Kraichgau und Südbaden als Zuflucht

Uri R. Kaufmann erzählt die "Kleine Geschichte der Juden in Baden"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Man war mit der Bevölkerung verwachsen, nahm regen Anteil am selben Geschehen. Man gehörte irgendeinem Verein an, man spielte mit den anderen Einwohnern am Wirtshaustisch Karten und hatte auch unter Christen Freunde und gute Bekannte. Man saß an den langen Sommerabenden mit Bekannten, rauchend und schwatzend, auf den hölzernen oder steinernen Bänken vor dem Haus und man machte vor allem am Samstag Spaziergänge in spießbürgerlicher Manier." So idyllisch konnte um 1900 das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden sein. So schildert es jedenfalls Willi Wertheimer aus seiner nordbadischen Heimat Hardheim. In den Großstädten gab es damals schon Boykottaufrufe, und im Ersten Weltkrieg mussten die Frontkämpfer eine "Judenzählung" über sich ergehen lassen: Man sagte den Juden nach, sie würden sich vor dem Fronteinsatz drücken. Das Ergebnis wurde dann nicht veröffentlicht, denn ihr Anteil war sogar höher als der der Nichtjuden.

Die Juden hatten es nie leicht, auch nicht in Baden, wo sie seit dem 13. Jahrhundert bezeugt sind, in Überlingen, Konstanz, Bretten, Ettlingen, Bruchsal und Durlach. Schon früh verzeichnen jüdische Gedächtnisbücher, "Memorbücher", auch Listen von Orten, in denen sie verfolgt wurden. Hostienschändungen, Ermordung von Christenkindern zu Pessach und die Pest: an allem waren die Juden Schuld. Als sie im 15. Jahrhundert aus den Städten wieder einmal vertrieben wurden, fanden sie auf dem Land Zuflucht, wo sie als Viehhändler, Pfandleiher, Hausierer und Ärzte lebten, wie im Kraichgau oder in Südbaden. Und so ging es immer weiter: Die Geschichte der Juden ist vor allem eine Geschichte der Judenfeindschaft. Immer wieder wollte man sie taufen, umerziehen, "bürgerlich verbessern", oder einfach vertreiben und ermorden.

Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Gemeinden langsam wieder wuchsen, viele Juden aus dem Osten und sogar aus Israel kamen, blieben sie vorsichtig. Lange dauerte es, bis die Gemeinden sich neue Synagogen bauten, in Karlsruhe erst 1971. Ängstlich richtete man sich wieder ein, nahm mit Betsälen vorlieb, wie in Mannheim in R 7 oder in Heidelberg in der "Villa Julius". Denn noch immer gab es Antisemitismus, wurde ein Theologe wie Karl Georg Kuhn, der im Getto von Warschau wertvolle jüdische Bücher geraubt und 1939 über "Die Judenfrage als weltgeschichtliches Problem" geschrieben hatte, Ordinarius in Heidelberg und 1956 sogar Dekan, mit dem zynisch anmutenden Hinweis, dass er "Experte für Judentum" sei.

Der Historiker Uri R. Kaufmann listet diese und viele andere Fakten in einem neuen Buch auf, das die "Geschichte der Juden in Baden" nacherzählt. Eine "kleine Geschichte" ist es, knapp und oft nur kursorisch, an anderen Stellen wieder sehr ausführlich, wie in der Nachkriegsgeschichte. Das hätte, bei einem Umfang von nur 200 Seiten, durchaus auch etwas kürzer dargestellt werden können. Leider ist das Buch auch sprachlich nicht immer ganz flüssig. Insgesamt schreibt Kaufmann aber konzis und erzählerisch zugleich. Vor allem in der Darstellung des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts, wo er die Zerrissenheit dieser Zeit zwischen Moderne und Tradition, Judenfeindlichkeit und bürgerlicher Gleichstellung schildert. Selbst die Juden wussten damals manchmal nicht, wohin es gehen sollte. Es gab Orthodoxe und andere, die sich liberal gaben, und als der Mannheimer Rabbiner Moses Präger 1855 die Stelle aus dem traditionellen Morgengebet strich, in der der Mann dafür dankt, dass er "nicht als Frau erschaffen wurde", gab es heftige Proteste. Damals wurden auch neue Synagogen mit Orgeln ausgestattet - das war früher undenkbar. Kaufmanns "Geschichte der Juden in Baden" ist eine ansprechende Mischung aus Anekdoten, knappen biografischen Darstellungen und vielen historischen Fakten. Es ist die erste Gesamtdarstellung der jüdischen Geschichte in Baden überhaupt und deshalb ein unverzichtbares Einstiegswerk, ansprechend gemacht und preiswert.


Titelbild

Uri R. Kaufmann: Kleine Geschichte der Juden in Baden.
DRW-Verlag Weinbrenner, Leinfelden-Echterdingen 2007.
224 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783765083648

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