Seepapageien, Apfelmännchen, Apo(eto)logien

Das von Christoph Buchwald herausgegebene "Jahrbuch der Lyrik" wird 25

Von Ole PetrasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ole Petras

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Fischer-Verlag lässt sich nicht lumpen und präsentiert anlässlich des 25. Geburtstages des "Jahrbuchs der Lyrik" einen gut 400 Seiten starken Band im Bordeaux-roten Hardcover. Christoph Buchwald, Initiator dieser mittlerweile zur Institution gereiften Anthologie, versammelt mit Hilfe der jeweiligen Mitherausgeber je zehn Gedichte aus jedem Jahr. Das ergibt, versehen mit einem Nachwort und vereinzelten Kommentaren der auswählenden Lyriker, einen schönen Querschnitt durch das dichterische letzte Vierteljahrhundert. Einsteiger können sich so einen Überblick verschaffen, Experten die alten Freunde treffen, Schreibende mögen die Konkurrenz checken und alle anderen einfach lesen, lesen, lesen.

Das Problem entsteht an anderer Stelle: Man ist in der Lyrik schnell bei den großen Dingen, so scheint es, hört man die teilweise enthusiastischen, teilweise gehässigen, aber immer wieder apologetischen Kommentare der Lyriker, Leser und Kritiker in den kursorisch aufflammenden Debatten. Immerhin widmet die "Zeit" dem Gedicht verschwenderische sechs Seiten in ihrer Literaturbeilage vom 24. Mai 2007, nicht ohne Iris Radisch in ihrem "Lektürebericht" die ganze Sache einmal grundsätzlich klarstellen zu lassen. "Wenn das alles so schwierig ist", fragt Radisch kokett, "könnten wir [...] Gedichte nicht einfach unterteilen in solche, die man auch ohne Hilfe verstehen, und solche, die außer ein paar Dichterkollegen niemand je verstehen wird?" Das Gleiche könnte man wohl von Texten über Lyrik behaupten. Was sich hier scheinbar naiv als ein Ringen um Zugang und Bedeutung präsentiert, festigt hinterrücks den alten Entwurf einer exzeptionellen Kunst von wenigen für wenige Eingeweihte. Wo aber bleiben die ,Genies', die diesen Anspruch noch einzulösen vermöchten? Das "25. Jahrbuch der Lyrik" zeichnet sich in seiner Vielstimmigkeit gerade durch den Abbau derartiger Grenzen der Verständlichkeit aus. Es macht Gedichte tauglich für den Alltag, indem es die subjektiven Sichtweisen der Sammler betont und somit, trotz der vorliegenden ,Prachtausgabe', fern sämtlicher Kanonisierungstendenzen steht. Ihre Bedeutung entfalten die Gedichte nunmal für den Moment, das gibt auch Iris Radisch zu.

Doch auch das Jahrbuch ist nicht frei von den Problemen der Zeit. Unter den Beiträgen befindet sich viel Poetologisches, viele Fragen nach dem ,Wie' und ,Warum' der Kunstform Gedicht. "Selbst wenn ihr diesen verfickten, / verzweifelten Mist lest, und nochmal lest, / glaubt ihr konsequent, das wäre / schlechter als anderer Leute Dreck" beginnt Norbert Hinterberger sein Gedicht "Eure blöden Hoffnungen" aus dem zweiten Jahrgang 1980. Und Rainer Malkowski konstatiert "Am Schreibtisch" (1987): "So kann man leben: / jeden Tag / ein paar Sätze aufschreiben. / Andere sind Arzt / oder fahren einen Omnibus." Die Rechtfertigung gegenüber dem Anderen, seien es Kollegen, das Publikum oder die Gesellschaft, erscheint an manchen Stellen als poetischer Reflex einer irgendwie immer unter Zugzwang stehenden Gattung. Dabei wäre alles so einfach: "[V]om trinken des blutes abgesehen / ist der zufall des denkens / die erfindung des apfelmännchens", schreibt Oskar Pastior, dem das 25. Jahrbuch gemeinsam mit Robert Gernhardt gewidmet ist. Und Adolf Endler eröffnet sein "Resumé" im 16. Jahrbuch 1998 mit der lapidaren Feststellung: "Bis heute kein einziger Seepapagei in meinen vielen Gedichten".

Gerade die letztgenannten Autoren überzeugen dadurch, dass sie die Dichtung als ein Spiel mit Sprache begreifen, als ein Sprachspiel unter vielen, auf das man sich einlassen kann und auf das sich einzulassen jeder eingeladen ist. Den entsprechenden Leitfaden für die Lektüre formuliert der Herausgeber in dem als Interview getarnten Nachwort: "Lassen Sie die Frage, ob Ihnen ein Gedicht gefallen hat oder nicht, völlig ungeniert zu, aber fragen sie auch weiter, warum es Ihnen gefallen oder missfallen hat." Buchwald geht es also weniger um das richtige Verstehen eines Gedichts, als vielmehr um einen Blick auf die Mechanismen der Bedeutungserzeugung. Das 25. Jahrbuch der Lyrik zwingt im Clash der Diskurse zur Auseinandersetzung. Die eigentliche Frage ist folglich: Seepapagei oder Apfelmännchen?


Titelbild

Christoph Buchwald (Hg.): 25. Jahrbuch der Lyrik. Die schönsten Gedichte aus 25. Jahren.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
410 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783100096531

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