Hin und Her mit dem Betrüger

H.R.F. Keating lässt Inspektor Ghote 1. Klasse reisen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Locked room mystery" - natürlich, das gibt es, ist seit Edgar Poes "Murder in the Rue Morgue" und dann vor allem Agatha Christie eine der Standardaufgaben im Krimi. Aber gab es schon mal "locked room solving the mystery"? Inspektor Ghote führt uns das vor. Und zwar gleich zweimal hintereinander. Kompliziert. Und äußerst unterhaltsam.

Eigentlich soll Inspektor Ghote von Bombay nach Kalkutta fahren, um dort den inhaftierten Betrüger A. K. Bhattacharya abzuholen. Statt zu fliegen, beschließt Ghote, sich für zwei Tage in den Zug zu setzen. In seinem Abteil trifft er auf einen schwatzhaften Bengalen, später steigt noch ein amerikanisches Hippie-Pärchen mit ihrem schweigsamen indischen Guru ein und ein penibler Schreibpapier- und Formularverwalter der Eisenbahnverwaltung. Nach und nach aber, nach langer Unterhaltung, langem gequältem Zuhören der sturzbachartigen Redeanfälle des Bengalen keimt in Ghote der Verdacht und wird stärker und stärker, dass dieser Bengale niemand anderer als der Verbrecher ist, den er doch in Kalkutta abholen soll. Vor allem, als er ein Telegramm erhält, dass seine Kollegen in Kalkutta doch den falschen geschnappt haben: Es gibt eben keine Fotos von Bhattacharya. Und auch der Bengale, auf dessen Koffern die Initialen AKB stehen, weigert sich standhaft, sich fotografieren zu lassen.

Und so kämpfen die beiden so verschiedenen Charaktere miteinander. Ghote ist ein kluger Mensch, beobachtet sehr genau, zieht seine Schlüsse. Aber er ist nicht besonders selbstbewusst und hat immer Angst, etwas falsch zu machen, ist immer bemüht, auch wirklich alle Vorschriften zu befolgen. Längst weiß der Leser, dass es wirklich der Betrüger ist, der sich den Spaß macht, den klugen Inspektor zu übertölpeln, ihn einmal richtig vorzuführen. Aber dann ist er doch so von sich eingenommen, dass er sich seine Fallen eigentlich selber stellt. Ständig spielt er Ghote Hinweise in die Hand, präsentiert sich fast auf dem silbernen Teller. Aber Ghote kann nie so ganz sicher sein. Als Polizist aber braucht er eben unumstößliche Beweise. Und so gibt es wechselnde Bündnisse zwischen den Reisenden, jeder spielt jeden gegen die anderen aus, selbst der Guru wird in das Spiel, das zwar nicht um Leben und Tod, aber doch um Freiheit und öffentliche Lächerlichkeit geht, hineingezogen.

Einer der Clous ist, dass es Ghote in Kalkutta gelingt, A. K. Bhattacharya auf dem Bahnhof verhaften zu lassen, dass er von seinem Vorgesetzten dann aber noch gezwungen wird, mit ihm wieder zurückzufahren und ihm auf jeden Fall ein Geständnis herauszulocken. Und so fahren die beiden den ganzen, zweitägigen Weg zusammen zurück. Und auch hier haben sie Begleitung in ihrem abgeschlossenen Salonwagen. Und auch hier gibt es ein Duell mit unterschiedlichen Waffen.

"Inspektor Ghote reist 1. Klasse" ist ein wunderbarer Kriminalroman, der mit lebendigen Charakteren auf engstem Raum spielt, Spannung entsteht durch die große Unsicherheit, ob es Ghote wohl gelingen wird, als Sieger hervorzugehen. Es ist fast ein Oldtimer, der hier endlich wieder neu aufgelegt wird: 1971 ist der psychologisch fein erzählte, sanft humorvolle und solide konstruierte Roman erschienen, vier Jahre später auf deutsch. Er ist einer von leider nicht allzu vielen Bänden einer kleinen Reihe um Ghote, in der eine Welt zu entdecken ist, die vom kleinen Mann in Indien erzählt. Es ist eine Welt voller skurriler und postkolonialer Details, voller Humor und Anstrengungen, endlich einmal eine Sicherheit zu erreichen, eine feste Pension, die Anerkennung der Vorgesetzten inmitten einer sich ständig verändernden Umwelt.

Die Romane von H.R.F. Keating kommen ohne Blutvergießen, ohne Action, ohne Serienkiller aus. Sie leben ganz von der wunderbar gezeichneten Figur des untergeordneten, sich ständig Sorgen machenden Inspektor Ghote, der wie aus einem Kipling-Roman entsprungen scheint. Es sind hintersinnige, schöne, kleine Romane voller Feinheiten, Abwägungen und kleiner alltäglicher Absurditäten. Eine gelungene Entführung in eine andere Welt, die sich dann als so gar nicht viel anders als unsere kleine entpuppt.


Titelbild

Henry R. Keating: Inspector Ghote reist 1. Klasse. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Mechthild Sandber-Ciletti.
Unionsverlag, Zürich 2007.
190 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783293203891

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