Das wahre Abbild des Staates ist die Familie

Claudia Opitz-Belakhals Untersuchung zu Staatsbildung, Macht und Geschlecht bei Jean Bodin

Von Pauline PuppelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pauline Puppel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der verfassungshistorischen Forschung ist 'Geschlecht' (sex/gender) noch immer nicht als historische Strukturkategorie anerkannt. Das liegt auch daran, dass politische Theorien und Praktiken von Seiten der historischen Geschlechterforschung bislang kaum analysiert wurden. Fragen der politischen Verfasstheit von Geschlechterordnungen und der Geschlechtergeschichte des Politischen widmeten sich bislang fast nur Politologinnen. Nun wendet sich die Baseler Historikerin Claudia Opitz-Belakhal einem der bekanntesten Staatsdenker der Frühen Neuzeit zu und unternimmt es, aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive die Entstehungs- und Funktionsbedingungen des frühmodernen Staatswesens zu hinterfragen. Anhand der Schriften des französischen Juristen Jean Bodin (~1530-1596) zeigt sie geschlechtlich codierte Bilder und ihre Wirkungen auf, vollzieht Beutungszuschreibungen und ihre Transformation durch die Rezeption nach.

1576 veröffentlichte Bodin die 'Sechs Bücher über den Staat', die bis heute als grundlegend für die Entwicklung des modernen Staats gelten. Opitz spricht zu Recht davon, dass sich dieses Werk tief in die Mythologie des modernen Staatsdenkens eingeschrieben hat. Seinem wegweisenden und seiner Zeit vorauseilenden Souveränitätskonzept hat Bodin jedoch 1580 ein Buch zur Seite gestellt, in dem er kompromisslos zur Verfolgung von Hexen und Teufelsanbetern aufrief. Seine fanatischen und schockierenden Äußerungen scheinen zu seinen staatstheoretischen Überlegungen in direktem Widerspruch zu stehen. Opitz gelingt es, mittels der klassischen Textanalyse schlüssig nachzuweisen, dass Bodins misogyne Schriften Ausdruck des frühmodernen Herrschaftsdiskurses waren. Der juristisch geschulte Gelehrte war im Frankreich des späten 16. Jahrhunderts bestrebt, der absoluten Monarchie Legitimität zu verleihen - inmitten von blutigen Bürger- und Religionskriegen.

Legitime Herrschaft versteht Bodin als patriarchalisch-hierarchische Ordnung, die nach der gehorsamen Subordination aller Untertanen verlangt. Für ihn und zahlreiche seiner Zeitgenossen ist die Familie Vor- und Abbild des Staats: Eine Frau hat mit einem Mann einen Vertrag geschlossen und sich aller ihrer Rechte begeben; gleichwohl handelt es sich um einen Vertrag zwischen Ungleichen, da die Frau dem Mann weder nach göttlichem oder natürlichem noch nach positivem Recht gleich war. Insofern kann dieser Vertrag auch nur von Seiten des Mannes aufgelöst werden.

Mit diesen Überlegungen stellt sich Bodin deutlich gegen die hugenottische Opposition, die die Theorien der Monarchomachen von der Übertragung der obersten Herrschaftsgewalt und damit Ideen des legitimen Widerstands rezipiert hatten. Der Fürst ist nicht nur Ehemann des Staats, sondern auch Vater: Ihm allein kommt das Recht zu, mit allen Mitteln gegen seine ungehorsamen Kinder, gegen seine widerspenstigen Untertanen vorzugehen. Die rechte Ordnung der Generationen bestimmt über das Wohl und Wehe des Staats. Der Hausherr und Vater verfügt daher uneingeschränkt über alles Gut, das die Hausgemeinschaft besitzt. Da Eigentum für Bodin das zentrale Kriterium für bürgerliche Freiheit ist, lehnt er das Erbrecht der Frauen ab. Er versteht Besitz in Frauenhand als Gefahrenquelle für den häuslichen, damit für den politischen Frieden.

