Kollaboration und Judenhass
Klaus Gensickes Studie über Amin el-Husseinis Beziehungen zum Nationalsozialismus
Von Felix Wiedemann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAmin el-Husseini (circa 1895-1974), der so genannte Großmufti von Jerusalem, gehört zweifellos zu den dunkelsten Figuren in der Geschichte des Nah-Ost-Konflikts. Dass der Anführer der palästinensischen Nationalbewegung der 1930er- und 1940er-Jahre ein enger Verbündeter der Achsenmächte war und zwischen 1941 und 1945 im nationalsozialistischen Berlin weilte, ist seit langem bekannt. Auch über das extreme Ausmaß seines Antisemitismus kann spätestens seit der 2006 erschienenen Studie "Halbmond und Hakenkreuz" (siehe literaturkritik.de 3/2007) von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers kein Zweifel mehr bestehen. Dabei bezogen sich diese Autoren maßgeblich auf eine bereits 1988 erschienene Pionierarbeit zum Thema - die Dissertation über die Zusammenarbeit des Großmuftis mit den Nationalsozialisten von Klaus Gensicke, die nun in überarbeiteter Form neu erschienen ist.
Wie schon die lesenswerte Studie von Mallmann und Küppers leidet das Buch allerdings unter einem erheblichen Mangel: Für eine, wie der Untertitel ankündigt, "politische Biographie" wären Kenntnisse der Muttersprache der Person, um die es geht, eigentlich zwingend erforderlich. Arabischkenntnisse scheint der Autor jedoch nicht zu besitzen, jedenfalls werden ausschließlich deutsch- und englischsprachige Quellen und Übersetzungen zitiert.
Arabischer Nationalismus und Antisemitismus
Eingedenk dieses - allerdings gewichtigen - Einwandes hat der Autor jedoch eine wichtige und konsistente Studie vorgelegt. Nach einer knappen Darstellung des von politischen Intrigen und Morden begleiteten Werdegangs el-Husseinis von seiner umstrittenen Ernennung zum Mufti bis zur Flucht aus dem britischen Mandatsgebiet 1937 konzentriert sich die Darstellung vorwiegend auf die Jahre des Zweiten Weltkriegs. Seine Annäherung an den Faschismus und den Nationalsozialismus war dabei sowohl Produkt des gegen die britischen Kolonialherren gerichteten arabischen Nationalismus als auch seines tief verwurzelten Judenhasses, der sich gleichermaßen aus islamisch-religiösen wie radikalnationalistischen Motiven speiste und den er zunehmend auch mit dem rassentheoretischen Vokabular der Nationalsozialisten anreicherte. Mit dieser Melange stand el-Husseini seinerzeit keineswegs alleine dar, genoss das antiwestliche und antisemitische nationalsozialistische Deutschland seinerzeit doch zweifellos die Sympathie eines großen Teils der Bevölkerung in den arabischen Ländern.
Gensicke schildert, wie es der Mufti hervorragend verstand, sowohl die Achsenmächte Deutschland und Italien als auch führende Nationalsozialisten zum eigenen Vorteil gegeneinander auszuspielen. Kein Zweifel dürfte zudem daran bestehen, dass el-Husseini durch seine vielfältigen Kontakte zur NS-Führungsriege über das Schicksal der europäischen Juden im Bilde war und keine Gelegenheit unterließ, den Judenmord auch noch ausdrücklich gutzuheißen. So torpedierte er erfolgreich das Vorhaben, einige Juden aus Bulgarien und Rumänien gegen Geld und Waffen nach Palästina ausreisen zu lassen und forderte deren "Evakuierung nach Polen", das heißt in die dortigen Vernichtungslager.
Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen el-Husseini und NS-Deutschland war schließlich die von ihm initiierte Aufstellung einer muslimischen Einheit der Waffen-SS in Bosnien, die sich dann im Kampf gegen Serben und kommunistische Partisanen vor allem durch grausame Massaker an der Zivilbevölkerung hervortat. Die militärische Bedeutung dieser Einsätze war allerdings eher gering, zumal Deutschlands Hauptverbündeter auf dem Balkan, das faschistische Kroatien, jede Gelegenheit nutzte, die Aufstellung eigenständiger bosnisch-muslimischer Militärverbände zu hintertreiben.
Nicht nur an diesem Punkt zeigten sich denn auch die Grenzen el-Husseinis und der arabisch-deutschen Kollaboration. Gerade in ideologischer Hinsicht standen einer engeren Zusammenarbeit von vornherein die nationalsozialistische Rassenideologie, die die 'semitischen' Araber zu den minderwertigen Rassen zählte, und der tief verwurzelte völkische Orientalismus im Wege. Daran änderte auch Himmlers viel zitiertes Credo von der "weltanschaulichen Verbundenheit" zwischen Islam und Nationalsozialismus wenig. So zögerten die Nationalsozialisten lange, die arabische Karte zu spielen und setzten erst nach der Kriegswende 1943 verstärkt auf die Propaganda des Muftis in der arabischen und muslimischen Welt. Gensickes gut dokumentierte und überwiegend nüchtern gehaltene Studie begeht denn auch nicht den Fehler, den Schwanz mit dem Hund wedeln zu lassen und den Einfluss des Muftis auf die NS-Politik zu überschätzen.
Von Hitler und el-Husseini zu Hamas und al-Quaida?
Durch einige Kommentare und Vergleiche, die dem Schlusskapitel der Neuausgabe hinzugefügt wurden, scheint der Autor jedoch dieses Urteil zu konterkarieren. Was soll man etwa von der Aussage halten, der Mufti habe "sogar Hitler mit seinem Haß gegen die Juden übertroffen"? Ohne auf die weitere Geschichte des islamischen Antisemitismus und Fundamentalismus sowie dessen Verhältnis zum arabischen Nationalismus auch nur einzugehen, erscheint el-Husseini hier schließlich als "Stammvater aller Selbstmordattentäter und solcher Killernetzwerke wie Al Quaida". Dabei dürfte der Hintergrund dieser Ursprungszuweisung (die zudem andere Stichwortgeber und ideengeschichtliche Quellen des islamischen Fundamentalismus außen vorlässt) nicht zuletzt politischen Motiven geschuldet sein. Ohne Belege zieht Gensicke schließlich eine gerade Linie vom radikalen Judenhass des NS-Verbündeten el-Husseini zum Antizionismus und Antisemitismus von Fatah und Hamas - zum Nachweis einer kontinuierlichen Rezeption der Schriften und Reden des Mufti in diesen Kreisen hätte es aber zweifellos jener Arabischkenntnisse bedurft, die dem Autor offenkundig abgehen.
Ärgerlich wird die Sache zudem, wenn er notwendige Aktualisierungen an anderen Stellen unterlässt. Dies bezieht sich vor allem auf seine Darstellung der Ereignisse um den ersten Nahost-Krieg von 1948: Unzweifelhaft hat der Mufti mit seiner radikalen antisemitischen Agitation und strikten Ablehnung des UN-Teilungsplans von 1947 erheblich zum Krieg beigetragen - die "naqba" (Katastophe), das heißt die Flucht von über 700.000 Palästinensern einzig auf dessen fatales Handeln zurückzuführen, wie Gensicke es tut, ohne die Vertreibungen durch die Israelis auch nur zu erwähnen, ignoriert aber souverän die (mittlerweile 20 Jahre alte) israelische Forschungsliteratur zu diesem Thema. Letztlich erscheint die - ohne jeden Zweifel abscheuliche - Gestalt des Muftis in Gensickes nach wie vor unumgänglicher Studie zum Thema als eine Art Urheber von Nahost-Konflikt und islamischem Terrorismus - eine Personalisierung, die dann doch etwas zu simpel anmutet.