Eine zauberhafte Affäre

Gottfrieds von Straßburg monumentaler "Tristan"-Roman in Kurzform

Von Konrad LeistikowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Konrad Leistikow

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gottfried von Straßburg (ca. 1170-1215) gilt wegen seiner Literatur als einer der bedeutendsten deutschen Autoren des Mittelalters - und das, obwohl uns einzig der höfische Versroman über die tragische Liebe von Tristan und Isolde sicher überliefert ist, der außerdem noch fragmentarisch geblieben ist. Nichts weiter. Zwar gibt es einige Liedtexte und Spruchstrophen, die Gottfried zugeschrieben worden sind. Aber heutige Literaturwissenschaftler sind sich darüber einig, dass diese Zuschreibungen nicht der wahren Urheberschaft entsprechen.

Die Geschichte von Tristan und Isolde ist der literarische Urtypus der tragischen Ehebruchsliebe. Es geht im Besonderen um die alles verzehrende, bis ins Krankhafte gesteigerte Leidenschaft. Und wenngleich Gottfried den Stoff nicht erfunden hat, so sucht doch seine "Tristan"-Version, die zwischen 1200 und 1210 entstanden sein dürfte, an sprachlicher Brillanz, poetischer Schönheit sowie inhaltlicher Klarheit und Konsequenz ihresgleichen. Die französische Vorlage des Thomas aus der Britannie hat der große Dichter souverän übertragen, bearbeitet - und vor allem enorm ausgebaut.

Der Germanist und Schriftsteller Dieter Kühn hat bereits 1991 eine vielgelobte Neuübersetzung von Gottfrieds "Tristan" vorgelegt. Und in der Tat hat er hier Erstaunliches geleistet: Im Vergleich zu den früheren, inzwischen etwas angestaubten Übertragungen von Karl Simrock und Rüdiger Krohn lässt Kühns metrisch fließende Dichtung weit mehr die sprachliche Intensität und die Klangfülle des Originals erahnen. Dabei ist es Kühn gelungen, an vielen Stellen wohlklingende Reimpaare zu erhalten (zum Beispiel "Dein schöner Leib, dein schönes Leben, / seien Gott anheimgegeben", V. 2399 f.), ohne den Text insgesamt zu sehr in ein formales Korsett zu zwingen. So verzeiht man ihm auch gern den einen oder anderen sehr gewagten Modernisierungsversuch ("Gott der Herr, Du musst mich retten, / sei mein Skipper von hier weg!", V. 2364 f.).

Nun hatte sich Dieter Kühn zum Ziel gesetzt, das mit nahezu 20.000 Versen gewaltige Romanfragment auf eine überschaubare Länge zu kürzen. Langwierige und für den Kern der Erzählung unerhebliche Ausführungen - wie etwa Gottfrieds berühmten Exkurs über seine zeitgenössischen Dichterkollegen - hat er durch prägnante Zusammenfassungen ersetzt. Auch die im Original sehr ausführlich beschriebene Vorgeschichte, die von Tristans Eltern Riwalon und Blanchefleur handelt, hat Kühn auf ein Maß gekürzt, das den Einstieg erleichtert, ohne dieser Passage ihre gleichnishafte Vorausdeutungsfunktion zu nehmen.

Was Nichtphilologen leider vergeblich suchen, sind Erläuterungen zu (meist französischen) Fremdwörtern wie "courtoise", "aventuire" oder "suivants", die Kühn auch in seiner ungekürzten Übersetzung unkommentiert in den Text übernommen hat. Solche Worterklärungen wären vor allem deshalb sinnvoll gewesen, da das Büchlein sich vorrangig ja gerade nicht an ein Fachpublikum richtet.

Trotzdem hat Dieter Kühn dem "Tristan" Gottfrieds von Straßburg mit der hier vorliegenden Fassung eine neue Lesbarkeit verliehen, die nicht nur allen Interessierten den Zugang zu diesem zeitlosen Meisterwerk erleichtert, sondern darüber hinaus einen geradezu betörenden poetischen Zauber verströmt.


Titelbild

Gottfried von Straßburg: Die Geschichte der Liebe von Tristan und Isolde.
Übersetzt aus dem Mittelhochdeutschen von Dieter Kühn.
Reclam Verlag, Stuttgart 2007.
186 Seiten, 4,80 EUR.
ISBN-13: 9783150044742

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch