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James Sallis montiert am Krimi herum

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krimis sind in der Regel recht konventionell gebaut: Sie folgen der Chronologie, mit einigem Glück gibt es verschiedene Ebenen oder parallele Handlungsverläufe, die einigermaßen gelungen aberzählt werden, cliffhanger sorgen für die angemessene Spannung. Und das ist die Hauptsache. Egal was im Krimi wie gemacht wird, immer muss der Kontakt zwischen Leser und Buch gewahrt bleiben. Und dafür muss man einige Konzessionen machen, auch in der Organisation der Erzählung. Was erzählt wird, kann zwar geheimnisvoll bis verwirrend sein, aber der Modus des Erzählens darf nur so gewählt sein, dass der Leser die Orientierung behält. Der Schrecken des Erzählten darf sich im Schrecken des Erzählens nicht abbilden. Wenn die Überlegung zutrifft, dass der Krimi vor allem ein Ordnung stiftendes Medium ist (angesichts der Unordnung in der Welt eine höchst willkommene Aufgabe, die aber eben auch äußerst undankbar und vergeblich ist), dann ist dieses Ordnung stiftende Moment nicht nur darin aufgehoben, dass am Ende die Guten die Bösen kriegen (was ja auch nicht immer der Fall ist): Ordnung ist auch das motivierende Moment der Textorganisation. Heraus kommt dabei ein im Wesentlichen immergleiches Erzählen, in dem die Überraschung abgeschafft wird und der wohlige Schrecken angesichts der zunehmenden Brutalität der Meuchelmorde an seine Stelle getreten ist.

Es gibt nur wenige Beispiele, in denen Autorinnen und Autoren den Rahmen der konventionellen Krimierzählung verlassen haben und das Resultat lesenswert ist. Jerome Charyn ist so ein Beispiel, Boris Vian war so jemand, Heinrich Steinfest auch, bei anderen Autoren scheiden sich die Geister, soll heißen: Ihr Publikum ist und bleibt sehr klein. James Sallis hingegen hat die Chance auf ein großes Publikum, und das obwohl er gegen einige eiserne Regeln verstößt: Einheit von Ort und Zeit und Übersichtlichkeit des Handlungs- und Erzählrahmens. Sallis montiert ganz heftig an den Krimikonventionen herum, und das tut er sehr erfolgreich. Das verbindet er mit einem Plot, der nichts auslässt, was einem modernen Krimi gut ansteht: Eine fast neo-neusachlich zu nennende Hauptfigur, die nicht mehr mordet, um sich zu bereichern, sondern um sich zu schützen, um am Ende - so viel darf verraten werden - dasselbe Ende zu nehmen wie ihre Opfer.

Wir lernen Driver kennen, als er in einem Motelzimmer sitzt, in dem zwei tote Männer und eine tote Frau liegen. Die beiden Eindringlinge hatten es auf Driver und seine Begleiterin abgesehen, die sich mit einer Tasche voller Geld aus einem missglückten Raubüberfall gerettet haben. In der Tasche ist viel zuviel Geld, der Überfall selbst hat schon in einem Blutbad geendet, jetzt ist auch noch einer der Geflohenen tot - nur Driver lebt und versucht, das Ganze irgendwie zu regeln.

Denn Driver tut nur das, was in seinem Namen bereits zu erkennen ist: Er fährt. Nichts anderes. Für den Film, wo er Autostunts abliefert, und für Überfälle, wo er den Fahrer macht. Driver ist der beste, im Film und im wirklich kriminellen Leben. Aber er will sich eigentlich aus allem raushalten.

Das aber gelingt ihm jetzt nicht mehr. Auch als er das Geld bei seinem wahren Besitzer abliefert, ist sein Leben nicht sicher. Der Mafia klaut man keine Viertelmillion, auch wenn es keine Absicht war und man es wieder zurückgibt. In jedem Fall muss der gute Ruf wieder hergestellt werden, am besten mit der Leiche dessen, der es gewagt hat, daran zu kratzen.

Driver bleibt also nichts anderes übrig, als sich aller seiner Feinde zu entledigen. Das aber tut er mit einer Gelassenheit und einer Leichtigkeit, die größer kaum sein könnte (und die die Künstlichkeit der Figur anzeigt). Am Ende ist er vielleicht alle seine Feinde los, aber das rettet ihn auch nur über die nächste Zeit. Irgendwann einmal hat er sich nicht gut genug vorbereitet, irgendwann einmal ist er nicht schnell genug, irgendwann einmal wird er nicht gut genug aufgepasst haben. Das passiert ja jedem mal.

Driver ist zwar fast schon der Prototyp des Neuen Menschen der Moderne - Schnell, kalt, sachlich und immer wachsam. Aber diese Existenzform verbraucht einen nun einmal, auch eine synthetische Figur wie Driver ist irgendwann nur noch ein Stück (literarisches) Fleisch, keine Vergangenheit mehr und keine Zukunft.

Allerdings folgt er bis dahin der Bahn, die ihm vorgezeichnet ist: eine Mutter, die den Vater ersticht, Pflegeeltern, die er mit sechzehn verlässt, eine Ausbildung auf der Straße und unter Fahrern, wie er selber einer sein will. Fahren, das ist das, was er kann (was der moderne Mensch kann, Kerouac hätte sich gefreut), alles andere dient nur dazu, immer solange zu überleben, um die nächste Fahrt antreten zu können.

Sallis stellt uns diese Figur, die ja auch ihre sentimentalen und emotionalen Seiten hat, in schroffen, unvermittelten Zeit- und Handlungssprüngen vor. Die Vergangenheitssplitter dienen dazu, eine Person zu konstruieren, die alles das aushält und kann, was Driver auszeichnet. Erstaunlich eigentlich, dass er trotz der Brüchigkeit, die seine Entwicklung kennzeichnet, dennoch einen so geschlossenen, monolithischen Eindruck hinterlässt. Auf eine merkwürdige Weise ist er sich seiner immer sicher. Und er erlebt geglückte Momente, die ihn berühren, auch wenn in ihnen immer ein Toter zurückbleibt. Überleben heißt Siegen, hat Elias Canetti in "Masse und Macht" geschrieben. Driver überlebt und siegt, aber wozu das nutzt, bleibt völlig offen.


Titelbild

James Sallis: Driver.
Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2007.
159 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783935890465

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