Der dritte Körper

Das "Taktlos Musiklesebuch" erkundet die Schnittstellen zwischen zeitgenössischer Musik und Literatur

Von Agnes KoblenzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Agnes Koblenzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Fall der musikbegleitenden Texte scheint es ein klarer Fall. Mindestens seit der Erfindung des Gregorianischen Gesangs ist die Verbindung von Musik und Sprache aus der Geschichte nicht wegzudenken.

Anders sieht es schon mit der Funktion der Musik beziehungsweise des Klangs innerhalb literarischer Texte aus. Dass es einerseits in der Literatur selbst ein Konglomerat an Klanghaftem gibt, und die Musik (im weitesten Sinne) auf das Schreiben Einfluss nimmt, dass sich daraus mögliche Parallelen oder Differenzen zwischen der Arbeit des Komponisten oder Musikers und dem literarischen Schreiben ergeben können, und folglich auch ein Text als ein musikalisches Werk gelesen werden kann - das hat bis jetzt, zumindest in literarischen Darstellungen, kaum Berücksichtigung gefunden. Dieser Lücke in der Zweierbeziehung von Musik und Sprache haben sich jetzt die Initiatoren der Berner Veranstaltungs- und Konzertreihe "Taktlos-Bern" und "Tonart-Bern" angenommen. Das Ergebnis führt das "Taktlos Musiklesebuch" der Edition Urs Engeler zusammen.

Die Herausgeber, Ruedi Wyss und Peter Kraut, die immer schon für den musikalischen Aufbruch gekämpft haben, ließen sich hierbei von den Überlegungen des langjährigen Literatur-Impressarios und Veranstalters des Literaturfestivals "Trafo", Hans Ruprecht, inspirieren. Schließlich habe sich auf den Podien der von dem Autorentrio initiierten - zwischen Bühne und Raum, Kunst und Club, Performance und Installation angesiedelten - Musikveranstaltungen mehrmals gezeigt, dass es zwischen der zeitgenössischen Musik und Literatur immer mehr Berührungspunkte gibt, und dass viele zeitgenössische Autoren in ihren Texten von der Musik beeinflusst werden.

Und tatsächlich ist die Musik des Musikvereins "Taktlos-Bern", der 2006 mit "Eine Materialsammlung zu 580 Konzerten von Taktlos Bern und Tonart Bern" sein 27-jähriges Jubiläum feierte, als solche in den Texten des "Taktlos Musiklesebuches" herauszulesen und vor allem herauszuhören. Darin: Jazz, Pop, Elektronika, Improvisiertes, Zufälliges, persönliche Texte, erste Erfahrungen mit der Musik, die Musikvorbilder und -autoritäten. Auch hier treten die Herausgeber in ihrer Vermittlerrolle auf - die reflektierenden und polarisierenden Beiträge sind als die logische Weiterführung der Aktivitäten von "Taktlos-Bern" angelegt.

Das Hören wird unweigerlich mit Bildern verknüpft. Davon zeugen einerseits die Texte, etwa "Eine Stadt als Opernbühne" von Yoko Tawada. Die Autorin knüpft hier an das Opernprojekt des Komponisten Peter Ablinger aus dem Jahr 2005 an, dessen Idee es war, die Stadt Graz als ein Stück Oper zu inszenieren. Was ist das Bild ohne Klang, wie ist der Klang ohne Bild zu denken? Am Beispiel einer Alltagssituation, die Yoko Tawada in zwei literarischen Darstellungsvarianten - einer klanglichen und einer bildhaften - beschreibt, wird das Prinzip Oper und die Unzertrennlichkeit ihrer Bestandteile, des Bildes und des Klanges, als solche anschaulich.

An eine außer-sprachliche, weil visuelle Entsprechung und Spiegelung der literarischen Beiträge haben auch die Herausgeber gedacht. Ergänzend zu den Texten stellt die Anthologie andererseits auch Notationsbeispiele ausgewählter Werke von Musikern vor, die bei den Konzertreihen "Tonart-Bern" oder "Taktlos-Bern" bereits zu Gast waren. Damit wird die Sprach-Musik-Beziehung um den Aspekt des Bildes ergänzt.

Unter den dreißig Textautoren finden sich Autoren wie Peter Weber, Bodo Hell oder Elfriede Jelinek, deren Texte Musikbezüge aufweisen. Eine unbeschwert experimentelle und zudem an formalen Lösungen reiche Herangehensweise an das Thema Musik ist auch in den Texten von Birgit Kempker zu finden, die mit "Trou bas dort I-24", einem metapherreichen Poem mit Anspielungen an die alte Troubadour-Kunst vertreten ist. Auch im Text des Schriftstellers, Musikers und DJ-s Thomas Meinecke, "Hieroglyphisches Wesen", ist sie in der, in Technorhythmen und -notationen pulsierenden Sprache zu spüren, oder in dem klingenden Gedicht "der ton" von Raphael Urweider, um nur wenige zu nennen.

Obwohl angesichts der Vielfalt der Beiträge vereinheitlichende Aussagen weder erstrebenswert noch möglich sind, lassen sich unter den Autoren und ihren Haltungen zumindest zwei Tendenzen beobachten. Die Neigung zur Abgrenzung von, oder Befruchtung durch die Musik (Elfriede Jelinek, Roger Monnerat oder Thomas Kapielski) korreliert mit experimentellen Texten, in denen der Textinhalt vom eigenen Klanggehalt dominiert wird (Bodo Hell: "Katarakt"). Dadurch wird die Verschmelzung von Sprache und Musik zu einem "dritten Körper" (Klaus Theleweit) nachvollziehbar, sei es rhythmisch, klanglich oder formal.

Das "richtige" Hören gibt es ohnehin nicht, übrigens auch nicht das "richtige" Lesen, zum Glück geht das "Taktlos Musiklesebuch" in einer Fülle der Ergebnisse auf, die für Eigeninterpretationen viel Raum offen lässt.


Titelbild

Hans Ruprecht / Peter Kraut / Ruedi Wyss (Hg.): Taktlos. Musiklesebuch.
Urs Engeler Editor, Basel 2007.
216 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783938767351

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