Eng verknüpft mit diesen Überlegungen ist die Frage der Erbfolge französischer Prinzessinnen. Wie viele seiner Zeitgenossen befürwortet auch Bodin die Rechtmäßigkeit der lex salica, die die weibliche Lehen- und Thronfolge verunmöglichte, und favorisiert die Erbfolge des erstgeborenen Prinzen. Opitz kontextualisiert dies zwar mit der Regentschaft der französischen Königin-Mutter, arbeitet den Unterschied zwischen Thronfolge und diesem Rechtsinstitut nicht deutlich genug heraus. Die Stabilisierung der Primogeniturerbfolge durch Regentschaften hat Katherine Crawford in "Perilous Performances" (Harvard 2004) einleuchtend analysiert. Ihre Ergebnisse widersprechen der Annahme von Opitz, dass die Männlichkeit des französischen Herrschers die Ent-Geschlechtlichung der Macht verhindert habe. Crawford hat schlüssig nachgewiesen, dass gerade die Regentschaften in Frankreich die königliche Autorität bis zur Revolution 1789 de-personalisiert habe.

Opitz zeigt auf, dass Bodins Schrift über die Hexen in engem Konnex zu seiner Staatstheorie zu lesen ist. Sie widerlegt bisherige Forschungsmeinungen und weist durch konsequente Historisierung den engen Bezug zwischen der Institutionalisierung des Inquisitionsprozesses als moderner Form des Strafprozesses und des frühmodernen Staats nach. Bodins extreme Misogynie zeigt sich in seiner perfiden Strategie der Inversion weiblicher Tugenden. Denn er betont, dass Frauen Tugenden wie Glaubensstärke, Klugheit und Widerstandskraft besitzen, um zu argumentieren, dass sie aus willentlicher Bösartigkeit zu Hexen werden und daher letztlich vor Gericht voll schuldfähig seien. Seine Schrift dient der Auseinandersetzung um die Strategien, wie mit dem Hexenglauben umzugehen sei. Der Jurist will den Richterstand überhöhen. Letztlich, so betont Opitz, ist der Streit über die Verfolgung der Hexerei ein Machtkampf unter Männern um Wahrheitsanspruch und Autorität. Bodin verurteilt Hexerei als politisches Verbrechen, als Hochverrat und Majestätsverbrechen und erteilt konkrete Handlungsanweisungen für die Inquisition, wobei er die Autorität der Richter gegenüber der fürstlichen Willkür zu schützen sucht. Denn er lehnt die Eingriffe des Fürsten in die Gerichtshandlungen, die Praxis der Begnadigungen ab. Bodin ist überzeugt, dass das stringente Gerichtsverfahren zum Staatswohl beiträgt, daher ist sein Buch über die Hexen als Stellungnahme zum Verhältnis von fürstlicher Souveränität und Gesetzlichkeit zu verstehen. Er funktionalisiert Hexen nur, um die Träger des Modernisierungs- und Bürokratisierungsprozesses gegenüber dem zwar souveränen, nicht aber politisch sicheren Fürsten zu profilieren - und eröffnet so das Spannungsfeld zwischen Fürst und Institutionen.

Opitz streicht die geschlechterpolitische Dimension des Staatsbildungsprozesses in der Vormoderne heraus: Misogynie und Hexenverfolgung bildeten mit der Etablierung des souveränen Staates eine enge Wechselbeziehung. Die Verfasserin zeigt auf, dass Frauen, ihre Laster und Schwächen im Universum des Jean Bodin Ursache waren für Unordnung und Anarchie, dass die Ordnung der Geschlechter die Grundvoraussetzung für den friedvollen Staat schlechthin war. Sie analysiert Bodins Misogynie als rhetorische und zugleich als politische Strategie, die auf Praktiken einwirkte und zu institutionellen Veränderungen führte. Darüber hinaus regt sie weiterführende Forschungen zu Männlichkeitsnormen in der Frühen Neuzeit, zur konstatierten frühneuzeitlichen 'Krise der Männlichkeit' sowie zur Maskulinisierung weltlicher und geistlicher Autoritäten an. Die Bedeutung der Kategorie 'Geschlecht' für die Untersuchung und Interpretation von politischer Theorie und von Staatsbildungsprozessen legt Opitz ebenso überzeugend wie anregend dar.


Titelbild

Claudia Opitz-Belakhal: Das Universum des Jean Bodin. Staatsbildung, Macht und Geschlecht im 16. Jahrhundert.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
206 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3593382075
ISBN-13: 9783593382074

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