werner als Verbindungsstück zwischen dem religiösen Diskurs der Spirituals und dem säkularen Genre des Blues begreifen: Afro-amerikanische Prediger waren "bluesmen", die sich Stakkato-Rythmen und "blue notes" bedienten und gleichzeitig die Sprache der Apokalypse in das weltliche Liedgut der community trugen. Noch in Predigten des frühen 20. Jahrhunderts diente die Sprache der Johannes-Offenbarung der eschatologischen Aufladung historischer Umbrüche wie etwa der Weltwirtschaftskrise.

Auf dem Weg von den Gotteshäusern der Südstaaten in die Ghettos der New Yorker Bronx, wo in den 70er-Jahren der Rap entstand, geschahen allerdings maßgebliche Veränderungen. Nicht zuletzt durch die 1930 gegründete "Nation of Islam", die Werner als Hybrid aus islamischen und puritanischen Traditionen mit Verbindungen zum Rastafarianismus erklärt. Die apokalyptische Mythologie der Black Muslims übte enormen Einfluss auf die HipHop-Kultur und Rap-Ikonen wie Africa Bambaataa, Public Enemy oder Busta Rhymes aus.

Werners beeindruckende Studie an der Schnittstelle von eschatologischer Kulturgeschichte, Musikgeschichte und Popkultur schließt mit Überlegungen, welche Funktionen das so populäre Sprechen vom "Ende der Welt" erfüllt.

Denn "wer vom Ende der Welt spricht":

wird gehört, weil das Apokalypse-Motiv "die Legitimation der Heiligen Schrift, die Wucht der Tradition und die Lautstärke eines Erdbebens in sich trägt".

wird nur von Insidern verstanden, die den Code lesen können, für Uneingeweihte bleibt er "so unverständlich wie ein frakturiertes und codifiziertes Graffiti-tag".

hat die Wahrheit auf seiner Seite, weil der Gegenstand apokalyptischer Erzählungen vor allem die Umstände der Gegenwart sind, die es zu ändern gilt, damit das Ende nicht eintritt.

übertreibt und unterhält zugleich - von Platon bis Susan Sontag reichen die Überlegungen, was uns an der Darstellung des Leids anderer anzieht.

inszeniert eine Tragödie nach geradezu aristotelischen Maßgaben, so dass sich sogar "die Johannes-Offenbarung als Skript für eine endzeitliche Tragödie, für eine 'kathartische Performance' verstehen" ließe.

inszeniert aber zugleich eine Komödie, in der die "Gesetze des Karnevals" herrschen, die Werte und Hierachien auf den Kopf stellen. Eine "fröhliche Beerdigung der alten Welt", um einer neuen - und natürlich besseren - Platz zu machen. Oder, um es mit den Worten des französisch-senegalesischen HipHoppers MC Solaar zu sagen: Fuck la terre, si je meurs voici mon testament...


Titelbild

Florian Werner: Rapocalypse. Der Anfang des Rap und das Ende der Welt.
Transcript Verlag, Bielefeld 2007.
282 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-13: 9783899426083

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch